
Britische Violinsonaten Vol.2 - Werke von Bridge, Ireland, Bliss, u.a.
Ungeminderte Expressivität
Label/Verlag: Chandos
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Tasim Little bietet auf der zweiten Folge der Reihe britischer Violinsonaten Raritäten, die durch Littles expressiven Vortrag belebt werden. Ihr zum Süßlichen tendierender Vibratogebrauch ist allerdings Geschmackssache.
Die letzte Komposition vor dem Tod von William Lloyd Webber (1918–1982), dem Vater von Andrew und Julian, tauchte erst vor einigen Jahren auf und erlebt hier ihre Ersteinspielung. Das kaum dreiminütige 'The Gardens of Eastwell. A Late Summer Impression' ist ein Salonstück mit stark sentimentalem Touch; das Stück nimmt Bezug auf den Familienlandsitz in Kent und verbindet sich als Stimmungsbild ganz natürlich mit der Tradition der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Bei aller Kunstfertigkeit gelingt es Tasmin Little – nicht zuletzt durch etwas zu starken Vibratogebrauch – nicht, die Miniatur dem Kitsch zu entreißen. Da trifft Piers Lane mit feinfühligem Klavierton und britischem Understatement im allerbesten Sinne den rechten Tonfall wohl doch besser.
Die zweite Rarität auf der vorliegenden CD ist die frühe Es-Dur-Violinsonate von Frank Bridge aus dem Jahre 1904. Vom Komponisten als halbvollendeter Torso liegen gelassen, hat Paul Hindmarsh, die berühmte Bridge-Koryphäe, den unvollständigen zweiten Satz 1996 komplettiert und das Werk zur Aufführung ediert. Die hier vorliegende Einspielung bietet eine attraktive, aber nicht unbedingt nachhaltig memorable Komposition, noch in Bridges traditionellerem, unmittelbar ansprechendem ‚Vorkriegsstil’ gehalten, der bei mittelmäßiger Interpretation etwas ins Seichte abgleiten kann. Vor allem aber der zweite Satz ist eine echte Entdeckung. Littles ungeminderte Expressivität verleiht dem Werk eine kraftvolle Wiedergabe, die manchmal einen Hauch über das Nötige hinausgeht, doch ist in keinem Moment zu sagen, dass sie nicht genau wisse, was sie tut.
In allen anderen Fällen auf der CD waren andere Interpreten Little und Lane um mindestens eine Nasenlänge voraus. Bei den 'Two Pieces' (1912-14) von Ralph Vaughan Williams verbindet Little Linie und Expression, gerade im zweiten, zu Miniaturen von starkem Ausdruck. Arthur Bliss‘ Sonate für Klavier und Violine (ca. 1914-16), die ebenfalls unvollendet blieb und Lady Elgar gewidmet werden sollte, wurde 2010 durch Rupert Marshall-Luck und Matthew Rickard aus der Taufe gehoben. Das einsätzige Werk wird hier expressiver, gelegentlich auch ‚scharfkantiger’ gegeben – für eine Kriegskomposition vielleicht nicht unpassend. Littles Ton ist leuchtender, auch farbenreicher als Marshall-Lucks (der vielfach fast bratschenartig klingt). Vor allem fällt hier die deutlich gelungenere Aufnahmetechnik bei der neuen Chandos-Platte im Vergleich zur etwas ‚samtigeren’ Ersteinspielung auf, die aber nicht minder ausdrucksstark geraten ist. Für meine Ohren ist die Wahl in diesem Fall Geschmackssache.
Die wohl beliebteste Komposition auf der vorliegenden CD ist auch die umfangreichste – John Irelands erste Violinsonate in d-Moll aus den Jahren 1908-9, revidiert 1917 und 1944. Das ausgesprochen dankbare Stück erfährt eine ausgefeilte, dramatisch packende Wiedergabe. Littles Kunst des Portamento wird mit höchster Raffinesse eingesetzt, Lane darf sich hier ebenso ‚ausspielen‘ wie die Geigerin, und beide Musiker bieten die Komposition mit großem Reichtum an Farben und Stimmungen dar. Besonders interessant ist hier der Vergleich mit der anderen Chandos-Einspielung des Werks – mit Lydia Mordkovitch und Ian Brown – trotz einer Gesamtdauer von mehr als drei Minuten mehr wirkt die ältere Chandos-Einspielung nicht behäbiger (anders als jene mit Yfrah Neaman und Eric Parkin auf Lyrita) – wohl aber etwas weniger emotional dicht. Für den Rezensenten ist auch hier die Frage der Bevorzugung eine Frage der persönlichen Vorliebe. Insgesamt haben wir hier eine interpretatorisch ungemein ambitionierte, musikalisch ausgereifte Produktion, die sich aber in entscheidenden Werken starker Konkurrenz gegenübersieht, deren Sichtweisen genauso überzeugen wie die hier vorgelegten. Wie von Chandos zu erwarten, gibt es im Booklet und an den anderen ‚Production values‘ nichts zu meckern.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Britische Violinsonaten Vol.2: Werke von Bridge, Ireland, Bliss, u.a. |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Chandos 1 06.05.2016 |
Medium:
EAN: |
CD
095115189924 |
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Bliss, Sir Arthur |
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Chandos Chandos Records was founded in 1979 by Brian Couzens and quickly established itself as one of the world's leading classical labels. Prior to forming the label, Brian Couzens, along with his son Ralph, worked for 8 years running a mobile recording unit recording for major labels (including RCA, Polydor, CFP, etc.) with many of the world's leading artists.
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