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Sonntag, 24. September 2023

Lantis, Arnold & Hugo de - Weltliche Werke

Von Ferne


Label/Verlag: Ricercar
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Das Ensemble Le Miroir de Musique deutet die Musik von Arnold und Hugo de Lantins in vielen dezenten Farben und doch mit einer wunderbaren Leuchtkraft. Bei aller lebensweltlichen und ästhetischen Ferne bietet die Platte ein erstaunlich frisches und gegenwärtiges Hörerlebnis.

Es ist nicht sehr viel bekannt über die vermutlich annähernd gleichaltrigen Arnold und Hugo de Lantins. Vermutlich waren sie Brüder aus Lüttich, jedenfalls sind sie in den 1420er Jahren im norditalienischen Umfeld von Guillaume Dufay anzutreffen, Hugo deutlicher als Arnold, der wiederum Anfang der 1430er Jahre offenbar Mitglied der päpstlichen Kapelle war. Bald verlieren sich ihre Spuren; und so bleibt wenig mehr als ihre Musik, die zwischen 1420 und 1430 entstanden sein muss. Neben üblicher geistlicher Musik steht dabei auch ein interessantes weltliches Werk, häufig in Form von Rondeau und Ballade.

Daraus haben die Musiker des Ensembles Le Miroir de Musique unter der Leitung von Baptiste Romain jetzt ein überaus ansprechendes Programm zusammengestellt, das beim Label Ricercar erschienen ist. Die Musik der beiden Lantins‘ wirkt – die absolute Klasse Dufays bleibt dabei absolut unbestritten – gelegentlich schon deutlich moderner als der Stil des Übervaters jener Zeit. Besonders Hugo de Lantins überrascht mit erstaunlich konsequenter imitativer Arbeit. Beide sind in einem durchaus modernen Sinne melodischer Schönheit verpflichtet.

Freilich sollte man das nie mit leicht konsumierbarer Schlichtheit verwechseln: Vor allem rhythmisch bewegt sich die Musik auf dem hochkomplexen Niveau ihrer Zeit, immer vertrackt, teils in mehreren gegenläufigen Schichten übereinander sich vollziehend, darin durchaus der Tradition der ‚ars subtilior‘ verpflichtet, die wenige Jahrzehnte zuvor eine bedeutsame Rolle gespielt hatte.

Das Ensemble hat aus einigen der Vokalsätze instrumentale Versionen gewonnen: Das sind ebenso kunstvolle wie kenntnisreiche Anverwandlungen, geleitet von großer Stil- und Geschmackssicherheit. Insgesamt verbreitet sich aus diesem Programm über die enorme Distanz von fast sechs Jahrhunderten der wunderbare Klangsinn dieser Musik, teilt sich der Gegenwart erstaunlich unmittelbar mit.

Große Expertise und exzellentes Können

Das gelingt natürlich dank der exzellenten Interpretation so überzeugend. Dem Anfang des 15. Jahrhunderts noch geltenden Prinzip folgend, wonach Mehrstimmigkeit mit Stimmen eines ähnlichen Ambitus‘ erreicht wurde, sind hier zwei Soprane und zwei Tenöre zu hören. Im einzelnen sind das Sabine Lutzenberger und Clara Coutouly, dazu Bernd Oliver Fröhlich und Achim Schulz. Es sind höchst erfahrene, den Einsatz ihrer Mittel sehr delikat disponierende Vokalisten, deren Stimmcharakteristika glücklich aufeinander abgestimmt sind: individuell präsent und doch perfekt miteinander verblendet. Sie singen auch große Vertracktheiten mit absoluter Selbstverständlichkeit, mit fast schon improvisatorisch frei wirkender Leichtigkeit. Dazu intonieren sie so perfekt, als sei das in dieser unbedingt herausfordernden Musik die einfachste Übung. Auch die Aussprache des Altfranzösischen gelingt sehr überzeugend.

In der Sphäre der Intonation interagieren sie sehr überzeugend mit der vielgestaltig besetzten Instrumentalformation des Ensembles: Da sind neben Fideln und Flöten auch eine Drehleier, Schalmei, Pommer, Zugtrompete, Laute oder Quinterne zu hören, gerade einige der Blasinstrumente durchaus mit den charakteristischen Schärfen. Aus diesem Reichtum gewinnt Baptiste Romain überaus farbige Konstellationen, die er dezidiert, wenn auch dezent einsetzt. Die instrumentale Ebene steuert zum vokalen Geschehen zusätzlich eine wertvolle Substanz bei. Vokalisten und Instrumentalisten entspinnen gemeinsam wunderbar weitläufige Linien über den weiten Feldern komplexer Rhythmen, so dass konzentrierte Ruhe immer wieder mit äußerster Lebendigkeit konfrontiert wird.

Das Klangbild ist von edler Räumlichkeit und Größe bestimmt, wirkt aber in seinen Dimensionen dennoch deutlich beherrscht. Insgesamt entsteht ein angemessen nobler Eindruck, die in reichem Maße vorhandenen Details bei aller Präsenz stärker integrierend denn zur Schau stellend. Im Booklet der insgesamt fein produzierten Platte überzeugt dem kundigen Text in drei Sprachen auch die Gestaltung.

Das Ensemble Le Miroir de Musique deutet die Musik von Arnold und Hugo de Lantins in vielen dezenten Farben und doch mit einer wunderbaren Leuchtkraft. Bei aller lebensweltlichen und ästhetischen Ferne bietet die Platte ein erstaunlich frisches und gegenwärtiges Hörerlebnis.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:






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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Lantis, Arnold & Hugo de: Weltliche Werke

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Ricercar
1
08.01.2016
Medium:
EAN:

CD
5400439003651


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Lantins, Arnold de


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Ricercar

Von Haus aus Musikwissenschaftler und Gambist (und hier immerhin Schüler von Wieland Kuijken), gründete der Belgier Jérôme Lejeune 1980 sein Label RICERCAR, das schnell zu einem der wichtigsten im Bereich der Alten Musik wurde. Das war nicht nur durch die musikwissenschaftliche Arbeit Lejeunes nahe liegend, sondern auch dem Umstand geschuldet, dass Belgien von je her zu den führenden Nationen im Bereich der historischen Aufführungspraxis gehörte. Die Künstler, die für RICERCAR aufnehmen bzw. aufgenommen haben, lesen sich ohne Übertreibung wie das Who-is-Who der Alten Musik-Szene: Hier machte zum Beispiel Philippe Herreweghe genauso seine allerersten Aufnahmen wie das Ricercar Consort, Jos van Immerseel oder Mark Minkowski (sowohl als Fagottist als auch als Dirigent). Zu den Künstlern und Ensembles, die derzeit dem Label verbunden sind, gehören so prominente Namen wie der Organist Bernard Foccroulle, die Sopranistin Sophie Karthäuser sowie die Ensemble La Fenice und Continens Paradisi. Nach wie vor bietet Lejeune dabei jungen Künstlern und Ensembles eine künstlerische Plattform und er beweist dabei stets ein besonders glückliches Händchen. Viele der nicht weniger als 250 Aufnahmen, die hier veröffentlicht wurden, waren klingende Lektionen in Musikgeschichte, die in mehrteiligen Reihen solche Themen wie Bach und seine Vorgänger, die franko-flämische Polyphonie oder Instrumentenkunde behandelten und so etwas wie zu einem Markenzeichen des Labels wurden. Das erstaunliche dabei war auch, dass nahezu alle Produktionen des Labels von Lejeune sowohl wissenschaftlich als künstlerisch und technisch betreut wurden.


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