
Bruch, Max - Sämtliche Streichquartette
Wertvolle Ergänzung samt Kostbarkeit
Label/Verlag: Brilliant classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Das Diogenes Quartett legt eine famose Einspielung der beiden Streichquartette von Max Bruch vor, ergänzt um die Ersteinspielung einer bis vor wenigen Jahren unbekannten Jugendkomposition.
Max Bruch verfügte über eine realistische Einschätzung in Bezug auf das Nachleben seines Schaffens. Er sah klar voraus, dass von ihm nur das g-Moll-Violinkonzert Einzug ins Repertoire halten wird. Es sollte so kommen, wie sich der Komponist die Zukunft ausgemalt hat. Dennoch wäre es verfehlt, Bruch als One-Hit-Wonder abzustempeln. Man muss nur ein wenig genauer hinschauen und sich von den akademisch-konservativen Zügen seines Komponierens nicht ablenken lassen – dann tritt eine ganze Reihe von Werken hoher Güte hervor. Sie zeigen einen Komponisten, der über das notwendige kompositorische Handwerk verfügte. Gelernt hatte es der Komponist, der schon als Jugendlicher Beachtenswertes schuf, unter anderem in Köln und Leipzig.
Ersteinspielung eines aufgefundenen Jugendwerks
Während der Studienzeit in Leipzig entstanden die beiden Streichquartette, in denen er sich als Sachkundiger polyphoner Techniken beweisen wollte. Manches an ihnen rückt die Zurschaustellung kontrapunktischer Kniffe ein wenig zu sehr in den Vordergrund, aber es zeigt sich bereits in diesen Werken Bruchs melodische Erfindungsgabe, die beide Werke davor hütet, nüchtern zu wirken. Beide Quartette sind Repertoire-Raritäten, und auch auf dem Tonträgermarkt blieben sie bislang eine Randerscheinung. Die nun bei Brilliant Classics veröffentlichte Einspielung enthält neben den beiden Quartetten c-Moll op. 9 und E-Dur op. 10 noch eine weitere Kostbarkeit, die erst kürzlich (2013) entdeckt wurde. Es handelt sich um ein 1852 entstandenes Jugendquartett, das Bruch bei der Frankfurter Mozart-Stiftung als Bewerbungskomposition für ein Stipendium eingereicht hatte. (Bruch bekam das Stipendium.) Das Quartett (c-Moll, WoO) gefiel darüber hinaus Louis Spohr so gut, dass er mehr über den begabten Jungkomponisten erfahren wollte. Die beiden c-Moll-Werke sind eng miteinander verbunden: Wenige Jahre nach Fertigstellung des "Bewerbungsquartetts" übernahm Bruch die beiden Mittelsätze in sein c-Moll-Quartett, das mit der Opuszahl 9 erschien.
Melodischer Schmelz
Uraufgeführt wurde das in Frankfurt wiederentdeckte Streichquartett von dem in München beheimateten Diogenes Quartett, das es nun zusammen mit den beiden Schwesterwerken in einer Einspielung vorlegt. Die Aufnahme ist nicht nur deswegen zu empfehlen, weil das Jugendquartett hier zum ersten Mal eingespielt wurde. Attraktiv macht diese Gesamtschau der Streichquartette von Max Bruch vor allem der famose Zugriff des Diogenes Quartetts, der die Qualitäten von Bruchs Musik vortrefflich zur Geltung bringt. Da ist zum einen ein melodischer Schmelz, der ganz ohne Sentiment, aber mit inniger Empfindung, weiten Bögen und biegsamer Phrasierung ausgespielt wird, etwa in den sehr schönen langsamen Mittelsätzen, von denen das 'Notturno' des c-Moll-Quartetts (deckungsgleich mit dem langsamen Satz des Jugendquartetts) hervorsticht. Aber auch die polyphone Anlage wird mit Klarheit, Geschmack und Überblick durchlüftet. So reagieren die Instrumentalisten (Stefan und Gundula Kirpal, Violine; Alba González i Becerra, Viola; Stephen Ristau, Violoncello) beim sequenzierenden Ensembledurchlauf von Motiven detailgenau auf Nuancen und übernehmen artikulatorische und dynamische Details. Das Diogenes Quartett geht mit rhythmischer Präzision zur Sache, lässt der Musik aber genug Raum zum Atmen, vor allem dort, wo sie im Fugato schnell mal etwas überhitzt wirken könnte. Das Ensemble gestaltet mit Weitblick und hoher Spannung, aber ohne Überdruck. Die melodische Grazie, die besonders in der ersten Violine gefordert ist, wird mit Feingefühl und technischer Sicherheit entfaltet. Das hat die nötige Gelenkigkeit, bleibt bei aller Präzision aber doch stets biegsam in der Agogik sowie geschmeidig in der Artikulation.
Die Aufnahme entstand in einer Münchner Kirche und fängt eher den Gesamtklang des Ensembles ein als die Einzelstimmen zu sezieren. Die klangliche Präsentation wirkt angenehm luftig und erscheint als angemessenes Transportmittel des gestalterischen Zugriffs, dem charakteristische Eigenfarben wichtiger zu sein scheinen als schiere Klangschönheit und veredelte Ensemblehomogenität. Bei Bruchs Streichquartetten ist das goldrichtig.
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Bruch, Max: Sämtliche Streichquartette |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Brilliant classics 1 22.01.2016 |
Medium:
EAN: |
CD
5028421950518 |
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Bruch, Max |
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