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Samstag, 3. Juni 2023

Respighi, Ottorino - Sämtliche Klavierwerke

Respighi mit Tasten


Label/Verlag: Brilliant classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Als Klavierkomponist ist Respighi kaum bekannt. 20 Jahre nach der bisherigen Referenz-Werkauswahl mit Konstantin Scherbakov (Naxos) legt Michele D'Ambrosio erstmals eine 'Gesamtaufnahme' der Werke zu zwei Händen auf CD vor. Verdienstvoll?

Als Klavierkomponist ist Respighi kaum bekannt. 20 Jahre nach der bisherigen Referenz-Werkauswahl mit Konstantin Scherbakov (Naxos) legt Michele D‘Ambrosio erstmals eine ‚Gesamtaufnahme‘ der Werke zu zwei Händen auf CD vor. Verdienstvoll?

Anhand der Weltersteinspielung der ursprünglichen Klavierfassung der 'Variazioni sinfoniche' – um 1900 Respighis erstes bedeutendes Orchesterwerk – wird hier ganz am Ende der beiden CDs überaus deutlich, wie sehr der Sohn eines Klavierlehrers vom Klavier her kommt und nicht von der Violine: Mancher Kontrapunkt, manche Umspielungsfigur der Streicher entspringt ganz offensichtlich der Orientierung v.a. an Brahms. Obgleich Respighi zwar in den 1890er Jahren am Konservatorium in Bologna als Instrumentalfach Violine bei Federico Sarti studiert hatte, blieb ihm mit Giuseppe Martucci als Kompositionsprofessor ein renommierter Konzertpianist und der wahrscheinlich wichtigste italienische Klavierkomponist des 19. Jahrhunderts (nach Rossini) vorgesetzt.

Eine Relativierung des Erstaunens über die frühe Klavierfixierung (trotz sofortiger praktischer Orchesterorientierung Respighis in Bologna und St. Petersburg sowie weiteren Studien bei Max Bruch in Berlin) dient auch dem akademisch renommierten Spezialisten Potito Pedarra als Einstieg in seinen plastischen und präzisen Einführungstext (das Booklet wie üblich bei Brilliant Classics allerdings leider nur auf Englisch); von Pedarra stammt das geläufige Respighi-Werkverzeichnis (P-Nummern) wie auch eine Studie zur Klaviermusik des jungen Respighi (Mailand 1995). Bis zum Durchbruch 1916 mit den 'Fontane di Roma' wirkte Respighi weiterhin als Klavierbegleiter u.a. seiner Frau Elsa und konzertierte noch Ende der 1920er Jahre in New York unter Leitung Willem Mengelbergs mit eigenen Kompositionen für Klavier und Orchester. Die hier eingespielten Klavier-Solowerke verlangen und bezeugen ein durchaus beträchtliches technisches Vermögen, wenngleich sie aufführungsgeschichtlich nie einen besonderen Stellenwert im Repertoire strahlkräftiger Pianisten erlangen konnten; Pedarra nennt nur Arturo Benedetti Michelangelis Vortrag 1938 des 'Notturno' aus Respighis bis 1905 bei Bongiovanni in Bologna verlegten 'Sei pezzi', fast noch zu Lebzeiten des Komponisten.

Vier ‚Hauptwerke‘ nebst dokumentiertem ‚Frühwerk‘

Diese sechs Klavierstücke stellen den wohl interessantesten, handwerklich beeindruckendsten Beitrag Respighis zur Klavier-Solo-Literatur dar. Auf CD 1 präsentiert der in Rom geborene und dort von Viviana Buzzai ausgebildete Pianist Michele D‘Ambrosio dieses und drei andere ‚Hauptwerke‘ für Klavier, die auch der früheren Auswahl-Aufnahme von Konstantin Scherbakov entsprechen (Naxos 1997, aufgenommen 1995): Mit der frühen (zweiten) Klaviersonate in a-Moll (P.16, 1897), den Klavierfassungen von sechs 'Danze ed arie antiche per liuto', die Respighi nach der gleichnamigen ersten Orchestersuite 1917 ebenfalls als ‚Trascrizione libera per pianoforte‘ veröffentlichte, und den drei 'Preludi sopra melodie gregoriane' (1919), die später in den 'Vetrate di chiesa' (Kirchenfenster) orchestral umgearbeitet wurden, ist bereits das Wesentliche dieses Klavierschaffens erfasst und erschöpft. Mit Blick auf das offenbar Symphonisch-Transitorische des Komponierens Respighis am Klavier stechen die 'Sei pezzi' (1903-05) als vielleicht genuinste Klavierschöpfungen hervor, denen wiederum einige frühere Suiten-Entwürfe mit durchaus neo-barocker Ausrichtung vorangingen: eine Suite P.22 u.a. mit Sarabande, 1898, sowie das Fragment einer 1903 fünfsätzig geplanten Suite P.43, deren Entwürfe bis auf zwei ebenfalls eingespielte Präludien (P.43 und P.43a) offenbar in die sechs Stücke P.44 eingeflossen sind.

Die zweite CD ergänzt die vier mehr oder minder ‚autorisierten‘ Werke um genannte Vorläufer sowie die frühe erste, im Kopfsatz hörbar Gedanken aus Schumanns und Griegs Klavierkonzerten kreuzende Klaviersonate in a-Moll (P.4, 1895/96) nebst dreier ‚Sätze‘ aus deren Umfeld (zweimal 'Andante', ein 'Allegro'). Den Abschluss und Höhepunkt bilden dann die eindrucksvollen 'Symphonischen Variationen' P.28 zum Abschluss eines rund 133 Minuten langen Programms. Überraschend fehlen gegenüber der Scherbakov-Aufnahme allerdings zwei Klaviertranskriptionen aus den 'Antiche Danze ed Arie' (aus der zweiten Suite, die 1917 noch nicht orchestriert war); sie sind im Ricordi-Druck von sechs Stücken aus der ersten und der späteren dritten Suite ebenfalls nicht enthalten, was die Frage nach der Herkunft der Übertragungen in Scherbakovs Einspielung aufwirft. Man darf an diese ‚Gesamtaufnahme‘ D’Ambrosios deshalb trotzdem zunächst einen Haken machen (die in den Werkverzeichnissen ‚vollständig‘ mit fünf Satztiteln erscheinende Suite P.43 besteht offenbar wirklich nur aus dem alleine dargebotenen 'Preludio'-Fragment).

D‘Ambrosios solide Darstellung eher voluminös als einfühlsam

Das eindrucksvollste Klavierstück Respighis ist meines Erachtens der knapp dreiminütige Kanon ('Canone') an zweiter Stelle der sechs Klavierstücke: Originell, wie Respighi die zweistimmige Nachahmung mit einem eigenständigen Basso begleitet und sie nach schön kantablem Beginn durch freiere Imitationen im Mittelteil in ein Virtuosenstück zu überführen vermag, das dann mit einer grandiosen Reprise des Kanons noch nicht endet, sondern wieder ein melancholisches Nachspiel erzeugt.

Michele D‘Ambrosio fühlt sich hier wie auch im Eingangsstück, einer 'Valse caressante', und ihren Salon-Geschwistern offenbar trotz manuell sauberem, angemessenem Spiel nicht immer wohl: Das Zupacken und die dramatische Geste liegt ihm hörbar besser als ein anschlagstechnisches Abschattieren des Kantablen, das meist ziemlich gleichförmig daherkommt (gerade auch agogisch und dynamisch, Ausnahme der gut getroffene 'Canone'-Beginn); gerade die Impressionismen der drei gregorianischen Präludien, aber auch das charmante 'Minuetto' kann man sich lockerer, duftiger, farbiger vorstellen. Schuld ist neben mancher problematischer Pedalisierung aber auch eine etwas distanzierte, hallig abdämpfende Aufnahmetechnik, welche den Flügel oft D‘Ambrosios Anschlag entsprechend stumpf, manchmal sogar leicht klirrend abbildet. In den Klaviersonaten und ansatzweise auch den zehnminütigen Variationen fällt zudem ein Mangel an rhetorischer Gliederung im Dienste formaler Übersichtlichkeit auf: D‘Ambrosio nutzt Kontrastmöglichkeiten zu wenig aus, setzt das musikalische Geschehen einfach ohne deutlichere Einschnitte fort und damit bloß Episoden nebeneinander. Die alte Einspielung von Scherbakov verleiht gerade den ‚historistischen‘ Stücken viel mehr Neo-Charme, in den sechs Stücken beeindruckt D‘Ambrosio streckenweise zwar mit mehr ein- und ausdrucksvoller Kraft, Scherbkov aber durch die überlegtere Darstellung, vor allem in der mit gewissen Schubert-Zügen gespickten f-Moll-Sonate.

Wer an einem enzyklopädischen Überblick über die italienische Klaviermusik von Martucci über Respighi bis in die Gegenwart (Einaudi) interessiert ist, sollte sich statt dieser Doppel-CD gleich eine 20 CDs umfassende Anthologie mit ‚20th-Century Italian Piano Music‘ anschaffen, die Brilliant Classics im November 2016 herausgegeben hat und die auch D‘Ambrosios Respighi-Beitrag umfasst. Im Vergleich mit dort vertretenen Komponisten wie Martucci, Fano oder Pizetti relativiert sich Respighis Stellung als ‚Klavierist‘ dann doch deutlich – wie auch die Leistung des Pianisten und des Produktionsteams. Eine Besprechung dieser Box mit ihren vielen Überraschungen auf kompositorischer und interpretatorischer Seite wird bald an dieser Stelle folgen.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Respighi, Ottorino: Sämtliche Klavierwerke

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Brilliant classics
2
02.09.2016
Medium:
EAN:

CD
5028421944425


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Respighi, Ottorino


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