
Zimmermann, Bernd Alois - Werke für Sinfonieorchester
Jenseits der Stile
Label/Verlag: WERGO
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Das WDR Sinfonieorchester bietet unter der Leitung von Peter Hirsch eine hochexpressive und feinsinnige Deutung der Orchesterwerke von Bernd Alois Zimmermann.
Nicht zuletzt Peter Hirsch ist die längst überfällige Bernd Alois Zimmermann-Renaissance zu danken; gerade die formativen Frühwerke holte Hirsch aus der Versenkung und machte sich besonders auch für die Wiederaufführung der ursprünglichen Fassung der 'Sinfonie in einem Satz' (1951) stark. Nach der Uraufführung unter Hans Rosbaud hat Zimmermann das Werk grundlegend überarbeitet, und auch schon bei der Uraufführung waren Änderungen im Vergleich zum Manuskript vorgenommen worden. Das WDR Sinfonieorchester Köln, das traditionsgemäß das Schaffen Zimmermanns pflegt, bietet das apokalyptisch-eruptive Werk in einer angemessen wild-emotionalen Wiedergabe, nicht ohne die differenzierten ppp-Farbschattierungen gleichermaßen kongenial zur Wirkung zu bringen. Zimmermann war seinerzeit in Sorge gewesen, ob der Charakter des Werkes zu rhapsodisch sei – die vorliegende Interpretation erweist aber die dramatische Stringenz des instrumentatorisch und harmonisch spannenden Werkes, das man (auch in seiner ursprünglichen Gestalt) als Klassiker der Nachkriegssinfonik bezeichnen kann.
Zimmermanns Auseinandersetzung mit der musikalischen Tradition spiegelt sich in dem fast neoklassizistischen 'Konzert für Streichorchester' (1948), das aber auch andere Momente der Musik der Zeit spiegelt. Die feinsinnig-kraftvolle Komposition hat apologetische Einlassungen wie jene im Booklet nicht nötig, die sich aber gerne ergeben, wenn man sich zu ausschließlich mit dem Œuvre eines Komponisten befasst und die umfassendere Kontextualisierung aus dem Blick verliert. Interessanter ist da die 'Giostra Genovese (Alte Tänze verschiedener Meister)' für kleines Orchester (1962), die einerseits aus der Ferne Respighi et al. grüßen lässt, aber gleichzeitig selbst über die Adaptionen alter Musik etwa von Michael Tippett weit hinausgeht; die Verbindung von Konsonanz und (atonaler und polytonaler) Dissonanz kann – etwa mit Blick auf Peter Maxwell Davies und andere – durchaus als zukunftsweisend angesehen werden.
Die Collage traditioneller und neuer Musik ist exemplarisch durchgeführt in der berühmten 'Musique pour les soupers du Roi Ubu' (1966). Was ursprünglich als Überarbeitung der 'Giostra Genovese' gedacht war, wuchs sich zu einem ‚Ballet noir‘, wie Zimmermann es nennt, aus, Zitate von Berlioz, Wagner, Mussorgskij und vielen anderen werden zu Zimmermanns ureigenstem Stil in unmittelbare Verbindung gesetzt, doch auch Jazzelemente werden gleichberechtigt interpoliert; die Originalfassung der 'Giostra Genovese' ist durchaus noch erkennbar, doch überwuchern neue Stimmen häufig stark die früher noch deutlicher hervortretenden Originalstimmen.
Zimmermanns Kompositionsleistung, die damals hörbar zum Skandal aufrufen musste und die damaligen Orchester sicher nicht selten an den Rand ihrer interpretatorischen Fähigkeiten führte (oder darüber hinaus), hat im WDR Sinfonieorchester unter Peter Hirsch überaus souveräne Sachwalter. Nachdem in den letzten Jahren die allzu lange allzu tief schlummernde Zimmermann-Reihe durch neue Produktionen hörbar ‚verjüngt‘ worden ist, fügen die Interpreten dieser Reihe nun eine weitere Platte mit Referenzeinspielungen hinzu. Einzig die Einlassungen im Booklettext sind, wie schon vermerkt, gelegentlich etwas zu apologetisch-oberflächlich – was aber den Wert der auch aufnahmetechnisch exemplarischen Einspielungen nicht im Geringsten mindert. Die WDR-Aufnahmetechnik zeigt einmal mehr, dass es keinen SACD-Klang braucht, um komplexe musikalische Sachverhalte kongenial abzubilden.
Dieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!
Ihre Meinung? Kommentieren Sie diesen Artikel
Jetzt einloggen, um zu kommentieren.
Sind Sie bei klassik.com noch nicht als Nutzer angemeldet, können Sie sich hier registrieren.
Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
![]() Cover vergrößern |
Zimmermann, Bernd Alois: Werke für Sinfonieorchester |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
WERGO 1 03.06.2016 |
Medium:
EAN: |
CD
4010228734027 |
![]() Cover vergössern |
Zimmermann, Bernd Alois |
![]() Cover vergössern |
WERGO Als 1962 die erste Veröffentlichung des Labels WERGO erschien - Schönbergs "Pierrot lunaire" mit der Domaine musicale unter Pierre Boulez -, war dies ein Wagnis, dessen Ausgang nicht abzusehen war. Werner Goldschmidt, ein Kunsthistoriker, Sammler und Enthusiast im besten Sinne, war es, der - gemeinsam mit dem Musikwissenschaftler Helmut Kirchmayer - den Grundstein zu dem Label legte, das seit inzwischen 50 Jahren zu den führenden Labels mit Musik unserer Zeit zählt. Mehr Info... |
![]() Cover vergössern |
Jetzt kaufen bei...![]() |
Weitere Besprechungen zum Label/Verlag WERGO:
-
'Spannungslage einer Wohlstandsgesellschaft': Klanglich vorzüglicher Uraufführungsmitschnitt eines vielgestaltigen 'Oratoriums'. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
-
Faszinierende Klangwelten aus der Quelle der Stille: Matthias Kaul überzeugt mit John Cage. Weiter...
(Michael Pitz-Grewenig, )
-
Klanglich zerrissen: Diese Einspielung von Manfred Trojahns zweitem Streichquartett hat Referenzcharakter. Weiter...
(Michael Pitz-Grewenig, )
Weitere CD-Besprechungen von Dr. Jürgen Schaarwächter:
-
Es dreht sich nur um einen: Der Klaviertriokomponist Camille Saint-Saëns als Schöpfer und Nachschöpfer. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
-
Kein überzeugendes Plädoyer: Dem Constanze Quartett mangelt es an rhetorischer Überzeugungskraft, um drei Streichquartette Emilie Mayers zu einem besonderen Erlebnis zu machen. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
-
Pionierleistungen: Bedeutsame Dokumente der Havergal-Brian-Diskografie. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
Weitere Kritiken interessanter Labels:
-
Lohnende Neuauflage: Hochwertige Liszt-Aufnahmen von Michael Korstick, gesammelt in einer neuen Edition. Weiter...
(Oliver Bernhardt, )
-
Komplexe Kunst: Verlässlich bringt das Orlando Consort wie hier mit Machaut ferne Musik ans Ohr der Gegenwart und lässt sie ebenso regelmäßig auf erstaunliche Weise bei aller Komplexität frisch, relevant und dringlich klingen. Weiter...
(Dr. Matthias Lange, )
-
"Mannheimer goût" mit enormem Eigenwert: David Castro-Balbi und das Württembergische Kammerorchester Heilbronn unter Kevin Griffiths überzeugen auf ganzer Linie mit Werken von Johann Stamitz. Weiter...
(Dr. Kai Marius Schabram, )
Portrait

"Schumann ist so tiefgreifend, dass er den Herzensgrund erreicht."
Die Pianistin Jimin-Oh Havenith im Gespräch mit klassik.com.
Sponsored Links
- Opernreisen und Musikreisen bei klassikreisen.de
- Konzertpublikum
- Musikunterricht
- klassik.com Radio
- Urlaub im Schwarzwald
- Neue Musikzeitung
- StageKit - Websites für Musiker, Veranstalter und Konzertagenturen
Hinweis:
Mit Namen oder Initialen gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers,
nicht aber unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Die Bewertung der klassik.com-Autoren:
Überragend
Sehr gut
Gut
Durchschnittlich
Unterdurchschnittlich