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Sonntag, 1. Oktober 2023

Verdi, Giuseppe - Große Verdi-Stimmen

Das geschwundene Licht


Label/Verlag: BR-Klassik
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Der Bayerische Rundfunk durchforstet seine Archive in Sachen Verdi und fördert eine reichhaltige Sammlung zu Tage, die frühere Hochzeiten des Verdi-Gesangs wieder erlebbar macht.

‚La luce langue‘, das Licht schwindet, singt Lady Macbeth in Giuseppe Verdis berühmter Oper, und man kann die vorliegende Produktion guten Gewissens als einen Spiegel dieses schwindenden Lichts im Verdi-Gesang verstehen. In den traditionellen Sonntagskonzerten im Kongresssaal des Deutschen Museums München präsentierte das Münchner Rundfunkorchester zusammen mit Weltstars Highlights aus Oper und Operette; hinzu kommen auf der vorliegenden CD Mitschnitte aus dem Studio 1 des Bayerischen Rundfunks sowie von einem Gastspiel des Orchesters bei den Salzburger Festspielen.

Sortiert man die Einspielungen historisch, so erfährt man auch viel über das Musikleben der damaligen Zeit. 1962 war Sena Jurinac zu Gast, hier unter Horst Stein in 'Tu che la vanità' aus 'Don Carlo' zu hören. In der Höhe und in der extremen Tiefe mag ihre Stimme nicht mehr jenen Silberschimmer der 1950er-Jahre haben, dafür ist ihre musikalische Eindrücklichkeit umso stärker. Ein Vergleich mit dem vier Jahre zuvor unter Herbert von Karajan erfolgten Mitschnitt der gesamten Oper ist reizvoll.

1963 dirigierte Arnold Quennet Anneliese Rothenberger in der großen Szene 'È strano!' – 'Ah, fors‘è lui' aus 'La Traviata'. Rothenberger war die erste Deutsche, die als Violetta an der Mailänder Scala auftreten durfte, der vorliegende Mitschnitt ist eine erfreuliche Alternative zu ihrer Recital-Studioproduktion. Hier wie dort ist Rothenbergers Italienisch nicht ganz idiomatisch, doch was für eine Phrasierung, was für dynamische Schattierungen.

Aus dem Jahr 1968 stammen ganze drei Ausschnitte: Leontyne Price mit 'Surta è la notte' – 'Ernani! Ernani, involami' unter Carlo Franci, Nicolai Gedda mit 'La donna è mobile' sowie Giuseppe Taddei mit 'Ehi paggio! ... L‘onore! Ladri', beides unter Kurt Eichhorn (letzteres aus Salzburg). Bei Price wie Taddei haben wir Sängerpersönlichkeiten, deren ‚Bigger-than-life‘-Persönlichkeit unmittelbar zu hören ist; und auch wenn nicht jeder Ton bei Taddei ganz exakt sitzt, so ist er doch so um ein Vielfaches besser bei Stimme denn 1981 in Karajans Salzburger Festspielen. Gedda war häufig gut, in meinen Ohren aber auch häufig überschätzt. Auch hier chargiert er mehr als dass er charakterisiert (was gerade bei dem Duca di Mantova aber auch schwer zu vermeiden ist).

1970 waren Piero Cappuccilli mit 'Cortigiani, vil razza dannata' aus 'Rigoletto' und Carlo Bergonzi 'Ah, sì, ben mio, coll‘essere' aus 'Il trovatore', beide unter der Leitung des Chefdirigenten Kurt Eichhorn. Die Stretta zur Arie des Manrico, 'Di quella pira', hören wir mit Franco Bonisolli unter Hermann Hildebrandt in einem Mitschnitt aus dem Jahr 1973. Cappuccilli setzt sein herrliches Material vor allem laut ein, Bergonzi das Seine mit Delicatezza, Bonisolli das seine mit Kraft und Gewalt (schwindet es schon, das Licht?); der Chor des Bayerischen Rundfunks.

Mit Neil Shicoff, Julia Varady und Arleen Augér traten 1978-79 eine neue Sängergeneration auf, bei der noch wenig vom drohenden Niedergang des Verdi-Gesangs zu ahnen war – ihre Partner waren alte sowie der neue Chefdirigent Heinz Wallberg. Shicoff ist mit 'Mercè, diletti amici' – 'Come rugiada al cespite' aus 'Ernani' zu hören, Augér mit 'Saper vorreste' aus 'Un ballo in maschera', Varady mit 'La luce langue'. Shicoff hat sich später durch sehr viel differenziertere Rollenporträts ausgezeichnet, hier ist der junge Sänger ganz in der Bonisolli-Tradition zu hören. Augér singt Verdi mit Mozart‘scher Leichtigkeit, klarster Diktion, kristallinem Ton, herrlicher Phrasierung. Auch Varady hat sich als Mozart-Sängerin profiliert; rein musikalisch ist ihre Darbietung ausgezeichnet, doch bleibt ihre musikalische Charakterisierung (auch durch den schwachen Wallberg) noch wenig ausgearbeitet: Varady war nur selten eine überzeugende Intrigantin (etwa als Vitellia in Mozarts 'La clemenza di Tito'), und das beeinträchtigt den Eindruck doch deutlich. Varadys Verdi-Recital auf Orfeo überzeugt stärker als der vorliegende Ausschnitt. Ganz anders 1980 Vladimir Atlantov mit Otellos 'Niun mi tema'. Der Sänger nutzt seine ‚russische Träne‘ zur Vertiefung seines Charakters und bietet so sogar fast mehr als zwanzig Jahre zuvor Mario Del Monaco.

Die Sopranistin Margaret Price ist als Verdi-Sängerin ebenso wenig präsent wie es früher Varady war; einzig ihre Aida aus San Francisco bezeugt ihre herausragenden Fähigkeiten. 1981 sang sie im Münchner Sonntagskonzert unter Wallbergs unidiomatischer Leitung Aidas große Arie 'Ritorna vincitor!' – 'Numi, pietà' und erweist sich als überaus überzeugende Tragödin.

Unter Lamberto Gardelli spielte José Carreras 1975 Verdis 'Il Corsaro' für Philips ein (neben Jessye Norman und Montserrat Caballé). 1982 entstand unter demselben Dirigenten der vorliegende Mitschnitt von 'Tutto parea sorridere' – die extreme Höhe ist schon angestrengt, Lautstärke tritt teilweise an die Stelle feiner Charakterisierung. Gleiches gilt keineswegs für Renato Bruson, einem Stilisten hohen Grades, der 1984 schon eine Ausnahmeerscheinung herausragenden Verdi-Gesangs war. Wärme, feine Klangfärbung, vorbildliche Phrasierung kann man in Padre Germonts 'Di Provenza il mar, il suol' unter Giuseppe Patané hören. Seither gibt es nur noch selten weltweit herausragende Verdi-Sänger und -Singdarsteller. Aber immerhin, es gibt sie noch, das Licht ist noch nicht verloschen.

Die Aufnahmequalität ist – wie zu erwarten – uneinheitlich, aber klanglich gut einander angepasst, Thomas Voigts Booklettext erläutert den sich wandelnden Verdi-Gesang evokativ und sympathisch.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Verdi, Giuseppe: Große Verdi-Stimmen

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
BR-Klassik
1
12.02.2016
Medium:
EAN:

CD
4035719003130


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Verdi, Giuseppe


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BR-Klassik

BR-KLASSIK, das Label des Bayerischen Rundfunks (BR), veröffentlicht herausragende Live-Konzerte des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks (BRSO), des Chors des Bayerischen Rundfunks, des Münchner Rundfunkorchesters sowie der Konzertreihe musica viva. Dabei ist es ein wesentliches Ziel des Senders, über seine Radio- und TV-Programme hinaus auch digital sowie via CD und DVD allen Musikfreunden weltweit Zugang zu besonderen Aufnahmen zu bieten und auf diese Weise auch jenes Publikum zu erreichen, welches keine Möglichkeit hat, die Konzerte der internationalen Tourneen selbst vor Ort live zu erleben.

Neben den jeweiligen Chefdirigenten wie beispielsweise Mariss Jansons oder Sir Simon Rattle finden sich großartige Künstlerpersönlichkeiten wie Daniel Barenboim, Herbert Blomstedt, Bernard Haitink und viele andere mehr.

Die Reihe BR-KLASSIK WISSEN liefert unterhaltsame und kurzweilige Hörbiografien von Jörg Handstein mit vielen Hintergrundinformationen und Musikbeispielen auf jeweils 4 CDs, erzählt von Udo Wachtveitl sowie spannende Werkeinführungen in bedeutende Kompositionen der Musikgeschichte.

Durch die Reihe BR-KLASSIK ARCHIVE werden historische Aufnahmen des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks wieder verfügbar. Beispielsweise die legendäre Aufführung des Verdi-Requiems unter der Leitung Ricardo Mutis mit Jessye Norman, Agnes Baltsa, José Carreras und Jewgenij Nesterenko und dem Chor des BR im Jahr 1981 oder etwa denkwürdige Konzertabende mit der Pianistin Martha Argerich: 1973 unter Leitung von Eugen Jochum mit Mozarts Klavierkonzert KV 456 sowie zehn Jahre später mit Beethovens Klavierkonzert Nr.1 unter Seiji Ozawa.

Mittlerweile umfasst der gesamte Katalog über 200 Aufnahmen und hat bereits mehr als 50 renommierte und internationale Auszeichnungen erhalten, darunter den Preis der Deutschen Schallplattenkritik, den Diapason d’or, den BBC Music Magazine Award und den ICMA.

BR-KLASSIK wird weltweit durch NAXOS vertrieben. Selbstverständlich gehören hierzu auch digitale Portale wie Spotify, Apple, amazon u.v.a.. Die Naxos Music Library präsentiert zudem für Universitäten und öffentliche Bibliotheken via Internet einen ständig wachsenden Katalog mit tausenden von Titeln weltweit führender Labels. Studenten, Lehrpersonal und andere Benutzer können sich jederzeit einloggen und in der Bibliothek, im Hörsaal, im Studentenwohnheim, im Büro oder zu Hause das komplette Repertoire abrufen - auch die Aufnahmen von BR-KLASSIK. 


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