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Donnerstag, 28. September 2023

Beethoven, Ludwig van - Resound Vol.3

Innovation und Konzession


Label/Verlag: Alpha Classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Musikalisch haben wir hier ein interessantes und überzeugendes Ereignis, in der Verbindung von Text und Musik sind allerdings Abstriche zu machen.

Die Reihe ‚Resound Beethoven‘ ist in einer Hinsicht in der Tat ausgesprochen innovativ: Beethovens Werke werden an den Orten der jeweiligen Uraufführung eingespielt, und dies auf Instrumenten der Zeit. Nun, in Folge 3, ist man im Theater in der Josefstadt zu Gast, wo die Ouvertüre 'Die Weihe des Hauses' op. 124 zu hören war. Seit seiner Eröffnung am 3. Oktober 1822 wurde das Theater 1923/4 für Max Reinhardt substanziell umgebaut. Ob also das, was hier besonders hervorgehoben wird – die besondere Akustik des Theaters – wirklich als angemessen zu bezeichnen ist, die heutige Akustik derjenigen von vor rund zweihundert Jahren auch nur ansatzweise vergleichbar war, muss dahingestellt bleiben. Sei es wie es sei, 'Die Weihe des Hauses' wirkt in der trockenen Akustik des Josefstädter Theaters durchaus überraschend – die große Transparenz der musikalischen Wiedergabe führt dazu, dass man ganze Passagen der Ouvertüre das erste Mal zu hören vermeint. Wie weit ist diese Musik doch von vielen Lesarten ‚moderner‘ Orchester entfernt!

Wann die 'Egmont'-Musik erstmals erklang (am 15. Juni 1810, und zwar im Wiener Burgtheater am Michaelerplatz), erfahren wir aus dem Booklettext nicht, auch nicht, warum hier in einer Art Etikettenschwindel eine Aufführung am falschen Ort erfolgt. Das alte Wiener Burgtheater steht schon lange nicht mehr, und man hätte, um der historischen Akustik zumindest nahezukommen, vielleicht die bereits 1817 errichtete, originalgetreue – aber verkleinerte – Kopie des Theatersaales im rumänischen Oravita als Aufnahmeort wählen sollen. So jedenfalls drängt sich der Eindruck eines absichtlichen Schwindels auf, einer Konzession an den Direktor des Theaters in der Josefstadt Herbert Föttinger.

Kaum weniger in Frage zu stellen ist, warum Beethovens Musik hier nicht im historisch akkuraten dramaturgischen Kontext dargeboten wird. Wer unter dem Motto ‚Resound‘ vorgeblich auf die Uraufführungsörtlichkeiten Wert legt, sollte auch genug Konsequenz suchen wollen, auch eine komplexe ‚multimediale‘ historisierend angemessene Präsentation des kompletten Dramas zu ermöglichen – Schauspielmusik ist ja eben keine Konzertmusik, sondern hat gewissermaßen dienende Funktion. Keine einzige Abbildung im Booklet bezieht sich auf die Neuproduktion von Goethes Trauerspiel 1810, und mehr noch: In der Tat wird der Innovationsanspruch des Projekts nicht wenig konterkariert durch die Wahl nicht des originalen Goethe‘schen Textes, auch nicht einer von Friedrich Mosengeil und Franz Grillparzer erstellten ‚deklamatorischen Fassung‘ aus den Jahren 1821/1834 (die erst nach Beethovens Tod erfolgt sein und infolgedessen keinerlei Authentizitätsanspruch erheben kann) – vielmehr liegt hier eine Adaption dieser Mosengeil/Grillparzer-Fassung durch Föttinger vor, die die Mosengeil/Grillparzer-Fassung kürzt und stattdessen Goethe-Texte restituiert. 2015 wurde von dieser Fassung durch Christopher Hampton eine englische Version erstellt, die mit Charles Dance als Rezitator im selben Jahr in Granada aus der Taufe gehoben wurde und hier Vehikel für John Malkovich ist (übrigens wurden Klärchens Gesänge nicht zweisprachig eingespielt – also auch hier keine wirkliche Konsequenz im editorischen Konzept).

Eine derart verquaste Quellenkonglomeration beeinträchtigt naturgemäß den vollen philologischen und dramaturgisch-logischen Wert der vorliegenden Produktion – was umso bedauerlicher ist, handelt es sich doch meines Wissens um die erste historisch informierte Einspielung von Beethovens kompletter Schauspielmusik. Was natürlich nicht besagen soll, dass die eingerichtete ‚monodramatische‘ Version nicht in sich schlüssig und ästhetisch ansprechend wäre.

Von dieser problematischen Ausgangslage abgesehen, haben wir es in mehrerlei Hinsicht mit einem absoluten Glücksfall zu tun. Das Orchester Wiener Akademie unter Martin Haselböck erhellt Beethovens Musik mit großer Frische und Klarheit. Die Ouvertüre, zu der es historisch informiert natürlich eine Reihe Konkurrenzeinspielungen gibt, ist im Vergleich ausgesprochen konzise. Die trockene Akustik des Josefstädter Theaters verschafft den musikalischen Strukturen auch hier besondere Klarheit und mindert den in manch ‚moderner‘ Interpretation unüberhörbaren überhöht pathetischen Tonfall. Die Wiener Musiker kennen ihren Beethoven – und gerade der Verzicht auf äußerliches Pathos verstärkt den Charakter der ‚dienenden‘ Schauspielmusik, die dennoch ihr ganzes Recht behält. Bernarda Bobro als Klärchen überzeugt durch dramatisch-dramaturgisch sorgsam abgestimmte Darstellung, man darf ihre Leistung wohl als eine der besten der Partie auf Tonträger in den letzten Jahren bezeichnen.

Herbert Föttinger gestaltet den Rezitationspart mit starker dramatischer Kraft, lässt die mehr als 200 Jahre alten Verse sprechend lebendig werden. Nur in manchen Momenten scheint dem Rezensenten seine Wiedergabe zu ‚modern‘, zu heutig, nicht ganz mit dem Blick auf eine historische Informiertheit, die ja gerade Haselböcks Markenzeichen ist. Malkovich gar bietet eine nicht-englische, irgendwie angloamerikanische Version – rein klanglich berückend (ohne Frage ist Malkovich ein Sprachmagier, auf seinem Gebiet dem legendären Klaus Kinski vergleichbar), für mich von der Aussprache her aber nicht selten eine Zumutung. Dass Föttinger und Malkovich auf dem CD-Cover Erwähnung finden, Bobro hingegen nicht, ist eine unangemessene Proportionsverschiebung – Text und Musik müssen Hand in Hand gehen, wenn das Konzept aufgehen soll, und so müssen es auch die Editoren des Booklets gestalten.

Aufnahmetechnisch ist die große Klarheit, in der die Musik zu hören ist, ein absoluter Pluspunkt; dass man sich ein paar mehr Tracktrennungen hätte wünschen können (zumindest die Gesänge Klärchens von der Rezitation klar separiert), sei nur am Rande vermerkt. Musikalisch haben wir hier also ein interessantes und überzeugendes Ereignis, in der Verbindung von Text und Musik sind allerdings Abstriche zu machen – aus der Perspektive eines historisierenden ‚Resound‘ fehlt gleich in mehrfacher Hinsicht die letzte Konsequenz, die die genaue Verortung von Beethovens Musik und ihre Funktion in Goethes Drama erst richtig klar gemacht hätte. Und vielleicht hätte der Besuch in Oravita ja noch weiteren Erkenntnisgewinn bringen können.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Beethoven, Ludwig van: Resound Vol.3

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Alpha Classics
2
06.05.2016
Medium:
EAN:

CD
3760014194726


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Beethoven, Ludwig van


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Alpha Classics

"Haute-Couture-Label", "Orchidee im Brachland der Klassikbranche" oder schlicht "Wunder", das sind die Titel mit denen das französische Label ALPHA von der Fachpresse hierzulande bedacht wird. In der Tat ist die Erfolgsgeschichte des Labels ein kleines Wunder. Honoriert wurde hiermit die Pionierlust und Entdeckerfreude des Gründers Jean-Paul Combet und die außerordentliche Qualität seiner Künstler und Ensembles (z.B. Vincent Dumestre, Marco Beasley, Christina Pluhar u.v.a.), aber auch die auffallend schöne, geschmackvolle Präsentation der Serie "ut pictura musica" mit ihren inzwischen mehr als 200 Titeln. Das schwarze Front-Layout und die Grundierung mit venezianischem Papier im Innern sind mittlerweile genauso zum Markenzeichen geworden wie die ausgesprochen stimmungsvollen Fotografien der Aufnahmesitzungen durch den Fotografen Robin Davies. Das Programm umfasst die Zeitspanne von der mittelalterlichen Notre Dame-Schule bis hin zur klassischen Moderne, doch ist nach wie vor ein deutlicher Schwerpunkt auf Alte Musik zu erkennen. Innerhalb des Labels möchte die zweite, auch "Weiße Reihe" genannte, Serie "Les Chants de la terre" die ältesten Quellen musikalischen Ausdrucks erkunden. Mit Virtuosität und Spielfreude widmet man sich hier dem Beziehungsfeld von schriftlich überlieferten und mündlich weitergegebenen Musiktraditionen, um alte Melodien zu neuem Leben zu erwecken. Trotz akribischer musikwissenschaftlicher Recherche geht es hier nicht um eindimensionale, akademisch trockene Werktreue, sondern um lebendigen Umgang mit altem Material.


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