
Sibelius, Jean - Sämtliche Symphonien
Unverzichtbar
Label/Verlag: Monarda Music
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Diese Sibelius-Box finnischer Provenienz bietet nicht nur eine herausragende Gesamteinspielung der sieben Sinfonien, sondern hält höchst informatives Bonusmaterial bereit.
Die Feierlichkeiten anlässlich des 150-jährigen Geburtstags von Jean Sibelius im letzten Jahr sind vorüber, nun werden die Früchte eingefahren. Arthaus Musik hat da einen reich bestückten und vollreifen Fruchtkorb im Angebot: eine Gesamteinspielung der Sinfonien von Jean Sibelius. Die vom finnischen Rundfunk produzierte Box gibt es als DVD und Bluray (dieser Rezension liegt die DVD-Fassung mit fünf Bildtonträgern zugrunde). Wie es sich für eine Jubiläumsedition des finnischen Nationalkomponisten Sibelius gebührt, ist hier nicht bloß ein Mitschnitt aller sieben Sinfonien zu erleben, sondern es wird jedem Werk eine aufwändig produzierte historisch-ästhetisch-biographisch kontextualisierende Verortung des Stücks vorangestellt, in der Hannu Lintu, seines Zeichens Chefdirigent des Finnischen Radio-Sinfonieorchesters, an verschiedenen Orten über Sibelius und sein Schaffen spricht. Das ist, wenn man so will, in der Präsentationsform typisch skandinavisch: professionell, informativ, mit Liebe zum Detail, uneitel, aber auch persönlich und zugänglich. So sieht man Hannu Lintu in Italien einen Drink kosten, wenn es um Sibelius‘ Italienaufenthalt geht, dazwischen aber auch den Dirigenten vor seinem Notebook im heimischen Ambiente, während er seinen Hund krault. Den Mitschnitten aus dem eindrucksvollen Musikzentrum in Helsinki ist zudem ein Gespräch vorangestellt, in dem der finnische Komponist Osmo Tapio Räihälä als gut informierter Stichwortgeber für Hannu Lintu fungiert, der einen (vor allem auf Motive, Themen und formale Eigenheiten fokussierenden) musikalischen Wegführer in jeden einzelnen Sinfoniesatz gibt, teils mit Einspielern, die extra dafür produziert wurden, um einzelne Themen dem Zuschauer vorzuspielen, teils sogar mit unterlegten Notenbeispielen.
Der pädagogische Impuls kommt nicht zu kurz, ist dabei aber stets lehrreich, ohne erhobenen Zeigefinger. Die Zusatz-DVD, die in Trickfilmen und zusätzlichen Interviews (u.a. mit der finnischen Komponistin Kaija Saariaho) Sibelius als Mensch ausleuchtet, mag nicht jedermanns Geschmack sein, ist aber von Gewinn – zumindest für diejenigen, die sich mit Sibelius schon ein wenig auseinandergesetzt hat. Hier merkt man deutlich, dass die Edition vom finnischen Rundfunk zuvorderst für das heimische Publikum produziert wurde, das seinen Sibelius im exzellenten finnischen Musikbildungssystem gewissermaßen mit der Muttermilch aufgesogen hat. Abgerundet wird diese vorbildliche Box mit einem Booklet, das diesen Namen mit Recht trägt: Es enthält einen anspruchsvollen Essay zu Sibelius‘ Konzeption sinfonischen Schaffens, in dem auch musikwissenschaftliche Analyseansätze zur Diskussion gestellt werden – für ein breites Publikum dürfte das weniger interessant sein, weil es (wie auch die Trickfilme) einiges Vorwissen voraussetzt, um sich ganz zu erschließen.
Großartige Deutung
Diese Gesamteinspielung der Sibelius-Sinfonien ist aber nicht vor allem wegen des Bonusmaterials zu empfehlen. Sondern sie ist deswegen eine unverzichtbare Frucht des Jubiläumsjahres, weil die Interpretationen des Finnischen Radio-Sinfonieorchesters unter der Leitung von Hannu Lintu schlichtweg großartig sind. Die große Klasse ist schon erkennbar, wenn man diesen Sibelius-Zyklus nur für sich betrachtet; sie wird aber noch deutlicher, wenn man sie mit der jüngst veröffentlichten Sibelius-Box der Berliner Philharmoniker unter Simon Rattle vergleicht. Da hat das finnische Orchester dann doch sehr klar die Nase vorn. Das liegt erstens an der kraftvollen, schlüssigen Sibelius-Deutung Hannu Lintus, zweitens an der Klanggestaltung des Finnischen Radio-Sinfonieorchesters und drittens an den Möglichkeiten, die sich aus seiner Vertrautheit mit dem musikalischen Idiom von Sibelius ergeben.
Der finnische Dirigent verbindet in seinem Zugang zwei unterschiedliche Stränge der Sibelius-Aufführungstradition. Er spürt den spezifischen Klangfarben in den Partituren nach und scheut auch vor aparten Kolorierungen nicht zurück, die Sibelius in seinen Orchesterwerken evoziert. Im Gegensatz aber zu denjenigen Dirigenten, die Sibelius‘ Sinfonik vor allem aus dem Klang heraus verstehen und in der Hervorhebung des raunenden Tonfalls die Grenze zum Sentimentalen zuweilen überschreiten, bleibt Lintu ein kühler Kopf – und knüpft in der analytischen Durchdringung an den zweiten Strang der nüchtern-sachlichen, gewissermaßen texttreuen Sibelius-Interpreten an. So widmet Lintu vor allem den in den Sibelius-Sinfonien besonders hervorgehobenen Holzbläserfarben seine Aufmerksamkeit und bringt mutig Klänge zum Vorschein, die etwa die stets am schönen Klingen interessierten Berliner Philharmoniker nivellieren, etwa in der Vierten oder der Fünften Sinfonie.
Formidable Orchesterleistung
Lintu kann hier auf ein Orchester bauen, das in allen Gruppen formidabel besetzt ist. Vor allem die Holzbläser und die Horngruppe verdienen besondere Anerkennung, ganz zu schweigen von der sehr agilen Gruppe der tiefen Streicher. Die Trompeten werden zuweilen ein wenig scharf im Klang, doch auch das hat dort, wo sie besonders gefordert sind, meist seine Berechtigung. Aus der Kommunikation zwischen Dirigent und Orchester wird unmittelbar deutlich, dass das Orchester mit dieser Musik eng vertraut ist. So kommen aus dem Orchester heraus musikalische Angebote zur Feingestaltung in Bezug auf dynamisches Hervortreten und agogische Biegsamkeit, was Lintu die Freiheit verschafft, sich auf die Konturierung der großen Linie zu konzentrieren. So formt er die sinfonischen Wogen so schlüssig wie ergreifend. Selten ist von jüngeren Dirigenten etwa das Accelerando im ersten Satz der Fünften so zwingend modelliert worden, als folge die Gangart der Musik einem quasi natürlichen Sog. Und auch heikle Sätze wie der zweite Satz der Zweiten Sinfonie werden von Lintu an den entsprechenden Stellen mit dramatischem Furor versehen und sicher wieder in ruhiges Fahrwasser geleitet. Da spricht Erfahrung, expressive Kraft, Sinn für Proportionen und dramaturgisches Geschick des Dirigenten.
Tiefe Durchdringung
Im Vergleich zu Rattles recht glatter, orchestral aufgeblasener Sibelius-Deutung fällt auf, dass Lintu fast durchweg langsamere Tempi anschlägt – und das Ergebnis doch viel ausdrucksstärker, kurzweiliger und auch ‚schneller‘ wirkt. Das liegt vor allem daran, dass Lintu den melodischen Linien viel prägnantere Konturen verleiht. So wirken die musikalischen Gestalten im Vergleich etwa zu Rattle viel akzentuierter. Einsätze haben einen deutlichen Impetus, artikulatorische Details sind klar und deutlich. So gewinnen die musikalischen Gesten an Profil – eine notwendige Bedingung dafür, den sinfonischen Umformungen folgen und die damit einhergehenden atmosphärisch-expressiven Veränderungen nachempfinden zu können. Gleichzeitig tut Lintu gut daran, bei aller Detailarbeit stets fließende Übergänge zu schaffen und auch Disparates unter einem Spannungsbogen zu verbinden, so dass sich die kleinteilige und vielgestaltige Thematik (etwa der Zweiten Sinfonie) zum sinfonischen Fluss verbinden kann.
Freilich ist bei den mitgeschnittenen Aufführungen nicht alles gleich gut geglückt. Manches in der Dritten Sinfonie ist etwas zu stark skandiert; da hätte der Dirigent dem Orchester ein wenig mehr Freiheit gönnen dürfen. Und auch die Sechste Sinfonie gehört nicht zu den Gipfeln dieses Sibelius-Zyklus. Da aber der gesamte Rest sehr gut (Erste, Vierte, Siebte) bis ausgezeichnet (Zweite, Fünfte) gelungen ist, darf man dieser Gesamtschau trotzdem Bestnoten verleihen. Wo sonst hört man heute einen Sibelius, bei dem es klanglich brodelt, die Ausdrucksbereiche mutig erkundet werden und eine absolut überzeugende Verbindung aus expressiver Kraft und grimmiger Strenge gefunden wird? Hannu Lintu ist damit ein wirklich großer und bedeutsamer Sibelius-Zyklus gelungen.
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Sibelius, Jean: Sämtliche Symphonien |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Monarda Music 5 27.11.2015 |
Medium:
EAN: |
DVD
807280179699 |
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Monarda Music Arthaus Musik wurde im März 2000 in München gegründet und hat seit 2007 seinen Firmensitz in Halle (Saale), der Geburtsstadt Georg Friedrich Händels. Zahlreiche Veröffentlichungen des Labels wurden mit internationalen Preisen ausgezeichnet, darunter der Oscar-prämierte Animationsfilm ?Peter & der Wolf? von Suzie Templeton, die aufwändig produzierte ?Walter-Felsenstein-Edition? und die von Sasha Waltz choreographierte Oper ?Dido und Aeneas?, die beide den Preis der deutschen Schallplattenkritik erhielten. Mit dem Midem Classical Award wurden u. a. die Dokumentationen ?Herbert von Karajan ? Maestro for the Screen? von Georg Wübbolt und ?Celibidache ? You don?t do anything, you let it evolve? von Jan Schmidt-Garre ausgezeichnet. Die Dokumentation ?Carlos Kleiber ? Traces to nowhere? von Eric Schulz erhielt den ECHO Klassik 2011. Mit der Tochterfirma Monarda Arts besitzt Arthaus Musik eine ca. 900 Produktionen umfassende Rechtebibliothek zur DVD-, TV- und Onlineauswertung. Seit 2007 entwickelt das Unternehmen kontinuierlich die Sparte Eigenproduktion mit der Aufzeichnung von Opern, Konzerten, Balletten und der Produktion von Kunst- und Musikdokumentationen weiter. Arthaus Musik DVDs und Blu-ray Discs werden über ein leistungsfähiges Vertriebsnetz, u.a. in Kooperation mit Naxos Global Distribution in ca. 70 Ländern der Welt aktiv vertrieben. Darüber hinaus veröffentlicht und vertreibt Arthaus Musik die 3sat-DVD-Edition und betreut für den Buchhandel u.a. die Buch- und DVD-Edition über Pina Bausch von LArche Editeur, Preisträger des Prix de lAcadémie de Berlin 2010. Mehr Info... |
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(Florian Schreiner, 04.02.2016)
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