
Reznicek, Emil Nikolaus von - Konzertstücke für Violine und Orchester
Reznicek für Entdecker
Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Marcus Bosch gelingt mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin eine famose Einspielung dieser leider wenig bekannten Orchestermusik von Emil Nikolaus von Reznicek. Die Aufnahme ist beste Werbung für toll instrumentierte Musik.
Das innovative, in diesem Jahr sein 30-jähriges Bestehen feiernde Label cpo (classic production osnabrück) begann schon im Jahr 2001 mit seiner großen Werkedition der Hauptwerke des österreichischen Komponisten Emil Nikolaus Joseph Freiherr von Řezníček. Bis dato war Řezníček (1860-1945) ausschließlich Spezialisten als Schöpfer der 'Donna Diana'-Ouvertüre ein Begriff. In den großen Konzertsälen ist die Musik des Tausendsassa, dem das Privatleben einen bösen Streich spielte, heute kaum mehr präsent, doch seine Musik ist voller Leidenschaft, Glut und Pathetik. Mitunter fehlen dem Komponisten unsterbliche Melodien, dafür war er ein erstklassiger Kontrapunktiker. Seine Kompositions-Studien bei Salomon Jadassohn in Leipzig – zuvor in Graz bei Wilhelm Mayer – legten ihm die Polyphonie Bachs in die Hände. Seine Begegnung mit Gustav Mahler (um 1900) bezeichnete der selbstbewusste Sohn des Feldmarschall-Leutnants Josef von Řezníček und der rumänischen Adligen Clarisse von Ghika im Nachhinein als den ‚stärksten künstlerischen Eindruck seines Lebens‘, wie der höchst informative Begleittext von Michael Wittmann wissen lässt.
Řezníček liebte auch Bruckner. Lange schwankte er zwischen einer beruflichen Laufbahn als Dirigent oder Komponist. Engagements führten ihn nach Zürich, Stettin, Jena, Bochum, Berlin, Mainz, Prag und als Hofkapellmeister nach Mannheim. Leider beging er dort für die damaligen moralischen Gepflogenheiten einen Fauxpas und liierte sich nach dem Tod seiner ersten Ehefrau Milka, die an einem Hirntumor starb, zu rasch mit der noch nicht geschiedenen Berta Juillerat-Chasseur (1874–1939). Dass das junge Paar offen zusammenlebte, war für jene Zeit skandalös, zumal 1898 der gemeinsame Sohn Emil-Ludwig unehelich zur Welt kam. Řezníček wurde danach aus seinem Hofkapellmeisteramt regelrecht weggemobbt und erlangte im Kaiserreich nie wieder eine seinen Fähigkeiten entsprechende öffentliche Position. Das ist bis heute zu bedauern. Die Familie zog erst nach Wiesbaden, dann bald nach Charlottenburg, wo der Komponist bis zu seinem Tod 1945 lebte.
So lesen sich auch Teile des Programms der neuen CD wie eine Abrechnung mit dem Spießbürgertum der Wilhelminischen Zeit: Um 1900 schrieb er seine Volksoper 'Till Eulenspiegel', die Felix Mottl 1902 in Karlsruhe uraufführte. Im ‚Sinfonischen Zwischenspiel in Form einer Ouvertüre‘ 'Wie Till Eulenspiegel lebte' verarbeitete der Komponist seine Mannheimer Erlebnisse. Das Zwischenspiel hatte Řezníček nicht in die Oper integriert. Es wurde 1902 als separates Konzertstück aufgeführt. Herrlich werden hier Eulenspiegels Irrungen und Wirrungen musikalisch eingefangen, allerdings völlig anders als bei Richard Strauss, der ein ‚geschlossenes Charakterbild‘ (so Wittmann) entwarf. Imposant ist Řezníčeks Instrumentierungskunst und das lichte Klangbild dieser Aufnahme. Dazu trägt das absolut standfeste Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin bei, das in klanglichen Belangen ein ausgezeichneter Anwalt dieser Musik unter dem scheinbar mühelosen Dirigat von Nürnbergs GMD Marcus Bosch (*1969) ist. Was er mit dem Orchester schafft, ist absolut professionell und klanglich sensationell. Sowohl die Holzbläser erstrahlen hier in festlichem Geschmeide, das Blech in güldener Manier, der Streicherapparat agiert vorbildlich.
Das Hören selbst eines so wenig bekannten Symphonikers macht da wirklich Spaß. Schon das erste Werk der Platte weckt diesbezüglich Hoffnungen 'Goldpirol' heißt die ‚Idyllische Ouvertüre‘, die 1903 den Komponisten Řezníček im Zenit zeigt. Hätte er weiter dirigiert, hätte er wahrscheinlich nicht so viel wunderbare Musik geschrieben. Das ihm damals unterbreitete Angebot, Chefdirigent der Metropolitan Opera in New York sowie des New York Philharmonic Orchestra zu werden, hatte er aus privaten Gründen ausgeschlagen. Auch im 'Goldpirol' ist erkennbar, wie der Komponist mit kontrapunktischer Finesse an sein Werk ging und besonders fein – Richard Strauss nicht unähnlich – instrumentierte. Alles schachtelt sich wunderbar ineinander, rankt spielerisch und trägt harmonisch bisweilen (moderate) modernistische Züge, die er sich vielleicht Mahler abschaute. Unverkennbar ist der ähnliche Einsatz von Schlagwerk und Trompeten.
Nicht ganz der Chronologie folgt die Anordnung der Titel auf der CD: Das 1918 entstandene Konzertstück für Violine und Orchester E-Dur bringt ein weiteres Moment ins Spiel: Řezníčeks virtuoser Umgang mit dem Soloinstrument. Die bekannte internationale Solistin Sophia Jaffé (schade dass ihr Name auf dem Cover und auf der Seite 3 nicht korrekt geschrieben ist, überhaupt gibt es im Booklet leider viele Druckfehler) ist eine wirklich gut vorbereitete Interpretin, die das dreisätzige Konzertstück mit Emphase und technischer Souveränität angeht. Ihr Geigenton erhebt sich königlich und bietet unbestreitbaren Glanz, so dass sie die bald 100 Jahre alte Musik völlig entstaubt. Sie begreift sie sehr real und gegenwärtig, vermittelt Traum und Überschwang genauso wie sie auf der G-Saite mit sattem Timbre den Beginn des 'Tranquillo' zelebriert. Orchesterstreicher huschen dazu wie Schatten – das ist große künstlerische Gestaltung.
Zuvor, 1905, hatte Řezníček für seine Kammermusiken ein Werk kreiert, das für Violine, Hörner, Harfe und Streichorchester konzipiert ist. Hier bestreitet der in Israel geborene Geiger Erez Ofer, seit 2002 Erster Konzertmeister des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin, den Solopart. Er verleiht dem Werk Flügel und schwelgt mit schönem, vibratoreichem Klang. Bezaubernd korrespondieren dazu die Hörner, ein fabelhafter Ausklang dieser CD.
Eingeschoben davor ist das wohl progressivste Werk des spätromantischen Meisters: Präludium und Fuge in c-Moll aus dem Jahr 1912. Es dauert elf Minuten, die wirklich spannend sind und zum Ende hin einen Hang zum Gigantischen markieren. Auch hier sind zu Beginn die typischen Verschlingungen der Holzbläser und Streicher zu vernehmen. Řezníčeks Affinität zu Bach wird offenbar. Der Komponist selbst betonte einmal in einem Interview den ‚revolutionären Charakter‘ Bachs, der sich ‚konsequent über das zu seiner Zeit gültige Regelwerk der Tonkunst hinweggesetzt‘ habe. Er wolle diesem Vorbild folgen. Gelungen ist es ihm. Seine Werke müssten allerdings häufiger aufgeführt werden. Hoffentlich haben die Entscheider in den Orchesterbüros ein Einsehen.
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Reznicek, Emil Nikolaus von: Konzertstücke für Violine und Orchester |
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Label: Anzahl Medien: Spielzeit: |
cpo 1 68:42 |
Medium:
EAN: BestellNr.: |
CD
761203798322 7779832 |
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Reznicek, Emil Nikolaus von |
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cpo Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
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