
Liszt, Franz - Liszt Inspections
Der Avantgardist Franz Liszt
Label/Verlag: Kairos
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Was passiert, wenn sich ein Spezialist für Neue Musik mit Liszt auseinandersetzt? Wenn man Marino Formenti gehört hat, ist man versucht zu sagen: Vielleicht erfährt Liszt dann die verdiente Anerkennung.
Das Klischee-Bild Liszts als tastendonnernden Salonlöwen ist weit verbreitet, zumal seine meistaufgeführten Werke wie der 'Mephisto-Walzer', die Etüden und die 'Ungarischen Rhapsodien' wenig geeignet sind, es zu widerlegen. Marino Formenti präsentiert einen anderen Liszt. Er wählt das eigentümlichste und modernste von Liszt, u.a. aus den 'Annèes de Pelerinage' und aus den späten Werken, darunter vieles, was sehr selten auf den Konzertprogrammen zu finden ist. Die Stärke der bei Kairos erschienenen CD liegt in der klugen Gegenüberstellung dieser Werke mit der Avantgarde des 20. Jahrhunderts, die u.a. durch Berio, Feldman, Ligeti, Rihm, Sciarrino und Stockhausen vertreten ist.
Es ist erstaunlich, wie modern sich Liszts Werke in solcher Umgebung ausnehmen. Insbesondere die späten Werke fügen sich wie von selbst ein. Sie müssen bloß ernst genommen werden. Die Radikalität der Komposition, etwa 'In festo transfigurationis Domini nostri Jesu Christi', spricht für sich. 'Cloches du Soir' erinnert in seiner repetitiven Struktur an Minimal Music. Die Werke aus Liszts mittlerer Schaffenszeit werden ein wenig gegen den Strich gebürstet: In 'Au lac de Wallenstadt' avanciert die linke Hand zur Hauptstimme und die durchgängig pianissimo hingetupfte Melodielinie verschwindet fast hinter diesem Klangvorhang. Dadurch erhält auch dieses Stück eine hypnotisierend repetitive Note. Man hat jedoch an keiner Stelle den Eindruck, dass die Musik gewaltsam modernisiert wird. Eine interpretatorische Eigenart von Formenti besteht jedoch darin, Pausen zu dehnen, um den einzelnen Klang zu isolieren und die in der Musik ohnehin angelegten Diskontinuitäten zu verstärken, wie in 'Cloches du Soir'.
Das Booklet enthält neben einigen Notenbeispielen einen ausführlichen und sehr lesenswerten Text des Pianisten selbst, der in aller Kürze eine Vielfalt von Aspekten beleuchtet, die Liszts Modernität belegen. Der Begleittext ist sehr ergiebig, da er einerseits informiert und andererseits Anstöße gibt, Liszt neu zu entdecken. Wobei man auch von der anderen Seite her denken kann: Auch als Brücke zur zeitgenössischen Musik wird die CD gute Dienste leisten! Das einzige Manko: Wer das Booklet zwecks eingehender Beschäftigung aus der CD-Hülle herausnehmen möchte, muss handgreiflich werden, da es festgeklebt ist.
Wer Gefallen gefunden hat an Pierre-Laurent Aimards CD ‚The Liszt Project‘, in der er den Verbindungslinien zu Berg, Skrjabin, Bartok, Ravel und Messiaen nachgeht, wird diese CD sehr zu schätzen wissen. Wer darüber hinaus noch interessiert ist, findet auch bei ‚Hungarian Diary‘ Liszt in bester Nachbarschaft von Ligeti und Kurtag wieder.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Liszt, Franz: Liszt Inspections |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Kairos 2 03.07.2015 |
Medium:
EAN: |
CD
9120040735005 |
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Liszt, Franz |
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Kairos KAIROS, das 1999 von Barbara Fränzen und Peter Oswald gegründete Label mit
Sitz in Wien, widmet sich ausschließlich der Veröffentlichung von Werken
Neuer Musik. Neben Werk- und Künstlerauswahl sind höchste Ansprüche in der
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Covergestaltung des österreichischen Malers Jakob Gasteiger, wesentlicher
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