
Evgeny Mravinsky Edition Vol.1 - Werke von Tschaikowsky, Haydn, Mozart, u.a.
Schwankende Qualität
Label/Verlag: Profil - Edition Günter Hänssler
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Eine Box mit Aufnahmen, die Jewgenij Mrawinskij zwischen 1946 und 1962 gemacht hat. Grundsätzlich ein großartiger Dirigent, allerdings sind dies nicht durchweg seine besten Aufnahmen.
Mehrere Labels haben in den letzten Jahren den russischen Dirigenten Jewgenij Mrawinskij mit großen Editionen geehrt, nun erscheinen auch bei Profil Edition Günter Hänssler sechs CDs. Darauf steht der Vermerk Folge 1; man darf sich also wohl auf noch mehr Mrawinskij freuen.
Nun ist zwar Mrawinskij, der über 40 Jahre Chef der Leningrader Philharmoniker war, ohne Zweifel einer der spannendsten Dirigenten des 20. Jahrhunderts gewesen und seine Aufnahmen sind in vielen Aspekten schwer zu übertreffen, allerdings muss man eingestehen, dass ihre Qualität sehr stark schwankt. Teilweise ist das von ihm nicht verschuldet, wenn es nämlich um die klangtechnische Seite geht. Die Aufnahmen der neu erschienenen Box entstanden zwischen 1946 und 1962 und enthalten einige Beispiele dafür, die beim Anhören nur wenig Freude machen.
Das betrifft insbesondere einige Konzertmitschnitte, etwa die Debussy- und Ravel-Aufnahmen von 1960 und 1962, die komplette fünfte CD der Box klingt also phänomenal schlecht. Da ist außerdem der Mitschnitt eines Konzerts vom 16. Oktober 1961, bei dem auch Mozarts Symphonie Es-Dur KV 543 gespielt wurde. Klanglich ist das ein Desaster, das Publikum leistet seinen Beitrag durch ein unwahrscheinliches Gehuste. Auf der musikalischen Seite fallen die (mit Ausnahme des ziemlich gemessenen 'Andante'-Satzes) sehr flotten und absolut konstanten, ja starren Tempi auf, attraktiv ist lediglich das Menuett. In diesem Fall treffen sich also schlechte Aufnahmequalität und mäßige musikalische Umsetzung.
Objektiv genauso furchtbar klingt Schostakowitschs Zwölfte Symphonie, die im selben Konzert aufgeführt wurde. Sie wirkt dennoch nicht so schlimm, vielleicht ist man bei Schostakowitsch einen solchen Klang von anderen alten Aufnahmen eher gewohnt. Es gibt schließlich einige großartige Interpretationen aus dieser Zeit, während man sich Mozart in der Regel doch eher in aktuelleren Einspielungen anhört. Auch diese Interpretation setzt zweifellos Maßstäbe: Sie ist so aufregend, wie man sich das bei Mrawinskij vorstellt, außerdem wurde sie zwei Wochen nach der von Mrawinskij dirigierten Uraufführung aufgenommen und ist schon deswegen ein bedeutendes Dokument.
Von Schostakowitsch, für Mrawinskij sicher einer der wichtigsten Komponisten, ist auch die Sechste Symphonie enthalten. Die Aufnahme stammt von 1946 und klingt daher ebenfalls ziemlich furchtbar. Die Symphonie war damals immerhin auch erst sieben Jahre alt, der Komponist war gerade 40, man muss sich das vor Augen halten. Mrawinskijs Interpretation wirkt allerdings ungewohnt verhalten, zumal im ersten Satz, und letztlich gibt es viele empfehlenswertere Aufnahmen.
Von technisch sehr mäßiger Qualität ist leider auch ein Konzertmitschnitt von 1951, bei dem Mrawinskij zusammen mit Swjatoslaw Richter das Zweite Klavierkonzert von Brahms spielte, doch der Klang ist noch erträglich. Der Ansatz ist – wie zu erwarten – zupackend und kraftvoll, wenn auch technisch mit einigen Fehlern behaftet. Aufnahmen von Solokonzerten mit Mrawinskij gibt es eher selten. Angeblich hat er mit bekannten Solisten nicht allzu gerne zusammen gearbeitet, vielleicht verstand er sich nicht gut mit ihnen. Dennoch ist auch das Erste Klavierkonzert von Tschaikowskij enthalten, ebenfalls mit Swjatoslaw Richter. Diese Einspielung lässt sich mit dem Brahms-Mitschnitt überhaupt nicht vergleichen. Sie entstand einige Jahre später, 1959, vor allem aber im Studio und klingt ganz ordentlich. Außerdem ist sie aber, und das lässt sich von der offenbar mit heißer Nadel gestrickten Brahms-Aufnahme nicht behaupten, wirklich sorgfältig gestaltet sowohl von Richter als auch vom Orchester, bis hin zu den Bläsersoli im zweiten Satz. Auch nach fast 60 Jahren ist dies daher eine sehr beeindruckende Aufnahme.
Tschaikowskij ist sicher neben Schostakowitsch der Komponist, für den Mrawinskij besonders berühmt war, und so sind in der Box auch die Symphonien vier bis sechs enthalten. Von denen hat Mrawinskij, wie übrigens auch von den Schostakowitsch-Werken, gleich mehrere Aufnahmen hinterlassen, die sich teilweise deutlich unterscheiden. Die Aufnahmen dieser Box haben einen großen Vorteil: Sie klingen sehr gut. Entstanden sind sie im November 1960, und zwar dürften dies, obwohl das Beiheft darüber leider keine Auskunft gibt, Studio-Einspielungen sein, die bei einer Auslandsreise des Leningrader Orchesters in London entstanden. Zu hören ist scharfes Blech und ein insgesamt ungeheuer wuchtiger Orchesterklang, immer wieder aber auch überraschend ruhige Passagen. Die Interpretationen sind so mitreißend, dass sie fast allen konkurrierenden Aufnahmen überlegen sind – außer den anderen Einspielungen Mrawinskijs, die teilweise noch weitaus packender geraten sind, dafür freilich meistens nicht so gut klingen.
Immer wieder macht Mrawinskij übrigens auch dort eine gute Figur, wo man es nicht unbedingt erwartet hätte, so gibt es etwa einige sehr lohnende Beethoven-Aufnahmen. In dieser Box ist die größte Überraschung ausgerechnet eine Symphonie von Haydn, nämlich die der Nr. 101 mit dem Beinamen ‚Die Uhr‘. Es hat im Grunde wenig Sinn, diese Interpretation mit anderen zu vergleichen. Sie entstand 1952, und von Transparenz kann keine Rede sein, meistens hört man fast nur die Streicher, während die Bläser kaum eine Rolle spielen. Spannend ist dieser Haydn aber doch. Das Wort ‚energisch‘ reicht zur Beschreibung gar nicht aus, dies ist ein geradezu aggressiver Haydn, und insofern könnte man vielleicht sogar doch eine Parallele zu aktuellen, historisch informierten Ensembles ziehen, die ja häufig genug auch einigermaßen rabiat zu Werke gehen. Langweilig jedenfalls ist diese Aufnahme, ganz im Gegensatz zu den relativ wenigen anderen Haydn-Einspielungen dieser Zeit, gewiss nicht. Mrawinskij hat hier einen eigenen Weg gefunden, Haydns Musik aufregend und frisch zu gestalten, der übrigens auch viel besser funktioniert als bei der oben erwähnten Mozart-Aufnahme.
Die Geschichte der Tonaufnahme muss übrigens offenbar umgeschrieben werden, denn die Platten sind mit dem Kürzel DDD gekennzeichnet, als Digitalaufnahmen also, die folglich zwischen 1946 und 1962 schon verfügbar gewesen sein muss.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Dieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!
Ihre Meinung? Kommentieren Sie diesen Artikel
Jetzt einloggen, um zu kommentieren.
Sind Sie bei klassik.com noch nicht als Nutzer angemeldet, können Sie sich hier registrieren.
Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
![]() Cover vergrößern |
Evgeny Mravinsky Edition Vol.1: Werke von Tschaikowsky, Haydn, Mozart, u.a. |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Profil - Edition Günter Hänssler 6 08.01.2016 |
Medium:
EAN: |
CD
881488150001 |
![]() Cover vergössern |
Brahms, Johannes |
![]() Cover vergössern |
Profil - Edition Günter Hänssler Profil - The fine art of classical music
Mehr Info... |
![]() Cover vergössern |
Jetzt kaufen bei... |
Weitere Besprechungen zum Label/Verlag Profil - Edition Günter Hänssler:
-
Klangdokumente aus vier Jahrzehnten: Eine würdige Sammlung um Böhms Dresdner Schubert-Aufnahmen. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
-
Schwungvoll, aber auch etwas rabiat: Ekaterina Litvintseva ist eine gute Solistin in konzertanten Werken von Franck und Strauss, doch die übertriebene Dramatik des Orchesters unter Jonathan Bloxham tut den beiden Werken nicht gut. Etwas besser sieht es bei den Tondichtungen aus. Weiter...
(Dr. Michael Loos, )
-
Zehn zu Acht: Ein Streich-Doppelquintett und ein Oktett aus den 1840er-Jahren ergänzen eine auf Tonträger unterrepräsentierte Gattung. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
Weitere CD-Besprechungen von Jan Kampmeier:
-
Musikalischer Querkopf: Das Franz Ensemble spielt auf seiner neuen Platte groß besetzte und sehr eigenwillige Kammermusik von Franz Berwald. Weiter...
(Jan Kampmeier, )
-
Wien statt Hollywood: Das Ensemble Spectrum Concerts Berlin spielt expressive Kammermusik von Erich Wolfgang Korngold. Weiter...
(Jan Kampmeier, )
-
Klingende Geschichtsstunde: Das russische Brahms Trio präsentiert auf seiner neuen Platte mit Werken von Aljabjew, Glinka und Rubinstein die Anfänge des Klaviertrios in Russland. Weiter...
(Jan Kampmeier, )
Weitere Kritiken interessanter Labels:
-
Klavierwerke von israelischen Komponisten. Kolja Lessing: Kolja Lessing widmet sich eindrücklich den Klavierwerken israelischer Komponisten. Weiter...
(Manuel Stangorra, )
-
All die schönen Märchen sind wahr: Die Sopranistin Rebecca Bromberg entdeckt die Lieder des Spätromantikers Erich J. Wolff. Weiter...
(Karin Coper, )
-
Klangdokumente aus vier Jahrzehnten: Eine würdige Sammlung um Böhms Dresdner Schubert-Aufnahmen. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
Portrait

Das Klavierduo Silver-Garburg über Leben und Konzertieren im Hier und Heute und eine neue CD mit Werken von Johannes Brahms
Sponsored Links
- Opernreisen und Musikreisen bei klassikreisen.de
- Konzertpublikum
- Musikunterricht
- klassik.com Radio
- Urlaub im Schwarzwald
- Neue Musikzeitung
- StageKit - Websites für Musiker, Veranstalter und Konzertagenturen
Hinweis:
Mit Namen oder Initialen gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers,
nicht aber unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Die Bewertung der klassik.com-Autoren:
Überragend
Sehr gut
Gut
Durchschnittlich
Unterdurchschnittlich