
Mondonville, Jean-Joseph Cassanea de - Motetten
Bemühungen vereitelt
Label/Verlag: Glossa
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Dieser Einspielung der 'Grand Motets' von Jean-Joseph Cassanéa de Mondonville fehlt es deutlich an stilistischer Feinfühligkeit für das französische Idiom, vor allem im Vokalen.
Wer sich nach William Christie mit französischer Barockmusik befasst, muss sich möglicherweise fast beängstigender Konkurrenz bewusst sein. William Christie und seine Schule haben den Blick auf die Musik der Zeit Louis XIV. und Louis XV. geradezu revolutioniert, die (durchaus verdienstvollen) Einspielungen aus den 1970er-Jahren zum großen Teil sehr schnell im wahrsten Sinne alt aussehen lassen. Die vorliegende Doppel-CD präsentiert vier 'Grands Motets' des Rameau-Zeitgenossen Jean-Joseph Cassanéa de Mondonville (1711–1772) aus den 1730er- und 1740er-Jahren, von denen nur 'De profundis' (1748) auch von Christie eingespielt wurde ('Nisi Dominus' von 1743, 'Cantate Domino' von 1742 und 'Magnus Dominus' von 1734 liegen unter Christie leider nicht vor). Die Motetten jeweils für Soli, Chor und Orchester sind allesamt hoch anspruchsvoll, und leider muss gesagt werden, dass die vorliegende Einspielung höchstens im orchestralen Anteil der Konkurrenz Paroli bieten kann.
Von den ersten Takten an fällt auf, dass György Vashegyi und der (ungarische) Purcell Choir Mondonville stilistisch eher bei Händel und Bach denn in Frankreich verorten. Will sagen – frankophones Flair fehlt dieser ungarischen Einspielung völlig, und dies nicht nur wegen des zumeist fehlenden französischen Akzents im lateinischen Text. Der Kammerchor, der beeindruckend flexibel und dynamisch differenziert musiziert, singt, als wisse er die Musik nicht im geringsten einzuordnen, und beeinträchtigt damit gleichermaßen die orchestralen wie die solistischen Leistungen teilweise erheblich.
Leider sind auch die Solisten nicht in einheitlicher Qualität besetzt. Die Israelin Daniela Skorka, die 2013 auch mit Christie zusammengearbeitet hat, erinnert an die mit nur wenig Stilgefühl agierenden ungarischen Sängerinnen der 1980er-Jahren, und es ist kaum vorstellbar, dass sich das Bewusstsein für angemessenen Stil nicht auch hier weiterentwickelt habe. Skorka bietet einen knabenhaft-hellen, etwas zu offen geführten Sopran, so dass ihre Verzierungskünste (und ihr Versuch, französisch Lateinisch zu singen) immer noch nicht ganz an die optimalen Leistungen heranreichen, die Christie und andere aufbieten konnte. Dennoch rangiert sie weit vor der eher verquollenen Ton und nur approximative Koloraturen bietenden Chantal Santon-Jeffery, die immerhin mit Hervé Niquet und Jean-Claude Malgoire zusammengearbeitet hat und zwar starken musikalischen Ausdruck bietet, aber vom Stilgefühl der Musik eher fern steht. Ähnliches ist über den Bariton Alain Buet zu sagen, der (obschon er mit Christie, Malgoire und Niquet zusammengearbeitet hat) vor allem gestaltlose, vibratolastige Melodielinien (sofern man von Linien noch sprechen kann) produziert und damit den Hörer ermuntert, seine Beiträge programmierend zu überspringen. Ganz anders die beiden weiteren Herren. Mathias Vidal bemüht sich sehr, französisches Flair aufkommen zu lassen; er bietet hohes Stilgefühl, sorgsam ausgeglichene Registerverblendung und überzeugende Höhe (bei einem Haute-Contre immer eine heikle Angelegenheit). Ihm nicht ebenbürtig ist der zweite Haute-Contre, der Amerikaner Jeffrey Thompson; ihm mangelt es am letzten Quäntchen ‚esprit gallois‘, der die Musik so klar auszeichnet.
Gerade bei derart uneinheitlichen Leistungen muss man sich fragen, ob Dirigent György Vashegyi derartige Divergenzen nicht gehört oder warum er seinen Interpretationsansatz nicht in die eine oder andere Richtung angepasst hat. So haben wir eine musikalisch unausgegorene, stilistisch ziellose Darbietung, die euphemistisch allerhöchstens als kosmopolitisch bezeichnet werden kann. Das ist gerade wegen der orchestralen Leistungen schade, die immer wieder nahe dran sind, französischen Geist zu vermitteln. Leider werden diese Bemühungen aber durch einen Großteil der vokalen Beiträge aus dem einen oder anderen Grund immer wieder vereitelt.
Aufnahmetechnisch ist an der Einspielung nichts auszusetzen, und im Booklet fehlen nur Informationen zu den Interpreten (vielleicht bewusst, um den fehlenden Konnex zu französischer Barockmusik nicht durchscheinen lassen zu müssen?).
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Mondonville, Jean-Joseph Cassanea de: Motetten |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Glossa 2 08.04.2016 |
Medium:
EAN: |
CD
8424562235083 |
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