
Kahn, Robert - Werke für Violine und Klavier
Eklektiker und Romantiker
Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Eine interpretatorisch runde Doppel-CD mit Elina Vähälä (Violine) und Oliver Triendl (Klavier) zielt auf eine Neubewertung des Schaffens von Robert Kahn.
Robert Kahn (1865–1951), so Gottfried Franz Kaparek in seinem Bookletbeitrag, sei ein ‚musikalischer Lyriker von Geblüt und phantasievoller Melodiker‘ gewesen, der ‚harmonisch dem Vorbild Brahms und der Tonalität über die Zeitläufte hinweg treu‘ geblieben ist. Dass die Werke des Komponisten heute so gut wie vergessen sind, mag nicht allein daran liegen, dass die Aufführungstraditionen seiner Musik – die Kaparek zufolge lange Zeit ‚zum Lieblingsrepertoire vieler Deutscher‘ gehörte – während der Zeit des Nationalsozialismus abbrach und aufgrund der Emigration des Künstlers nach England auch nach dem Zweiten Weltkrieg nicht wieder aufgenommen wurde; es könnte vielmehr auch damit zusammenhängen, dass den Werken aufgrund ihrer eklektischen Haltung oftmals die notwendige Eigenständigkeit fehlt, um sie für Musikerinnen und Musiker wirklich interessant zu machen. Dass sich mit der Geigerin Elina Vähälä und dem Pianisten Oliver Triendl zwei Interpreten gefunden haben, die sich den Kompositionen für Violine und Klavier gewidmet und die entsprechenden Werke teils aus den Manuskripten heraus eingespielt haben, macht diesen Teil von Kahns Schaffen nun immerhin diskografisch erschließbar.
Den gewichtigsten Anteil am hier erklingenden Œuvre nehmen die drei jeweils dreisätzigen Violinsonaten ein. Dass gerade Johannes Brahms von der Sonate Nr. 1 g-Moll op. 5 (1886) angetan war und auch Clara Schumann in ihren Tagebüchern den positiven Eindruck des Werkes vermerkte, mutet – selbst wenn man berücksichtigt, dass es sich um die Arbeit eines gerade erst Zwanzigjährigen handelt – angesichts vieler wenig überzeugender Züge doch kurios an: Die beiden Rahmensätze treten musikalisch ziemlich auf der Stelle, die Durchführung des Kopfsatzes wirkt akademisch abgezirkelt, das Finale bietet – abgesehen von einer kurzen, sphärischen ‚meno mosso‘-Episode in der ‚Prestissimo‘-Coda – nur wenig Abwechslung, und allein der langsame Mittelsatz hebt sich aufgrund seiner kantablen Ideen vom Rest des Werkes ab. Dagegen wirkt die Sonate Nr. 3 E-Dur op. 50 (1906) aufgrund ihrer Formgebung – mit einem die ‚Prestissimo‘-Coda des Finales unterbrechenden Rückbezug auf den langsamen Abschnitt des musikalisch zweigeteilten Kopfsatzes – schon origineller, leidet aber unter einem viel zu langen Scherzo-Mittelsatz, der auch durch den melodischen Kontrastteil kaum aufgelockert wird.
Als eindrücklichstes Werk der Sonatentrias erweist sich die Sonate Nr. 2 a-Moll op. 26 (1897), deren ohne Pause aufeinanderfolgenden Sätze sich durch relative Kürze und Knappheit bei gleichzeitig sehr virtuoser Diktion auszeichnen. Die Musik erscheint hier nicht nur ausgewogener als in den übrigen Werken, sondern weist mit ihrem ‚appassionata‘-Tonfall, den ausdrucksstarken Passagen des Mittelsatzes und den Bolero-Anklängen des Finales auch viele eigenwillige Facetten auf. Auch die 'Zwei Violinstücke' op. 4 (1887) erweisen sich als Charakterstücke voller Brillanz und melodischer Erfindung – in musikalischer Hinsicht wesentlich ansprechender als die ihnen vorausgehende erste Violinsonate –, wogegen die möglicherweise aus der Jugendzeit stammenden 'Zwei Stücklein' nur wenig Reize bieten. Und während sich in den handwerklich tadellosen »Variationen über ein altes Lied« op. 80 (1925) wechselvolle Dialoge zwischen den Instrumenten entfaltete, herrschen sowohl in den 'Fünf Tonbilder' op. 36 (1902) als auch in der Suite op. 69 (1919) meist einfache Fakturen mit führender Violine vor, die in der späteren Komposition oft wie Stilkopien nach Vorbildern aus dem 19. Jahrhundert anmuten.
Die Interpretationen von Vähälä und Triendl überzeugen durch technisches Können und präzises Zusammenspiel, lassen es jedoch auch an winzigen Kleinigkeiten fehlen, die der Musik mehr Profil verleihen könnten. Werkteile wie der Mittelsatz aus op. 5 sind dynamisch weiträumig in großen Bögen gestaltet, doch fehlt gerade in solchen lyrischen Sätzen mitunter der Mut, die Instrumentalparts agogisch und binnendynamisch stärker zu profilieren und das, was der Notentext vielfach durch Crescendi und Decrescendi auf engstem Raum andeutet, stärker herauszuarbeiten. Den interpretatorischen Höhepunkt markiert die virtuos musizierte a-Moll-Sonate: Den ‚appassionato‘-Tonfall des Kopfsatzes und die auffahrende Motivik des Finales stimmen die beiden Musiker jeweils in zerrissenem Dialog an, den ausdrucksvollen Gesang des Mittelsatzes hingegen lässt das Duo mit spannungsvollen Steigerungen in emphatische Forteausbrüche münden. Bei alldem kann Vähälä immer wieder mit runder, klanggesättigter Tongebung, feinen Vibratoabstufungen und geschmackvoll eingesetzten Lagenwechseln glänzen, was sich vor allem in den langsamen Sätzen auszahlt, doch drängelt sich die Geigerin gelegentlich klanglich ein wenig zu stark in den Vordergrund.
Kahns Violinwerke, so lässt sich nach mehrmaligem Hören der Produktion resümieren, bietet zwar immer wieder schöne Momente, die sich kammermusikalisch wunderbar ausmusizieren lassen, wirken aber dennoch aufgrund ihre eklektischen Haltung in vielen Fällen harmlos und wenig attraktiv, zumal sich die Überraschungsmomente innerhalb der Stücke in Grenzen halten. Den geringen Bekanntheitsgrad der Werke allein darauf zurückführen zu wollen, dass Kahn seinen Lebensabend im Exil verbrachte und nach 1945 nicht mehr dem Zeitgeschmack entsprach, erscheint angesichts der häufig in sich kreisenden und gelegentlich auch recht ideenarmen Musik allzu stark verkürzt. Erfreulich ist es immerhin, dass diese Doppel-CD von cpo sämtliche entsprechenden Werke dokumentiert; ob die Veröffentlichung aber zu einer Neubewertung des Komponisten und seines Schaffens beitragen kann, bleibt abzuwarten.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Kahn, Robert: Werke für Violine und Klavier |
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Label: Anzahl Medien: |
cpo 1 |
Medium:
EAN: |
CD
761203778522 |
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cpo Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
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