
Beethoven, Ludwig van - Symphonien Nr. 2 & 7
Apotheose der Statik
Label/Verlag: ORFEO
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Orfeo veröffentlicht in einer schönen Edition das letzte Beethovenkonzert mit Karl Böhm und den Wiener Philharmonikern bei den Salzburger Festspielen mit einer größtenteils sehr beständig-konservativen Interpretation des Altmeisters.
Die Aura des ‚legendären Vermächtnisses‘ schwebt zweifelsohne über den Mitschnitten der Salzburger Festspiele vom 17. August 1980. Dies mag für das Label Orfeo Grund genug gewesen sein, die Einspielung in einer gewohnt schönen Edition in ansehnlicher Klangqualität samt exzellentem Booklet neu zu veröffentlichen. In der Tat handelt es sich um die letzte Beethoven-Interpretation mit Karl Böhm und den Wiener Philharmonikern; ein Jahr später verstarb der Dirigent, wodurch diese Einspielung konsequenterweise eine Art Denkmal der jahrelangen fruchtbaren Zusammenarbeit markiert. Relativierend muss zugleich festgestellt werden, dass weder Karl Böhm noch die Wiener Philharmoniker mit der Erwartung in das Konzert gingen, zum letzten Mal Beethoven zu musizieren – die musikalische Interpretation ist eher durch ein altkonservatives Musikbild denn durch eine melancholische Todesahnung charakterisiert.
Speziell was die Siebte Sinfonie angeht, bleibt festzuhalten, dass die alleinige Aura des Konzertes nicht genügt, um den Eindruck einer überschwerfälligen Interpretation zu rechtfertigen. Unter den zahlreichen Beethoven-Einspielungen sind Böhm im Laufe seiner Karriere zudem weitaus eindrucksvollere Interpretationen gelungen. Das Tempo allein kann hierfür keine Erklärung sein; dass man es bei Böhm, zumal in diesen späten Lebensjahren, gewohnt ist, sehr langatmige und breite Tempi vorzufinden, muss nicht zwangsläufig ein Manko sein. Nimmt man etwa Furtwängler oder Knappertsbusch, können bei diesen Dirigenten gerade die ungewöhnlich langsamen Tempi zu bemerkenswerter Spannung führen. Doch weder die Expressivität und Ekstasen Furtwänglers noch das Pathos von Knappertsbusch vermag Böhm durch seine Agogik zu vermitteln. Vielmehr ist es am Ende der Eindruck eines behäbig schleppenden Dahinströmens, das etwa den Schlusssatz der ADur-Sinfonie prägt. Weder Apotheose des Tanzes noch aberwitziger Sog sind in diesem Schlusssatz zu erkennen, Böhm scheint stattdessen bereits in der Durchführung, spätestens aber in der Reprise, in einer heiklen Statik gefangen zu sein. Auch der beeindruckende Orchesterschönklang der Wiener Philharmoniker kann aus dieser vertrackten Situation nicht heraushelfen; der massive Streicherteppich wirkt eher zusätzlich hemmend. So ist schließlich auch der finale Orchesterausbruch nach dem Wechselspiel zwischen ersten und zweiten Geigen in der Coda erdrückend; unter Berücksichtigung der Dramaturgie der vorangegangenen Sinfonie wirkt er darüber hinaus mehr erzwungen als wirklich überzeugend.
Folglich bleiben die Vorzüge dieser Edition die Einspielung der Zweiten Sinfonie, welche – aus dem Schattendasein im sinfonischen Kanon Beethovens heraustretend – durchaus gleichwertig neben der populären Siebten steht. Böhm lässt es in dieser Sinfonie zwar ähnlich gemächlich angehen, doch kommen hier die Qualitäten des bronzefarbenen Klanges der Wiener deutlich besser zur Geltung. Obgleich auch hier die Streicherdecke ähnlich massig wirkt, beeindruckt der noble Ton der Holzbläser, etwa im Seitensatz des Finales. Auch kann der Dirigent im ersten Satz einen feierlich, fast schon majestätisch erhabenen Duktus formen, ohne vorhandene Abgründe vollkommen im makellosen Tonfall zu erdrücken. Am Ende ist es auch der Mut, sich vom ehrwürdig kultivierten Dirigat zu lösen, welcher den Reiz der Interpretation ausmacht und welcher gerade in der Siebten Sinfonie, die auf ein Auftrumpfen dieser Art gänzlich verzichtet, schmerzlich vermisst wird. So zeigt der Grazer, dass er im Finale der Sinfonie durchaus bereit ist, aus der Starrheit seiner Tempi auszubrechen und durch dezente Beschleunigungsphasen neue Impulse zu setzen.
Im Ganzen betrachtet ist diese Neuveröffentlichung des letzten Beethoven-Konzertes unter Karl Böhm im Zuge der Salzburger Festspiele das Abschiedsdokument einer großen Dirigierpersönlichkeit, gleichzeitig jedoch deswegen nicht unbedingt seine gelungenste Hinterlassenschaft. Ein Videodokument wäre vermutlich ansprechender gewesen, hätte es hier auf visuellem Wege die besondere Verbundenheit Böhms zum Orchester nachvollziehen lassen. Auf der reinen Hörebene bleibt so nur der Eindruck einer soliden, altersweisen Beethoven-Interpretation. Dabei lässt die Musik viel Raum für mitreißende Leidenschaft – Karl Böhm konnte ihr am Sommerabend seiner letzten Beethoven-Aufnahme in dieser Hinsicht nicht gerecht werden.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Beethoven, Ludwig van: Symphonien Nr. 2 & 7 |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
ORFEO 1 20.09.2015 |
Medium:
EAN: |
CD
4011790910123 |
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ORFEO Erschienen die ersten Aufnahmen des 1979 in München gegründeten Labels noch in Lizenz bei RCA und EMI, produziert und vertreibt ORFEO seit 1982 unter eigenem Namen. Durch konsequente Repertoire- und Künstlerpolitik konnte sich das Label seit seinem aufsehenerregenden Auftritt am Anfang der Digital-Ära dauerhafte Präsenz auf dem Markt verschaffen. Nicht nur bekannte Werke, sondern auch weniger gängige Musikliteratur und interessante Raritäten - davon viele in Ersteinspielungen - wurden dem Publikum in herausragenden Interpretationen zugänglich gemacht. Dabei ist es unser Bestreben, auch mit Überraschungen Treue zu klassischer Qualität zu beweisen.
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