
Martinu, Bohuslav - Suiten aus Spalicek / Rhapsody-Concerto
Farbenfrohes Panorama tschechischer Märchen
Label/Verlag: Chandos
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Mit der vorliegenden Einspielung vermittelt das Estonian National Symphony Orchestra dem Zuhörer ein umfangreiches und sowohl virtuos als auch leidenschaftlich präsentiertes Kaleidoskop tschechischer Märchen und Sagen. Empfehlenswert!
Ein Zuhörer, der den beiden Suiten zum Werk mit dem bezeichnend malerischen Titel 'Ŝpalíĉek' zum ersten Mal begegnet, wird schwerlich darauf kommen, dass die Musik ursprünglich nicht als reines Instrumentalwerk, sondern als Zusammenspiel aus Tanz, Gesang und Musik konzipiert war, genauer gesagt als Opernballett. Natürlich ist die Vorstellung einer szenischen Darstellung angesichts der hier zusammengestellten Vielfalt an mal tänzerisch-feurigen, mal lyrisch-melancholischen und mal humorvoll-übermütigen Melodien mehr als naheliegend. Dennoch zeigen die Mitglieder des Estonian National Symphony Orchestras unter der Leitung von Neeme Järvi, dass die Orchesterfassung keine Reduktion des Originals ist, sondern lediglich eine andere Perspektive, die dem Zuhörer einen ebenso ausführlichen und unverstellten Blick in die tschechische Märchen- und Sagenwelt ermöglicht. Man könnte sogar so weit gehen zu behaupten, dass die reine Instrumentalfassung es dem Hörer leichter macht, sich das Werk anzueignen, da er sich vollkommen auf die musikalische Gestaltung konzentrieren und die schillernde Instrumentierung, die klangfarblichen und harmonischen Wechsel und die verschiedenen emotionalen Stimmungen viel intensiver wahrnehmen – und genießen – kann.
Meisterhafte und vielfarbige Instrumentierung
Vom ersten bis zum letzten Ton der beiden Konzertsuiten fühlt man sich mitgerissen vom Sog der verschiedenen Melodien und Tänze zu Märchen, die hierzulande teils bekannt sind – z.B. ‚Der gestiefelte Kater‘ oder ‚Cinderella‘ –, teils aber auch aus der typisch tschechischen Märchenwelt stammen wie die Geschichte von dem Steinklopfer und dem Tod oder die Legende von Dorothea. Bemerkenswert ist nicht in erster Linie die lautmalerische Komponente, obwohl sie angesichts des der Musik zugrunde liegenden Stoffes eine tragende Rolle spielt, sondern die von den Musikern präsentierte ausgeprägte Emotionalität der verschiedenen Abschnitte, die alle nahezu fließend ineinander überzugehen scheinen, obwohl die dargestellten Szenerien teils ausgesprochen gegensätzlich sind. Martinůs Orchester verfügt neben dem gewohnten Instrumentenvorrat über einen umfangreichen Schlagzeugapparat sowie ein Klavier. Diese Besetzung sorgt dafür, dass die Aussagekraft der Musik in manchen Sätzen besonders deutlich hervortritt und es auch ohne Kenntnis der zugrunde liegenden Inhalte möglich ist, sich ein persönliches Bild zu machen. Hervorzuheben ist hier beispielsweise der Ausschnitt aus dem Märchen ‚Cinderella‘ aus der ersten Konzertsuite. Vor dem Hintergrund des Märchens ist es naheliegend, den Wechsel zwischen melancholischen und tänzerischen Abschnitten darauf zurückzuführen, dass Cinderella sehnsüchtig an den Ball denkt, während sie alleine zu Hause ist und noch nicht ahnt, wie sich die Geschichte entwickeln wird. Ohne dieses Hintergrundwissen sticht besonders der emotionale Gehalt hervor, der diesem Stück nicht zuletzt durch die Hinzufügung des Klavierklangs verliehen wird. Nachdem das solistische Cello in einer ausdrucksstarken und rezitativisch angehauchten Eröffnungsmelodie in den Satz eingeleitet hat, wirkt der Klavierklang nicht nur überraschend, sondern dient dazu, die melancholisch-sehnsüchtige Grundstimmung zu unterstützen und noch zu verstärken. Der Pianistin Liidia Ilves gelingt es mit einer ebenso zarten wie brillanten Anschlagstechnik, sich harmonisch in den Orchesterapparat einzugliedern und gleichzeitig die charakteristische Klangfarbe des Klaviers hervorragend zur Geltung zu bringen, ohne sich zu sehr in den Vordergrund zu drängen.
Rhapsodisches Solokonzert mit neuen Ausdrucksmöglichkeiten
Den Ausklang der beim Label Chandos erschienenen Aufnahme bildet ein Werk für Solobratsche, das Martinů in seinen letzten Lebensjahren komponiert hat und das die Gattung des Solokonzerts um den Zusatz ‚Rhapsodie-Konzert‘ erweitert. Durch die freie Form, die sich in kein bestimmtes Schema pressen lässt, erhält auch der Solist Mikhail Zemtsov zusätzliche Freiheiten, die er hervorragend in die gesamte Bandbreite seiner musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten einfließen zu lassen versteht und die Wirkung auf den Zuhörer so noch verstärkt. Einige Abschnitte klingen wie Rezitative, in denen die Bedeutung jedes einzelnen Tons deutlich zu spüren ist, andere Abschnitte bestehen aus einem Dialog mit verschiedenen solistischen Orchesterinstrumenten, wobei die Viola sich gelegentlich in den Hintergrund stellt, um dem Hörer den Blick auf andere Klangfarben zu ermöglichen. Auf diese Weise scheint Martinů den herkömmlichen Anspruch eines Solokonzerts, mit dem sich in erster Linie ein einziger Künstler präsentiert, um eine deutlich orchestralere Komponente zu erweitern, was die Virtuosität und den hohen Ausdrucksgehalt der solistischen Darstellung keineswegs mindert.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Martinu, Bohuslav: Suiten aus Spalicek / Rhapsody-Concerto |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Chandos 1 05.02.2016 |
Medium:
EAN: |
CD
095115188521 |
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Martinu, Bohuslav |
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Chandos Chandos Records was founded in 1979 by Brian Couzens and quickly established itself as one of the world's leading classical labels. Prior to forming the label, Brian Couzens, along with his son Ralph, worked for 8 years running a mobile recording unit recording for major labels (including RCA, Polydor, CFP, etc.) with many of the world's leading artists.
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