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Samstag, 23. September 2023

Zimmermann, Bernd Alois - Werke für Sinfonieorchester

Jenseits der Stile


Label/Verlag: WERGO
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Das WDR Sinfonieorchester bietet unter der Leitung von Peter Hirsch eine hochexpressive und feinsinnige Deutung der Orchesterwerke von Bernd Alois Zimmermann.

Nicht zuletzt Peter Hirsch ist die längst überfällige Bernd Alois Zimmermann-Renaissance zu danken; gerade die formativen Frühwerke holte Hirsch aus der Versenkung und machte sich besonders auch für die Wiederaufführung der ursprünglichen Fassung der 'Sinfonie in einem Satz' (1951) stark. Nach der Uraufführung unter Hans Rosbaud hat Zimmermann das Werk grundlegend überarbeitet, und auch schon bei der Uraufführung waren Änderungen im Vergleich zum Manuskript vorgenommen worden. Das WDR Sinfonieorchester Köln, das traditionsgemäß das Schaffen Zimmermanns pflegt, bietet das apokalyptisch-eruptive Werk in einer angemessen wild-emotionalen Wiedergabe, nicht ohne die differenzierten ppp-Farbschattierungen gleichermaßen kongenial zur Wirkung zu bringen. Zimmermann war seinerzeit in Sorge gewesen, ob der Charakter des Werkes zu rhapsodisch sei – die vorliegende Interpretation erweist aber die dramatische Stringenz des instrumentatorisch und harmonisch spannenden Werkes, das man (auch in seiner ursprünglichen Gestalt) als Klassiker der Nachkriegssinfonik bezeichnen kann.

Zimmermanns Auseinandersetzung mit der musikalischen Tradition spiegelt sich in dem fast neoklassizistischen 'Konzert für Streichorchester' (1948), das aber auch andere Momente der Musik der Zeit spiegelt. Die feinsinnig-kraftvolle Komposition hat apologetische Einlassungen wie jene im Booklet nicht nötig, die sich aber gerne ergeben, wenn man sich zu ausschließlich mit dem Œuvre eines Komponisten befasst und die umfassendere Kontextualisierung aus dem Blick verliert. Interessanter ist da die 'Giostra Genovese (Alte Tänze verschiedener Meister)' für kleines Orchester (1962), die einerseits aus der Ferne Respighi et al. grüßen lässt, aber gleichzeitig selbst über die Adaptionen alter Musik etwa von Michael Tippett weit hinausgeht; die Verbindung von Konsonanz und (atonaler und polytonaler) Dissonanz kann – etwa mit Blick auf Peter Maxwell Davies und andere – durchaus als zukunftsweisend angesehen werden.

Die Collage traditioneller und neuer Musik ist exemplarisch durchgeführt in der berühmten 'Musique pour les soupers du Roi Ubu' (1966). Was ursprünglich als Überarbeitung der 'Giostra Genovese' gedacht war, wuchs sich zu einem ‚Ballet noir‘, wie Zimmermann es nennt, aus, Zitate von Berlioz, Wagner, Mussorgskij und vielen anderen werden zu Zimmermanns ureigenstem Stil in unmittelbare Verbindung gesetzt, doch auch Jazzelemente werden gleichberechtigt interpoliert; die Originalfassung der 'Giostra Genovese' ist durchaus noch erkennbar, doch überwuchern neue Stimmen häufig stark die früher noch deutlicher hervortretenden Originalstimmen.

Zimmermanns Kompositionsleistung, die damals hörbar zum Skandal aufrufen musste und die damaligen Orchester sicher nicht selten an den Rand ihrer interpretatorischen Fähigkeiten führte (oder darüber hinaus), hat im WDR Sinfonieorchester unter Peter Hirsch überaus souveräne Sachwalter. Nachdem in den letzten Jahren die allzu lange allzu tief schlummernde Zimmermann-Reihe durch neue Produktionen hörbar ‚verjüngt‘ worden ist, fügen die Interpreten dieser Reihe nun eine weitere Platte mit Referenzeinspielungen hinzu. Einzig die Einlassungen im Booklettext sind, wie schon vermerkt, gelegentlich etwas zu apologetisch-oberflächlich – was aber den Wert der auch aufnahmetechnisch exemplarischen Einspielungen nicht im Geringsten mindert. Die WDR-Aufnahmetechnik zeigt einmal mehr, dass es keinen SACD-Klang braucht, um komplexe musikalische Sachverhalte kongenial abzubilden.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:






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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Zimmermann, Bernd Alois: Werke für Sinfonieorchester

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
WERGO
1
03.06.2016
Medium:
EAN:

CD
4010228734027


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Zimmermann, Bernd Alois


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WERGO

Als 1962 die erste Veröffentlichung des Labels WERGO erschien - Schönbergs "Pierrot lunaire" mit der Domaine musicale unter Pierre Boulez -, war dies ein Wagnis, dessen Ausgang nicht abzusehen war. Werner Goldschmidt, ein Kunsthistoriker, Sammler und Enthusiast im besten Sinne, war es, der - gemeinsam mit dem Musikwissenschaftler Helmut Kirchmayer - den Grundstein zu dem Label legte, das seit inzwischen 50 Jahren zu den führenden Labels mit Musik unserer Zeit zählt.
Noch immer hält WERGO am Anspruch, unter den Goldschmidt seine "studioreihe neue musik" gestellt hatte, fest: die hörende wie lesende Beschäftigung mit der neuen Musik anzuregen und in Produktionen herausragender InterpretInnen und von FachautorInnen verfassten ausführlichen Werkkommentaren zu dokumentieren.
Auf mehr als 30 Schallplatten kam die Reihe mit roter und schwarzer Schrift auf weißem Cover, dann wurde die Unternehmung zu groß für einen Einzelnen. Seit 1967 engagierte sich der Musikverlag Schott zunehmend für das Label, 1970 schließlich nahm Schott das Label ganz in seine Obhut. Seither wurden mehr als 600 Produktionen veröffentlicht, die ungezählte Preise erhalten haben und ein bedeutendes Archiv der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts darstellen.
Kaum einer der arrivierten zeitgenössischen Komponisten fehlt im Katalog. Ergänzt wird dieser Katalog seit 1986 durch die inzwischen auf über 80 Porträt-CDs angewachsene "Edition Zeitgenössische Musik" des Deutschen Musikrats, die mit Werken junger deutscher KomponistInnen bekannt macht. Neben dieser Zusammenarbeit bestehen Kooperationen mit dem Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe ("Edition ZKM") und dem Studio für Akustische Kunst des Westdeutschen Rundfunks ("Ars Acustica"). Im Bereich "Weltmusik" kooperiert WERGO eng mit dem Berliner Haus der Kulturen der Welt und der Abteilung Musik des Ethnologischen Museums Berlin. Die "Jewish Music Series" stellt die vielfältigen Musiktraditionen der jüdischen Bevölkerungen der Kontinente in ihrer ganzen Bandbreite vor. Zahlreiche Veröffentlichungen mit Computermusik sind in der Reihe "Digital Music Digital" erschienen. Neue Editionen wie die legendäre "Contemporary Sound Series" des Komponisten Earle Brown oder die des Ensembles musikFabrik kamen in den vergangenen Jahren hinzu.
Die Diversifizierung, die das Programm von WERGO seit seiner Gründung erfahren hat, ist der Weitung des zeitgenössischen musikalischen Bewusstseins ebenso geschuldet wie sie zu dieser stets beitrug - eine Aufgabe, der sich WERGO auch in Zukunft verpflichtet fühlt.


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