> > > Brahms, Johannes: Streichsextette Nr. 1 & 2 (arr. für Klaviertrio von Th. Kirchner)
Dienstag, 5. Dezember 2023

Brahms, Johannes - Streichsextette Nr. 1 & 2 (arr. für Klaviertrio von Th. Kirchner)

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Label/Verlag: CAvi-music
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Das Trio Jean Paul zeigt sich wie gewohnt in bester Spiellaune und entstaubt Theodor Kirchners Klaviertrio-Bearbeitungen von Johannes Brahms' Streichsextetten opp. 18 und 36.

Wie viele Komponisten begann auch Johannes Brahms sein kammermusikalisches Schaffen mit Streichquartetten. Doch seine frühen Werke vernichtete der Komponist später, weil er sie als Zeugnisse seiner mangelnden Reife betrachtete. Die ersten beiden Kammermusikwerke für Streicher, die von Brahms veröffentlicht wurden, waren die Sextette opp. 18 und 36. Entgegen der anfänglichen Skepsis seiner Verleger wurden die Werke jedoch zu einem großen Erfolg.

Für eine hausmusikkompatible Besetzung – für Klavier zu vier Händen – stellte Brahms selbst die erste Bearbeitung dieser zwei Werke hier. Daneben entstand eine Bearbeitung für eine ebenso gängige Besetzung; sie wurde allerdings vom Verleger in Auftrag gegeben. Dabei handelt es sich um die auf vorliegender CD zu hörende Version für Klaviertrio von Theodor Kirchner (1823-1903), die noch zu Lebzeiten des Komponisten entstand. In einem Brief an den Komponisten schrieb Kirchner im Jahr 1883: ‚Es war mir eine große Herzenserleichterung, dass Du nicht ganz unbefriedigt über meine Bearbeitung Deiner Sextette zu sein scheinst. Ich hab mir wenigstens Mühe damit gegeben, aber es ist ja immer eine heikle Sache, wenn man des Autors feine Nase im Hintergrund spürt.‘ Und weiter heißt es ‚Ich sollte meinen, dass diese beiden Trios den Triospielern eine willkommene Gabe sein müssten.‘

Diese hoffnungsvolle Annahme Kirchners sollte sich hingegen nicht bewahrheiten. Seine Fassung der Streichersextette findet man leider nur sporadisch auf heutigen Konzertprogrammen. Das bedauern auch die Mitglieder des Trios Jean Paul – Eckart Heiligers (Piano), Ulf Schneider (Violine) und Martin Löhr (Cello). Als langjährig erfahrene Kammermusiker sind insbesondere den beiden Streichern Brahms‘ Sextette bestens bekannt. Mit den Originalen im Ohr und in den Fingern nahmen sich die Musiker fasziniert dieser in Vergessenheit geratenen Bearbeitung an, die sie selbst im Booklet als ‚überaus geniale, eigenschöpferische Beleuchtung dieser Werke‘ bezeichnen.

In neuem Licht

Charakteristisch für das B-Dur-Sextett ist sicherlich der Beginn des ersten Satzes. Cellisten mag  an dieser Stelle in Kirchners Bearbeitung vielleicht ein wenig das Herz bluten, denn die einleitende Passage dieses Satzes liegt hier einzig im Klavierpart. Dadurch schafft es Kirchner jedoch, diesen ersten Takten wieder ihr Alleinstellungsmerkmal zurückzugeben. Durch das nachträgliche Hinzufügen auf Anraten von Joseph Joachim war dies anfangs sicherlich gegeben. Brahms verlegte diese Einleitung jedoch ausdrücklich in eine tiefe Lage und verschleierte ihre Funktion dadurch. Die drei Musiker gehen feinfühlig aufeinander ein und entfalten eine weite, lyrische Linie im Kopfsatz. So passt sich hier auch der Klavierklang der Intensität der Pizzicati an; Cello und Violine greifen wunderbar ineinander, lösen sich ab und entfachen insgesamt eine aufbrausende Klanglichkeit.

Für das 'Andante ma moderato' des op. 18 heißt es, es beinhalte die berückendsten Melodien, die Brahms je geschrieben habe. Auch bei Kirchner bleibt die lyrische Melodielinie selbstverständlich stets gewahrt. Das Trio Jean Paul zeigt hier einen herrlich intensiv musizierten Variationssatz. Den Musikern ist ein hervorragendes Zusammenspiel zu attestieren: Phrasen fügen sich zusammen, lösen sich ab und Stimmungswechsel passieren fast unterschwellig und fließend. Mit dem Brahms‘schen Original im Ohr möchte man fast meinen, dass der Cellist Martin Löhr sich gleichzeitig an Viola und Cello betätigt – so leichtfüßig gelingt es ihm, den Celloklang dem Gefüge anzupassen, mal die Tiefen auszuleuchten, mal die Höhe mit Wärme zu füllen.

Dass die Musiker sich einfühlsam der Gestaltung annehmen, wird in der ausdifferenzierten Charakterdarstellung der einzelnen Sätze deutlich. Wunderbar herausgearbeitet ist so der suchende Gestus des Kopfsatzes des Sextetts Nr. 2. Ebenso gelingt im 'Scherzo' desselben Werks ein feinfühliges Stimmungsbild. So ist der melancholische Grundgedanke des Satzes stets präsent und die drei Musiker entwickeln ein sensibles Gewebe aus intensiven Dialogen. Hingegen kommt der Dur-Teil kontrastierend, aufgewühlt und heiter daher. Dennoch scheinen auch hier immer wieder melancholische Augenblicke durch. Das 'Scherzo' des op. 18 hingegen wird mit Verve musiziert, wobei sich die Klangfärbung des Klaviers den Gesten der Streicher mühelos anzupassen vermag. Der Ton wird der Intensität der Streicher angeglichen, dennoch lässt es sich Heiligers nicht nehmen, Crescendi und Steigerungen eigenständig aufzubauen und letztlich den Satz in ein schwungvolles Ende münden zu lassen.

Kirchner erreicht in seinen Bearbeitungen also letztlich viel mehr als nur eine bloße Uminstrumentierung der Brahms‘schen Sextette. Die demonstrativ leergelassenen Stühle des Covers kann man also getrost ignorieren – denn es bleibt hier nichts leer, es fehlt überhaupt nichts. Vielmehr eröffnet diese Version einen ganz neuen Blickwinkel auf die bekannten Werke. Die drei Musiker des Trio Jean Paul setzen dies gewohnt brillant um und stellen einmal mehr ihr musikalisches Gespür und ihren Sinn für ein intensives Zusammenspiel unter Beweis. Der Schritt, sich dieser zu Unrecht in Vergessenheit geratenen Bearbeitungen anzunehmen und sie mit dieser Einspielung ins Rampenlicht zurückzuführen, verdient hohe Anerkennung.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet






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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Brahms, Johannes: Streichsextette Nr. 1 & 2 (arr. für Klaviertrio von Th. Kirchner)

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Spielzeit:
Aufnahmejahr:
CAvi-music
1
13.11.2015
72:24
2014
Medium:
EAN:
BestellNr.:
Booklet
CD
4260085533404
8553340


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Brahms, Johannes
 - Streichsextett Nr. 1 B Dur Op. 18 (arr. für Klaviertrio von Th. Kirchner) - Allegro ma non troppo
 - Streichsextett Nr. 1 B Dur Op. 18 (arr. für Klaviertrio von Th. Kirchner) - Andante ma moderato
 - Streichsextett Nr. 1 B Dur Op. 18 (arr. für Klaviertrio von Th. Kirchner) - Scherzo
 - Streichsextett Nr. 1 B Dur Op. 18 (arr. für Klaviertrio von Th. Kirchner) - Rondo. Poco Allegretto e grazioso
 - Streichsextett Nr. 2 G-Dur Op. 36 (arr. für Klaviertrio von Th. Kirchner) - Allegro non troppo
 - Streichsextett Nr. 2 G-Dur Op. 36 (arr. für Klaviertrio von Th. Kirchner) - Scherzo
 - Streichsextett Nr. 2 G-Dur Op. 36 (arr. für Klaviertrio von Th. Kirchner) - Poco Adagio
 - Streichsextett Nr. 2 G-Dur Op. 36 (arr. für Klaviertrio von Th. Kirchner) - Poco Allegro


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"SEXTETTE als KLAVIERTRIOS „Es war mir eine große Herzenserleichterung, daß Du nicht ganz unbefriedigt über meine Bearbeitung Deiner Sextette zu sein scheinst. Ich hab’ mir wenigstens Mühe damit gegeben, aber es ist ja immer eine heikle Sache, wenn man des Autors feine Nase im Hintergrund spürt. Du hast Dir die Correktur sehr genau angesehen, wie es scheint, und es wird mir schwer, noch Stichfehler zu entdecken. In der Partitur [der Sextette] sind mehr! Na, die Dummen müssen in 100 Jahren auch noch einen Spaß haben. Ich sollte meinen, daß diese beiden Trios den Triospielern eine willkommene Gabe sein müßten.“ Dem letzten Satz Theodor Kirchners, der sich mit diesem Brief 1883 bei Brahms für dessen ausdrückliches Lob seiner Sextettbearbeitungen bedankte, sollte bedauerlicherweise auf unsere heutige Zeit bezogen nichts Prophetisches zu eigen sein. Bis heute tauchen diese Werke allenfalls sporadisch auf den Konzertprogrammen auf. Wahrscheinlich hängt dies mit der generellen Herablassung zusammen, mit der heutzutage auf Bearbeitungen jedweder Art reagiert wird, da sie unserem heutigen Originalitätsanspruch nicht zu genügen scheinen. Aber selbstverständlich lastet auf den Schultern eines jeden Bearbeiters eines bedeutenden Werkes auch eine immense künstlerische Verantwortung. Idealerweise sollte eine Bearbeitung nicht nur die bloße Aufführung durch andere Instrumente ermöglichen, sondern gerade auch Facetten des Originalwerkes in einer Weise beleuchten, die mit der originalen Besetzung nicht zu erreichen wäre. Insofern stellt eine gelungene Bearbeitung immer auch einen interpretativen Akt gegenüber der Originalgestalt dar. Wir beiden Streicher unseres Trios kannten und liebten die Streichsextette von Brahms selbstverständlich aus der praktischen Erfahrung vieler Aufführungen in der originalen Besetzung. Umso erstaunter und faszinierter waren wir alle drei, als wir Theodor Kirchners Bearbeitungen dieser Werke für Klaviertrio entdeckten. Weit davon entfernt, bloße Übertragungen in eine andere, hausmusikalisch geeignetere Besetzung zu sein, stellen sie aus unserer Sicht eine überaus geniale, eigenschöpferische Beleuchtung dieser Werke dar…….(Anmerkungen des Jean Paul Trios zur Aufnahme . Booklet) "


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"Es muss nicht viel sein, wenn's man gut ist" heißt die Devise für das Label, das stets den Künstler in den Vordergrund stellt, das partnerschaftlich Projekte realisiert, das persönliche Wünsche und Ideen der Künstler unterstützt, das sich vorwiegend auf Kammermusik konzentriert, das handverlesen schöne Musik in hervorragender Interpretation anbietet, mit einer Künstlerliste, die sich sehen lassen kann. Eine sehr persönliche Sache, die von Herzen kommt !! Außerdem kommen neben dem Label CAvi-music auch die Labels "SoloVoce" und "CAvi-Autentica" aus dem Hause Avi-Service for music.


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