
Saint-Saens, Camille - Violinkonzerte
Ein Dauerbrenner und zwei Stiefkinder
Label/Verlag: Analekta
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Alle drei Violinkonzerte von Camille Saint-Saëns sind eher selten auf einer CD anzutreffen. Das dritte ist einfach das beste, wie diese Aufnahme mit dem Geiger Andrew Wan unterstreicht.
Der große Erfolg eines musikalischen Werkes kann für die folgenden Gattungsbeiträge ein echtes Problem sein. Nehmen wir Peter Tschaikowskys Erstes Klavierkonzert op. 23, den unverwüstlichen Dauerbrenner unter den romantischen ‚Schlachtrössern‘. Ein großartiges Werk, ohne jeden Zweifel, aber ist das Zweite Konzert op. 44 wirklich so viel schlechter? Gespielt wird es jedenfalls höchst selten, einige CD-Einspielungen liegen immerhin vor. Ähnlich verhält es sich mit Max Bruchs Erstem Violinkonzert. Manche Hörer und Musiker sind völlig überrascht, wenn sie erfahren, dass Bruch noch zwei weitere Konzerte für die Violine schrieb – die er selbst übrigens für mindestens so gut wie sein erstes hielt. Nicht ganz so auffällig, aber doch vorhanden ist ein solches Missverhältnis bei Camille Saint-Saëns. Von seinen (ebenfalls drei) Violinkonzerten ist das Dritte op. 61 höchst populär und wird sehr gerne gespielt – kaum ein Geiger von Rang hat es nicht im Repertoire. Die ersten beiden Konzerte fristen dagegen ein Schattendasein und werden auch von der Musikforschung als – vorsichtig formuliert – weniger gelungen bezeichnet. Ob das wirklich so ist, kann man anhand dieser Aufnahme herausfinden: Andrew Wan, Konzertmeister des Orchestre symphonique de Montréal (kurz OSM), hat die Konzerte mit seinem Orchester unter der Leitung von Kent Nagano eingespielt.
Nicht jeder Konzertmeister ist gleich ein exzellenter Solist, doch Wan macht von den ersten Tönen des Ersten Konzertes op. 20 an klar, dass er die Herausforderung annimmt. In dem relativ knappen Stück ist der Solist fast pausenlos beschäftigt und muss tief in die geigerische Trickkiste greifen. Mit großartiger Technik und einem angenehm lyrischen, nicht zu aufdringlichen Ton meistert Wan den Solopart bravourös und zeigt vor allem in der Final-Stretta, dass er keinen Vergleich scheuen muss. Das OSM absolviert seinen Begleitpart routiniert und sicher, allzu viel Anteil am Geschehen hat das Orchester nur selten – Saint-Saëns schrieb sein Erstes Konzert ganz in jener frühromantischen Tradition, die den Orchesterpart vor allem als Begleitung betrachtet. Die höchst gelungenen Themen und Motive des Werkes sollen damit nicht abgewertet werden, doch in der Tat: Im Vergleich zu seinem Dritten Konzert wirkt das op. 20 etwas ideenarm und bieder. Ein unbestrittener Vorzug liegt in seiner angenehm kompakten Form, dem Verdacht der Redseligkeit setzte sich Saint-Saëns selbst in seinen schwächeren Werken nie aus.
Das Zweite Konzert op. 58 erscheint da gelungener und auch geigerisch dankbarer, allerdings kann den Hörer die monotone Streicher-Begleitung zu Beginn leicht irritieren. Doch im weiteren Verlauf des ausgedehnten Kopfsatzes überwiegt der positive Eindruck: Wans jederzeit souverän kontrolliertes, aber nicht kühl wirkendes Spiel korrespondiert bestens mit dem nun etwas intensiver beschäftigten Orchester. Nagano nutzt seine ganze Routine, um eine gelungene Balance zwischen Solist und Orchester herzustellen. Auch die Klangqualität ist gut; für den Geschmack mancher Hörer mag die Solovioline etwas zu sehr im Vordergrund stehen, doch dies ist ein generelles Problem bei Konzert-Einspielungen: Hört man das gleiche Werk auf CD und später im Konzertsaal, ist man oft verblüfft, wie leise der Solist bei einem Auftritt klingt. Ich halte es für legitim, die klangtechnischen Möglichkeiten zu nutzen, um ein Soloinstrument etwas präsenter darzustellen. Hier kann man natürlich geteilter Meinung sein.
Nahmen Wan und Nagano die ersten beiden Konzerte recht flott, so wirkt das Tempo im berühmten Dritten Konzert deutlich gemäßigter, fast ein wenig behäbig. Schon das erste Thema scheint nicht so recht zum Fleck zu kommen. Nun ist gegen ein moderates Tempo grundsätzlich nichts einzuwenden – nirgendwo steht geschrieben, dass man durch das Stück hetzen muss. Wan und Nagano aber neigen für meinen Geschmack ein wenig zu sehr ins andere Extrem, zumindest im Kopfsatz, für den sie über neuneinhalb Minuten benötigen (die meisten anderen Interpreten etwas um die neun Minuten). Keine Frage – musikalische Qualität misst man nicht mit der Stoppuhr. Dennoch kann mich die Herangehensweise der Musiker zumindest im Kopfsatz nicht überzeugen, die an sich sehr effektvolle Musik verliert hier ein gutes Stück von ihrer Wirkung. Mittel- und Finalsatz glücken den Ausführenden besser, hier kann auch das Orchester zu der Form auflaufen, die es zu einem der führenden Klangkörper Nordamerikas gemacht hat.
So ist es ein wenig bedauerlich, dass Wans Einspielung ausgerechnet bei jenem Werk, bei dem die Anzahl der Konkurrenz-Einspielungen hoch ist, etwas hinterherhinkt. Die ersten beiden Konzerte erfahren eine vorzügliche Interpretation, die auch klanglich keine Wünsche offen lässt. Eines aber kann auch diese CD nicht ändern: Das Dritte Violinkonzert ist tatsächlich das beste von Saint-Saëns. Eingängige Themen, raffinierte Harmonik und ein hochvirtuoser, aber auch dankbarer Solopart stellen es klar über die beiden anderen Werke.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Saint-Saens, Camille: Violinkonzerte |
|||
Label: Anzahl Medien: |
Analekta 1 |
Medium:
EAN: |
CD
774204877026 |
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