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Freitag, 31. März 2023

Amiable Conversation - Klavierwerke von Cowell und Cage

Außergewöhnliche Gegenüberstellung


Label/Verlag: WERGO
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Die Pianistin Sabine Liebner nimmt sich frühe Klavierwerke John Cages vor und konfrontiert sie mit Stücken seines Lehrers Henry Cowell.

Gerade mal drei Jahre ist es her, als der einhundertste Geburtstag John Cages uns eine ganze Reihe mehr oder minder gelungener, teils auch ziemlich langweiliger Interpretationen seiner Werke bescherte. Die Idee jedoch, eine Verbindung zwischen Arbeiten Cages und den Stücken anderer Komponisten herzustellen, um dadurch auf historische oder ästhetische Einflüsse zu verweisen, hat sich bislang nie so recht durchsetzen können. Es bleibt der Pianistin Sabine Liebner vorbehalten, einen solchen Ansatz zu präsentieren und in seiner ganzen – überraschenden – Konsequenz vorzuführen.

Liebner, die sich in den vergangenen Jahren unter anderem als Urheberin ausgezeichneter Cage-Einspielungen etwa der 'Etudes Australes' (Wergo, 2011) und des 'Solo for Piano' (Wergo, 2013) hervorgetan oder durch ihre zwingende Lektüre ausgewählter Werke Earle Browns (Wergo, 2012) und Morton Feldmans (Wergo, 2012) das künstlerische Umfeld Cages näher beleuchtet hat, nimmt sich in ihrer neuesten Wergo-Produktion eine Reihe früher Klavierstücke vor und konfrontiert sie mit einer Auswahl von Arbeiten des Komponisten Henry Cowell, bei dem Cage 1934 studierte, bevor er 1935–37 seinen kurzen und informellen Unterricht bei Arnold Schönberg nahm.

Das Ergebnis von Liebners Gegenüberstellung, laut CD-Titel eine ‚amiable conversation‘, ist frappierend: Die Produktion – sie deckt insgesamt einen Zeitraum von dreieinhalb Jahrzehnten von 1912 bis 1948 ab – dokumentiert nicht nur den Aufbruch der experimentellen amerikanischen Musik, sondern belegt auch die äußerst fruchtbaren Einflüsse, die Cowells Arbeiten bis zum Ende 1940er Jahre sowohl in klanglicher Hinsicht auch als in Bezug auf den Umgang mit elastischen, auf metrischen Ordnungen basierenden Formkonzeptionen auf den jungen Cage ausübten. Cowells über die Titel seiner Werke vermittelte Versuche, die Klavierklänge suggestiv und illustrativ einzusetzen – sie tritt vielleicht am deutlichsten in seinen mit der Kombination von Traditionals und Clusterharmonik arbeitenden 'Three Irish Legends' (1912) hervor, wird aber auch dort deutlich, wo der Innenraum des Instruments genutzt wird oder ungewöhnliche Klangerzeugungsmaßnahme wie der Einsatz gestrichener Klaviersaiten heranzuziehen sind –, steht Cages gleichsam abstrahierender Ansatz gegenüber, bei dem der Objektcharakter der Klänge hervorgehoben und gegebenenfalls auch durch Präparationen unterstrichen wird.

Liebners Zugang zu den einzelnen Kompositionen zeichnet sich durch die Aufmerksamkeit für klangliche Details aus. Was in vielen Einspielungen von Cowells Werken gelegentlich etüdenhaft ausgestellt wird oder in Interpretationen früher Cage’scher Klavierstücke allzu trocken daherkommt, wird unter den Händen der Pianistin zum poetischen, oftmals verspielten Ereignis, das immer der jeweiligen Klangdramaturgie verpflichtet ist. Angerissen, fast gitarrenartig kommen die Klänge des präparierten Klaviers beispielsweise in Cages 'Tossed as it is Untroubled' (1942) daher, im Anschluss daran konfrontiert mit den von der Pianistin durch Greifen im Klavierinnern zu manipulierenden Saitenschwingungen aus Cowells zartem Stück 'Sinister Resonanz' (um 1930). Die rhythmische Prägnanz, mit der Liebner dann Cages 'Soliloquy' (1945) dazu nutzt, um an die zur selben Zeit entstandenen Schlagzeugarbeiten zu erinnern, bietet einen großen Kontrast zu den atmosphärischen Klangwolken ausschließlich gezupfter Saiten aus Cowells 'Aeolian Harp' (1945), die wiederum beantwortet werden von den leise und weich getupften, verschwimmenden Tonkaskaden aus Cages 'Dream' (1948).

Überhaupt trägt die geschickte Platzierung und Abfolge der ausgewählten Kompositionen viel zur Gesamtwirkung dieser außergewöhnlichen Produktion bei: So scheinen die konzentrierten Spannungsbögen, die Liebner über die 'Three Irish Legends' legt, auch im Aufeinanderprall der von unterschiedlichen Präparierungen bestimmten Abschnitte aus Cages 'In the Name of the Holocaust' (1942) widerzuhallen, um danach nochmals in den gestrichenen Saiten von Cowells 'The Banshee' (1925) aufgegriffen zu werden und dort endgültig in der Stille zu verschwinden. Auch wenn die entsprechenden Werke in klanglicher wie konzeptueller Hinsicht denkbar weit auseinander liegen, wird hier wie auch in anderen Fällen die Aufmerksamkeit für versteckte Beziehungen und für Ähnlichkeiten in der klanglichen Disposition geschärft. Mit einer Spielzeit von 78 Minuten bietet die klanglich hervorragende Produktion nicht nur eine Fülle solcher spannender Momente; mit dem exzellenten Bookletbeitrag des Musikwissenschaftlers Wolfgang Rathert liefert sie darüber hinaus auch historisches Hintergrundwissen, das dem Hörer ein tieferes Eindringen in die Materie und eine adäquate Beschäftigung mit den hier aufeinandertreffenden Klangwelten ermöglicht.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Amiable Conversation: Klavierwerke von Cowell und Cage

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Spielzeit:
WERGO
1
06.11.2015
78:06
Medium:
EAN:
BestellNr.:

CD
4010228732627
WER 73262


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WERGO

Als 1962 die erste Veröffentlichung des Labels WERGO erschien - Schönbergs "Pierrot lunaire" mit der Domaine musicale unter Pierre Boulez -, war dies ein Wagnis, dessen Ausgang nicht abzusehen war. Werner Goldschmidt, ein Kunsthistoriker, Sammler und Enthusiast im besten Sinne, war es, der - gemeinsam mit dem Musikwissenschaftler Helmut Kirchmayer - den Grundstein zu dem Label legte, das seit inzwischen 50 Jahren zu den führenden Labels mit Musik unserer Zeit zählt.
Noch immer hält WERGO am Anspruch, unter den Goldschmidt seine "studioreihe neue musik" gestellt hatte, fest: die hörende wie lesende Beschäftigung mit der neuen Musik anzuregen und in Produktionen herausragender InterpretInnen und von FachautorInnen verfassten ausführlichen Werkkommentaren zu dokumentieren.
Auf mehr als 30 Schallplatten kam die Reihe mit roter und schwarzer Schrift auf weißem Cover, dann wurde die Unternehmung zu groß für einen Einzelnen. Seit 1967 engagierte sich der Musikverlag Schott zunehmend für das Label, 1970 schließlich nahm Schott das Label ganz in seine Obhut. Seither wurden mehr als 600 Produktionen veröffentlicht, die ungezählte Preise erhalten haben und ein bedeutendes Archiv der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts darstellen.
Kaum einer der arrivierten zeitgenössischen Komponisten fehlt im Katalog. Ergänzt wird dieser Katalog seit 1986 durch die inzwischen auf über 80 Porträt-CDs angewachsene "Edition Zeitgenössische Musik" des Deutschen Musikrats, die mit Werken junger deutscher KomponistInnen bekannt macht. Neben dieser Zusammenarbeit bestehen Kooperationen mit dem Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe ("Edition ZKM") und dem Studio für Akustische Kunst des Westdeutschen Rundfunks ("Ars Acustica"). Im Bereich "Weltmusik" kooperiert WERGO eng mit dem Berliner Haus der Kulturen der Welt und der Abteilung Musik des Ethnologischen Museums Berlin. Die "Jewish Music Series" stellt die vielfältigen Musiktraditionen der jüdischen Bevölkerungen der Kontinente in ihrer ganzen Bandbreite vor. Zahlreiche Veröffentlichungen mit Computermusik sind in der Reihe "Digital Music Digital" erschienen. Neue Editionen wie die legendäre "Contemporary Sound Series" des Komponisten Earle Brown oder die des Ensembles musikFabrik kamen in den vergangenen Jahren hinzu.
Die Diversifizierung, die das Programm von WERGO seit seiner Gründung erfahren hat, ist der Weitung des zeitgenössischen musikalischen Bewusstseins ebenso geschuldet wie sie zu dieser stets beitrug - eine Aufgabe, der sich WERGO auch in Zukunft verpflichtet fühlt.


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