
Schumann, Robert - Das Paradies und die Peri
Einstand mit Schumann
Label/Verlag: LSO Live
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Die erste diskographische Frucht der künftigen Zusammenarbeit von Sir Simon Rattle und dem London Symphony Orchestra ist noch nicht ganz reif, besonders in den vokalen Anteilen.
Im September 2017 wird Sir Simon Rattle Chefdirigent des London Symphony Orchestra. Während seine Diskografie mit dem Orchester in der Vergangenheit eher mager (sehr mager) aussah, eröffnet ein Mitschnitt aus dem Barbican vom 11. Januar 2015 die neue Zusammenarbeit. Dass es deutsches Repertoire ist, das Rattle wählte, mag durchaus programmatisch motiviert gewesen sein. Dass es Schumanns Oratorium 'Das Paradies und die Peri' op. 50 ist, könnte als durchaus beziehungsreich gewertet werden, schrieb doch der Engländer William Sterndale Bennett 1862 eine Ouvertüre 'Paradise and the Peri'; John Francis Barnett schuf 1870 ein Oratorium gleichen Titels – alle drei Werke basieren auf der Versdichtung ‚Lalla Rookh‘ des irischen Dichters Thomas Moore. Beides ist heute auch in England vergessen, und es wäre schön, würde Rattle als Chefdirigent des London Symphony Orchestra auf den Bereichen, mit denen er sich zu Beginn seiner Karriere profilierte (britische Musik, zeitgenössische Musik, Sibelius und Nielsen), aufbauend eine lebendige Repertoirepolitik betreiben und immer wieder Raritäten ‚ausgraben‘, von denen viele eine Wiederbelebung verdienen würden. Das London Symphony Orchestra kann auf eine lange entsprechende Tradition zurückblicken, wenn auch der Schwerpunkt zumeist eher auf der neueren Musik lag (nicht zuletzt weil behauptet wurde, es gäbe aus dem 19. Jahrhundert nichts mehr zu entdecken).
'Das Paradies und die Peri' war in Großbritannien im 19. Jahrhundert durchaus beliebt, viele Chorvereinigungen setzten es auf ihre Programme. Diese Zeiten sind weitgehend vorbei, nicht zuletzt weil auch in England weitgehend die Politik der Originalsprache bei Musikaufführungen gilt (Sonderfälle ausgenommen). Bis weit in die 1980er-Jahre war das Werk aber auch in Deutschland eher selten auf den Konzertprogrammen zu finden, die erste (damals in Quadrophonie eingespielte) Referenzeinspielung konnte u.a. mit Edda Moser (Peri), Nicolai Gedda (Erzähler) und Brigitte Fassbaender (Engel) aufwarten. Seither hat sich die Situation extrem geändert, Aufführungen wie Einspielungen gibt es zuhauf.
Interessanterweise ähnelt Sally Matthews als Peri Edda Moser, vom dramatischen ‚impact‘ ebenso wie von der musikalischen Gestaltung her. Doch zeigt sich hier sogleich ein bedeutsames Manko der Produktion: Matthews‘ Stimmproduktion ist etwas ‚verquollen‘, die Artikulation und Textausdeutung durch die größere Stimme weniger exakt, die Spitzentöne gedeckter. Wo Moser in Jubelton ausbricht, wabert es in Matthews‘ Stimme, sorgfältig phrasiert zwar, aber mit minder klarer Artikulation, gerade an zentralen Textstellen. So werden gerade Schlusssteigerungen der einzelnen Teile des Werks regelrecht verschenkt (wer käme als intelligenter Interpret auf die Idee, im Schlusschor ‚zum Himmel, hinan‘ zu singen?).
Mark Padmore in der Rolle des Erzählers beherrscht die musikalischen Möglichkeiten seiner Partie vollauf, doch haben sich gewisse Manieriertheiten eingeschlichen, die den Gesamteindruck stören. Er nutzt ein deutliches Zuviel des Vibrato, so dass die klare Linienführung Schumanns beeinträchtigt wird. Bernarda Fink in der Partie des Engels mangelt es, etwa Josephine Veasey vergleichbar, an ‚Jenseitigkeit‘, an stimmungsmäßiger Magie; die Stimme klingt zu neutral, wenn auch der Part musikalisch sorgfältig ausgestaltet ist. Aber Wortverbindungen wie ‚Entsühnteein‘ müssen schon klarer artikuliert werden, um in der ersten Liga der Aufnahmen mitzuspielen. In 'Verlassener Jüngling' zeigt Fink, trotz erster ‚Strähnen‘ im hohen Register, ihr künstlerisches Potential.
Die Nebenrollen überzeugen etwas mehr. Auch Kate Royals Stimme ist im Klang etwas verhangen; die Jugendlichkeit des jungen Mädchens im zweiten Teil nimmt man ihr keineswegs ab. Vielleicht wäre es dennoch besser gewesen, ihr die Peri anzuvertrauen und mit einem Sprachcoach sorgsam einstudieren. Der lyrische Tenor Andrew Staples hat nur wenig zu singen und leistet seinen solistischen Beitrag am überzeugendsten. Der Bassbariton Florian Boesch erfüllt aber seine kleinen Rollen als Kriegsherr Gazna und reuiger Sünder mit Ausdruckskraft und gut ansprechender Stimme.
Rattles Tempi tun dem Werk nicht immer gut. Er nutzt teilweise merkwürdig überzogene Rubati, die Schumann abgelehnt hätte, manche seiner Accelerandi sind vielleicht etwas übertrieben. Es gibt natürlich auch gut gelungene Steigerungen, etwa 'Willkommen dorten an Edens Pforten'. Häufig hetzt Rattle insbesondere den Chor durch seine Partien, statt kontrapunktische Feinheiten auszuarbeiten.
Womit wir insgesamt zu den erfreulichsten Leistungen der Produktion kämen, den Leistungen von Chor und vor allem dem Orchester. Der Chor – man erwartet es von Chordirektor Simon Halsey nicht anders – wirkt in höchster Präzision und feinem dynamischem Gespür. Das London Symphony Orchestra ist die musikalische Perfektion selbst – alle Instrumentengruppen und -soli ebenso wie das Tutti erweisen mit Leichtigkeit, dass wir es mit einem absoluten Weltklasseorchester zu tun haben. Dass Rattles Tempowahl teilweise etwas eigen ist und er den dynamischen Feinheiten der Partitur nicht genügend nachspürt, tut gerade der orchestralen Leistung keinen Abbruch.
Während das Booklet mit kaum mehr als Basics aufwartet, sei ein besonderes Wort zum Klang verloren. Die vorliegende Produktion präsentiert sich als SACD und pure audio Blu-ray Disc gleichermaßen. Leider steht dieser besondere Lichtblick, der auch auf bestmögliche Weise eingesetzt wird (und beweist, dass die Akustik des Barbican gar nicht so schlecht ist wie ihr Ruf), in krassem Missverhältnis zur Qualität der Interpretation. Besser mehr Wert auf die Aufführung legen und weniger auf klangliche ‚Äußerlichkeiten‘.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Dieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!
Ihre Meinung? Kommentieren Sie diesen Artikel
Jetzt einloggen, um zu kommentieren.
Sind Sie bei klassik.com noch nicht als Nutzer angemeldet, können Sie sich hier registrieren.
Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
![]() Cover vergrößern |
Schumann, Robert: Das Paradies und die Peri |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
LSO Live 3 02.10.2015 |
Medium:
EAN: |
SACD
822231178224 |
![]() Cover vergössern |
Schumann, Robert |
![]() Cover vergössern |
LSO Live Einspielungen des Labels LSO Live vermitteln die Energie und Emotion der großartigsten Aufführungen mit höchster technischer Qualität und Finesse.
Liveaufzeichnungen bedeuteten früher gewöhnlich Kompromisse, aber heutzutage kann mit Hilfe der besten Aufnahmetechnik im Konzertsaal die Vitalität festgehalten werden, die im Studio so schwer nachzustellen ist. Seit 2000 veröffentlichte das LSO Live über 80 Alben und nahm zahlreiche Preise entgegen. Das London Symphony Orchestra war schon früher das am meisten aufgenommene Orchester der Welt, hatte es doch für zahlreiche Plattenfirmen gearbeitet und viele der berühmtesten Filmmusiken eingespielt. Die Investition in unsere eigenen Aufnahmen ermöglicht dem Orchester jedoch abzusichern, dass jede Veröffentlichung den höchsten Qualitätsansprüchen genügt und das Hören der besten Musik allen Menschen zugänglich ist. Das LSO Live war eines der ersten klassischen Plattenfirmen, die Downloads anboten, um ein breiteres Publikum anzusprechen. Wir geben auch unsere Einspielungen im SACD Format (Super Audio Compact Disc) heraus. SACDs lassen sich auf allen CD-Spielern abspielen, ermöglichen aber den Hörern mit speziellen SACD-Spielern den Genuss eines hochaufgelösten, mehrkanaligen Klangs.
London Symphony Orchestra Heute gibt das LSO ungefähr 70 Konzerte pro Jahr in London und bis zu 90 auf Tournee. Es ist regelmäßig auf Konzertreise durch Europa, Nordamerika und im Fernen Osten. Waleri Gergijew ist seit 2007 Chefdirigent des LSO und Sir Colin Davis sein Präsident. Das LSO organisiert auch das in der Welt am längsten laufende und umfangreichste Bildungsprogramm eines Orchesters: LSO Discovery. Mit seinem Sitz im Londoner Musikbildungszentrum LSO St Lukes schafft Discovery die Möglichkeit für Menschen aller Altersgruppen und Veranlagungen, mit Musikern des LSO zusammenzuarbeiten, etwas über Musik zu lernen und ihre Fertigkeiten zu entwickeln. Mehr Info... |
![]() Cover vergössern |
Jetzt kaufen bei... |
Weitere Besprechungen zum Label/Verlag LSO Live:
-
Tönendes Psychogramm: Simon Rattle und das London Symphony Orchestra fördern neuartige Tiefenschichten in Beethovens Christus-Oratorium zutage. Weiter...
(Dr. Kai Marius Schabram, )
-
Durchwachsene CD-Premiere: Diese Einspielung punktet weniger musikalisch als durch wertvolle Erschließung der Quellenlage. Weiter...
(Oliver Bernhardt, )
-
Großer Schumann, Teil II: John Eliot Gardiner und das London Symphony Orchestra zeigen erneut ihr symphonisches Können. Weiter...
(Dr. Kai Marius Schabram, )
Weitere CD-Besprechungen von Dr. Jürgen Schaarwächter:
-
Es dreht sich nur um einen: Der Klaviertriokomponist Camille Saint-Saëns als Schöpfer und Nachschöpfer. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
-
Kein überzeugendes Plädoyer: Dem Constanze Quartett mangelt es an rhetorischer Überzeugungskraft, um drei Streichquartette Emilie Mayers zu einem besonderen Erlebnis zu machen. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
-
Pionierleistungen: Bedeutsame Dokumente der Havergal-Brian-Diskografie. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
Weitere Kritiken interessanter Labels:
-
Großes Violinkonzert – großartig interpretiert: Ewelina Nowicka und das Polish National Radio Symphony unter Zygmunt Rychert meistern (unbekannte) Violinwerke von Ludomir Różycki. Weiter...
(Dr. Kai Marius Schabram, )
-
Mehr Fantasie als Ordnung: Federico Colli fasziniert und irritiert mit Klavierwerken W. A. Mozarts. Weiter...
(Dr. Kai Marius Schabram, )
-
Lohnende Neuauflage: Hochwertige Liszt-Aufnahmen von Michael Korstick, gesammelt in einer neuen Edition. Weiter...
(Oliver Bernhardt, )
Portrait

"Auf der Klarinette den Sänger spielen, das ist einfach cool!"
Der Klarinettist Nicolai Pfeffer im Gespräch mit klassik.com.
Sponsored Links
- klassik.com Radio
- Urlaub im Schwarzwald
- Neue Musikzeitung
- StageKit - Websites für Musiker, Veranstalter und Konzertagenturen
Hinweis:
Mit Namen oder Initialen gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers,
nicht aber unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Die Bewertung der klassik.com-Autoren:
Überragend
Sehr gut
Gut
Durchschnittlich
Unterdurchschnittlich