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Donnerstag, 30. März 2023

Katzer, Georg - Elektroakustische Kompositionen

Deutsch-deutsche Geschichte zum Anhören


Label/Verlag: WERGO
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Eine Wergo-Produktion gibt Einblicke in die Entwicklung elektroakustischen Komponierens bei Georg Katzer.

Anlässlich des 80. Geburtstags von Georg Katzer fokussiert die vorliegende Wergo-Produktion auf die elektroakustische Musik des 1935 geborenen Komponisten und versammelt dazu eine Auswahl von sieben sehr unterschiedlichen Werken aus vier Jahrzehnten. Nach einer 2008 bei New Classical Adventure erschienen Doppel-SACD, die sich unter dem Titel ‚Imaginäre Dialoge‘ dem Wechselverhältnis zwischen Soloinstrumenten und Elektronik widmet, ist dies die zweite umfassende Dokumentation von Katzers Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten elektroakustischen Komponierens. Sie knüpft – und dies geht auch aus den Fotografien und Kurztexten im Booklet hervor – an den biografischen Umstand an, dass Katzer als einer der Pioniere elektronischer Neuer Musik in der DDR ganz wesentlich zur Gründung des Studios für Elektroakustische Musik der Akademie der Künste Anfang der 1980er Jahre beitrug und bis 2005 als dessen erster künstlerischer Leiter fungierte.

Der Bogen der zusammengestellten Kompositionen reicht vom Jahr 1976, in dem mit 'Bevor Ariadne kommt' Katzers erstes elektroakustisches Werk entstand, bis hin zu der Arbeit 'Steinelied 2' von 2010, die vollständig durch ein eigens entwickeltes Computerprogramm generiert wurde. Innerhalb der hierdurch markierten Abfolge unterliegen die kompositorischen Schwerpunktsetzungen – einerseits basierend auf der Verwendung konkreter, gelegentlich auch dokumentarischer Klangereignisse, andererseits aber auch die Ableitung der Musik aus rein synthetischen Grundlagen heraus einbeziehend – einer ständigen Wandlung, so dass sich von Stück zu Stück anders gelagerte musikalische Ausgangspunkte ergeben. Dadurch werden die Kompositionen zu beredten Dokumente einer ständigen Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten. Dass sie darüber hinaus aber auch Zeitdokumente von erstem Rang sind, macht die CD besonders bedeutsam.

Auch wenn die im Booklet enthaltenen Werkkommentare des Komponisten manchmal nur Andeutungen enthalten, so wird doch deutlich, dass sich Katzers Musik immer wieder an den Ereignissen der Gegenwart entzündet, die sie klanglicher Form in sich aufnimmt und gelegentlich sogar – wie in 'Mein 1989' (1989/90), einem vor allem aus Sprachdokumenten montierten persönlichen Kommentar zum Fall der Berliner Mauer – für den Hörer semantisch klar erkennbar sind. Demgegenüber erschließen sich solche Zusammenhänge im Falle der Verquickung synthetischer und bearbeiteter instrumentaler Selbstzitate in 'Bevor Ariadne kommt' nur dann als Kommentar zum zehn Jahre zurückliegenden Prager Frühling, wenn man über die Herkunft der verwendeten Materialien informiert ist. Im Fall der Kompositionen 'La mécanique et les agents de l’érosion' (1985) und 'Les paysages fleurissants' (2000) lässt sich der Zusammenhang zum Zeitgeschehen eher auf einer metaphorischen Ebene herstellen und ergibt sich im erstgenannten Werk etwa durch gedankliche Projektion der klar wahrnehmbaren Beschäftigung mit dem Thema ‚Ordnung und Zerfall‘ auf die historische Situation.

Selbst dort, wo, wie in 'Steinelied 1' (1984) und 'Steinelied 2' (2010) die Auseinandersetzung mit computergestützten Kompositionstechniken und die Arbeit mit synthetischen Klängen im Vordergrund stehen, bleibt der politische Kontext nicht außen vor, handelt sich bei den beiden Stücken doch um Stationen der Entwicklung eines Computerprogramms zur Stützung eines sich selbst organisierenden Kompositionsverfahrens, das ‚auf der Grundlage einer gesteuerten Aleatorik musikalische Abläufe generiert‘ (Katzer) und sich damit im Rahmen künstlerischer Entscheidungsfindung letzten Endes den Aspekten Freiheit, Selbstbestimmung und Verantwortung widmet. In ihrer Gesamtheit ist diese Veröffentlichung von Bedeutung, weil sie ästhetische Wege elektroakustischen Komponierens jenseits der vom Serialismus ausgehenden und sich dann in unterschiedliche Richtungen verzweigenden Konzeptionen aus den Studios der BRD dokumentiert. Und genau dies macht ihren Reiz aus.

Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:




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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Katzer, Georg: Elektroakustische Kompositionen

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Spielzeit:
WERGO
1
06.11.2015
70:49
Medium:
EAN:
BestellNr.:

CD
4010228733822
WER 73382


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WERGO

Als 1962 die erste Veröffentlichung des Labels WERGO erschien - Schönbergs "Pierrot lunaire" mit der Domaine musicale unter Pierre Boulez -, war dies ein Wagnis, dessen Ausgang nicht abzusehen war. Werner Goldschmidt, ein Kunsthistoriker, Sammler und Enthusiast im besten Sinne, war es, der - gemeinsam mit dem Musikwissenschaftler Helmut Kirchmayer - den Grundstein zu dem Label legte, das seit inzwischen 50 Jahren zu den führenden Labels mit Musik unserer Zeit zählt.
Noch immer hält WERGO am Anspruch, unter den Goldschmidt seine "studioreihe neue musik" gestellt hatte, fest: die hörende wie lesende Beschäftigung mit der neuen Musik anzuregen und in Produktionen herausragender InterpretInnen und von FachautorInnen verfassten ausführlichen Werkkommentaren zu dokumentieren.
Auf mehr als 30 Schallplatten kam die Reihe mit roter und schwarzer Schrift auf weißem Cover, dann wurde die Unternehmung zu groß für einen Einzelnen. Seit 1967 engagierte sich der Musikverlag Schott zunehmend für das Label, 1970 schließlich nahm Schott das Label ganz in seine Obhut. Seither wurden mehr als 600 Produktionen veröffentlicht, die ungezählte Preise erhalten haben und ein bedeutendes Archiv der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts darstellen.
Kaum einer der arrivierten zeitgenössischen Komponisten fehlt im Katalog. Ergänzt wird dieser Katalog seit 1986 durch die inzwischen auf über 80 Porträt-CDs angewachsene "Edition Zeitgenössische Musik" des Deutschen Musikrats, die mit Werken junger deutscher KomponistInnen bekannt macht. Neben dieser Zusammenarbeit bestehen Kooperationen mit dem Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe ("Edition ZKM") und dem Studio für Akustische Kunst des Westdeutschen Rundfunks ("Ars Acustica"). Im Bereich "Weltmusik" kooperiert WERGO eng mit dem Berliner Haus der Kulturen der Welt und der Abteilung Musik des Ethnologischen Museums Berlin. Die "Jewish Music Series" stellt die vielfältigen Musiktraditionen der jüdischen Bevölkerungen der Kontinente in ihrer ganzen Bandbreite vor. Zahlreiche Veröffentlichungen mit Computermusik sind in der Reihe "Digital Music Digital" erschienen. Neue Editionen wie die legendäre "Contemporary Sound Series" des Komponisten Earle Brown oder die des Ensembles musikFabrik kamen in den vergangenen Jahren hinzu.
Die Diversifizierung, die das Programm von WERGO seit seiner Gründung erfahren hat, ist der Weitung des zeitgenössischen musikalischen Bewusstseins ebenso geschuldet wie sie zu dieser stets beitrug - eine Aufgabe, der sich WERGO auch in Zukunft verpflichtet fühlt.


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