
Reger, Max - Kammermusik für Klarinette
Feine Farbnuancen
Label/Verlag: OehmsClassics
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Stephan Siegenthaler und Kolja Lessing deuten Regers Werke für Klarinette und Klavier ohne Übertreibungen und spüren vor allem den lyrischen Momenten mit zartesten dynamischen Nuancen nach.
Dieser Tage trifft gefühlt fast wöchentlich die eine oder andere CD-Neuerscheinung zu Max Reger ein – und hierbei profilieren sich die Labels cpo und Oehms ganz weit an vorderster Front. Nun also die Kammermusikwerke mit Klarinette – offenkundig ein Leib- und Magenprogramm zahlreicher Klarinettisten, deren Repertoire im deutschsprachigen Raum nicht ganz so reich gesät ist wie etwa jenes der Duos Violine/Klavier oder auch der Orchester und der symphonischen Chöre (in diesen Bereichen gäbe es auch im Reger-Jahr noch dringenden Nachholbedarf!). In kluger Kombination (und rationeller Platznutzung) bietet die vorliegende Doppel-CD das Klarinettenquintett, die drei Klarinettensonaten sowie die beiden kleinen Stücke für Klarinette und Klavier WoO II/12 und 13.
Als die vorliegende Produktion entstand, lag Susanne Popps Biografie zum Reger-Jahr noch nicht vor. Dies scheint bedauerlich im Booklet auf, dessen Text (mit Literaturhinweisen) Kolja Lessing, im besten Sinne ein ‚Homme de lettres et de notes‘, verfasst hat. Leider wurde zum Erscheinungstermin im Sommer 2016 die Literaturangabe nicht mehr ergänzt, so dass dieser Punkt bereits zum Zeitpunkt der Veröffentlichung ergänzungsbedürftig ist. Auch sonst wären im Booklettext ein paar Details zu korrigieren, etwa dass Reger auf die Katastrophe des Ersten Weltkrieges ‚nicht mit grellen, anklagenden oder gar apokalyptischen Werken‘ reagierte. Wie anders will man denn sein leider unvollendet gebliebenes Requiem WoO V/9 beschreiben als grell und apokalyptisch – einerseits, aber voller tiefer Empathie und innerer Expression andererseits?
Auch Stephan Siegenthaler ist kein ‚bloßer‘ Musiker. So wie für Kolja Lessing Forschung und Lehre essenzieller Teil seines gesamtmusikalischen Zugangs sind, so ist Siegenthaler ein ausgesprochen interdisziplinäres Denken eigen, liegen ihm Management und Kulturförderung quasi im Blut – was bedeutet, dass er die Organisation und Finanzierung von Veranstaltungen, dramaturgische Klugheit und gedanklich freien Spürsinn für interessantes Repertoire auf das Glücklichste miteinander zu verbinden weiß. Dass er ein hochkarätiger Klarinettist ist, erweist sich gleichfalls schon bald. Sein Ton ist warm, auch im Fortissimo nicht grob (was allerdings gelegentlich auch daran liegt, dass er die von Reger vorgeschriebenen dynamischen Extreme nicht in der ganzen Spannweite auslotet).
Zusammen mit Lessing ist seine Lesart der Klarinettensonaten sowie der beiden kleinen Stücke eine eher lyrisch-entspannte, keine hysterisch sich übersteigernde, exaltiert-expressionistisch-symbolistisch Regers Fortschrittspotential in den Vordergrund stellende. Aber was für ein feines Farbgespür, was für eine Phrasierungskunst, was für ein feines Empfinden für Regers Piano und Pianissimo-Töne! Lessing ist – passend zu Siegenthaler – ein Pianist voller musikalischer Delikatesse und feinem Klangsinn. Feine Farbnuancen und ein ausgeprägter Lyrizismus sind vielleicht ein Hauptcharakteristikum der Produktion. Selbst wenn es um gesteigerte Ausbrüche geht (und deren gibt es bei Reger viele), bewahrt Lessing unterschwellig die Contenance und fängt Siegenthaler sozusagen wieder ein. Dadurch gewinnen die Kompositionen einen unterschwelligen Ernst, der dem Konzertsaal weitaus besser eignet als ein Regers extreme Anweisungen ‚wortgetreu‘ ausdeutender Zugang. So geraten quasi automatisch die lyrisch-intimen Momente zum zentralen Substanzkern der Interpretationen, was besonders die langsamen Sätze und Satzabschnitte auf das Schönste erleuchtet; in Siegenthalers und Lessings Lesart ist Regers Humor ein eher hintergründiger, kein aggressiv-unmittelbarer, der den einen oder anderen Hörer in anderen Fällen schon ‚affrontiert‘ hat.
Man möchte Lessings Klavierspiel gerne mit dem Interpreten Reger in Verbindung bringen, der dafür berühmt war, dass auch sein Spiel immer feinfühlig und warm, im Fortissimo nie grob klang. Gleiches lässt sich von Lessing sagen, und Siegenthaler passt sich diesem Interpretationsansatz voll und ganz ein. Allerdings scheint Lessing in einigen Momenten etwa des Scherzos der As-Dur-Sonate op. 49 Nr. 1 um entscheidende Nuancen zu zurückhaltend – ob aus eigenem Willen oder durch die Aufnahmetechnik, lässt sich nicht sagen.
Das Klarinettenquintett ist seit langem besonders beliebt, nicht nur weil es den berühmten Werken von Mozart und Brahms ein weiteres Pendant zur Seite stellt, sondern auch und vor allem stilistisch – nämlich weil es ein Produkt von Regers Jenaer Spätstil ist, der sich durch harmonische und strukturelle Klarheit auszeichnet. Siegenthaler und das Leipziger Streichquartett (Conrad Muck, Tilman Brüning, Ivo Bauer, Matthias Moosdorf) betonen hier interessanterweise die in die damalige musikalische Zukunft weisenden Elemente der Komposition, die harmonischen und satztechnischen Aspekte, die sich vielleicht mit dem Schlagwort ‚Neoklassik‘ in Verbindung bringen lassen. Gerade im Dialog mit den Sonaten eröffnet uns das Klarinettenquintett eine ganz eigene Reger-Welt, die vielleicht nicht für den ganzen Reger stehen mag, aber eine besonders interessante Facette auf den Komponisten wirft. Womit ein nachhaltiger Beitrag zum Reger-Jahr 2016 geleistet wird.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Reger, Max: Kammermusik für Klarinette |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
OehmsClassics 2 29.07.2016 |
Medium:
EAN: |
CD
4260330918451 |
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Reger, Max |
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OehmsClassics Ein erfülltes Leben ist ohne Musik kaum denkbar. Musik spiegelt unsere Wahrnehmung der Umwelt und die Realität heutiger wie vergangener Zeiten. Gute Musik ist immer neu, immer frisch, immer wieder entdeckenswert. Deshalb bin ich überzeugt: Es gibt nicht -die- eine, definitive, beste Interpretation der großen Werke der Musikgeschichte. Und genau das macht klassische Musik so spannend: Jede Musikergenerationen experimentiert, entdeckt neue Blickwinkel, setzt unterschiedliche Schwerpunkte - derselbe Notentext wird immer wieder von anderen Strömungen belebt. Deshalb ist ein Musikstück, egal aus welchem Jahrhundert, auch immer Neue Musik. OehmsClassics hat es sich zur Aufgabe gemacht, am Entdecken der neuen Seiten der klassischen Musik mitzuwirken. Unser Respekt vor den künstlerischen Leistungen der legendären Interpreten ist gewiss. Unser Ziel als junges CD-Label sehen wir jedoch darin, den interpretatorischen Stil der Gegenwart zu dokumentieren. Junge Künstler am Anfang einer internationalen Karriere und etablierte Künstler, die neue Blickwinkel in die Interpretationsgeschichte einbringen - sie unterstützen wir ganz besonders und geben ihnen ein Forum, um auf dem Tonträgermarkt präsent zu sein. Sie, liebe Musikhörer, bekommen damit die Gelegenheit, heute die Musikaufführung zu Hause nachzuvollziehen, die Sie gestern erst im Konzertsaal oder Opernhaus gehört haben. Wir laden Sie ein, gemeinsam mit uns die neuen Seiten der klassischen Musik zu erleben!
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