
Amiable Conversation - Klavierwerke von Cowell und Cage
Außergewöhnliche Gegenüberstellung
Label/Verlag: WERGO
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Die Pianistin Sabine Liebner nimmt sich frühe Klavierwerke John Cages vor und konfrontiert sie mit Stücken seines Lehrers Henry Cowell.
Gerade mal drei Jahre ist es her, als der einhundertste Geburtstag John Cages uns eine ganze Reihe mehr oder minder gelungener, teils auch ziemlich langweiliger Interpretationen seiner Werke bescherte. Die Idee jedoch, eine Verbindung zwischen Arbeiten Cages und den Stücken anderer Komponisten herzustellen, um dadurch auf historische oder ästhetische Einflüsse zu verweisen, hat sich bislang nie so recht durchsetzen können. Es bleibt der Pianistin Sabine Liebner vorbehalten, einen solchen Ansatz zu präsentieren und in seiner ganzen – überraschenden – Konsequenz vorzuführen.
Liebner, die sich in den vergangenen Jahren unter anderem als Urheberin ausgezeichneter Cage-Einspielungen etwa der 'Etudes Australes' (Wergo, 2011) und des 'Solo for Piano' (Wergo, 2013) hervorgetan oder durch ihre zwingende Lektüre ausgewählter Werke Earle Browns (Wergo, 2012) und Morton Feldmans (Wergo, 2012) das künstlerische Umfeld Cages näher beleuchtet hat, nimmt sich in ihrer neuesten Wergo-Produktion eine Reihe früher Klavierstücke vor und konfrontiert sie mit einer Auswahl von Arbeiten des Komponisten Henry Cowell, bei dem Cage 1934 studierte, bevor er 1935–37 seinen kurzen und informellen Unterricht bei Arnold Schönberg nahm.
Das Ergebnis von Liebners Gegenüberstellung, laut CD-Titel eine ‚amiable conversation‘, ist frappierend: Die Produktion – sie deckt insgesamt einen Zeitraum von dreieinhalb Jahrzehnten von 1912 bis 1948 ab – dokumentiert nicht nur den Aufbruch der experimentellen amerikanischen Musik, sondern belegt auch die äußerst fruchtbaren Einflüsse, die Cowells Arbeiten bis zum Ende 1940er Jahre sowohl in klanglicher Hinsicht auch als in Bezug auf den Umgang mit elastischen, auf metrischen Ordnungen basierenden Formkonzeptionen auf den jungen Cage ausübten. Cowells über die Titel seiner Werke vermittelte Versuche, die Klavierklänge suggestiv und illustrativ einzusetzen – sie tritt vielleicht am deutlichsten in seinen mit der Kombination von Traditionals und Clusterharmonik arbeitenden 'Three Irish Legends' (1912) hervor, wird aber auch dort deutlich, wo der Innenraum des Instruments genutzt wird oder ungewöhnliche Klangerzeugungsmaßnahme wie der Einsatz gestrichener Klaviersaiten heranzuziehen sind –, steht Cages gleichsam abstrahierender Ansatz gegenüber, bei dem der Objektcharakter der Klänge hervorgehoben und gegebenenfalls auch durch Präparationen unterstrichen wird.
Liebners Zugang zu den einzelnen Kompositionen zeichnet sich durch die Aufmerksamkeit für klangliche Details aus. Was in vielen Einspielungen von Cowells Werken gelegentlich etüdenhaft ausgestellt wird oder in Interpretationen früher Cage’scher Klavierstücke allzu trocken daherkommt, wird unter den Händen der Pianistin zum poetischen, oftmals verspielten Ereignis, das immer der jeweiligen Klangdramaturgie verpflichtet ist. Angerissen, fast gitarrenartig kommen die Klänge des präparierten Klaviers beispielsweise in Cages 'Tossed as it is Untroubled' (1942) daher, im Anschluss daran konfrontiert mit den von der Pianistin durch Greifen im Klavierinnern zu manipulierenden Saitenschwingungen aus Cowells zartem Stück 'Sinister Resonanz' (um 1930). Die rhythmische Prägnanz, mit der Liebner dann Cages 'Soliloquy' (1945) dazu nutzt, um an die zur selben Zeit entstandenen Schlagzeugarbeiten zu erinnern, bietet einen großen Kontrast zu den atmosphärischen Klangwolken ausschließlich gezupfter Saiten aus Cowells 'Aeolian Harp' (1945), die wiederum beantwortet werden von den leise und weich getupften, verschwimmenden Tonkaskaden aus Cages 'Dream' (1948).
Überhaupt trägt die geschickte Platzierung und Abfolge der ausgewählten Kompositionen viel zur Gesamtwirkung dieser außergewöhnlichen Produktion bei: So scheinen die konzentrierten Spannungsbögen, die Liebner über die 'Three Irish Legends' legt, auch im Aufeinanderprall der von unterschiedlichen Präparierungen bestimmten Abschnitte aus Cages 'In the Name of the Holocaust' (1942) widerzuhallen, um danach nochmals in den gestrichenen Saiten von Cowells 'The Banshee' (1925) aufgegriffen zu werden und dort endgültig in der Stille zu verschwinden. Auch wenn die entsprechenden Werke in klanglicher wie konzeptueller Hinsicht denkbar weit auseinander liegen, wird hier wie auch in anderen Fällen die Aufmerksamkeit für versteckte Beziehungen und für Ähnlichkeiten in der klanglichen Disposition geschärft. Mit einer Spielzeit von 78 Minuten bietet die klanglich hervorragende Produktion nicht nur eine Fülle solcher spannender Momente; mit dem exzellenten Bookletbeitrag des Musikwissenschaftlers Wolfgang Rathert liefert sie darüber hinaus auch historisches Hintergrundwissen, das dem Hörer ein tieferes Eindringen in die Materie und eine adäquate Beschäftigung mit den hier aufeinandertreffenden Klangwelten ermöglicht.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Dieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!
Ihre Meinung? Kommentieren Sie diesen Artikel
Jetzt einloggen, um zu kommentieren.
Sind Sie bei klassik.com noch nicht als Nutzer angemeldet, können Sie sich hier registrieren.
Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
![]() Cover vergrößern |
Amiable Conversation: Klavierwerke von Cowell und Cage |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: Spielzeit: |
WERGO 1 06.11.2015 78:06 |
Medium:
EAN: BestellNr.: |
CD
4010228732627 WER 73262 |
![]() Cover vergössern |
WERGO Als 1962 die erste Veröffentlichung des Labels WERGO erschien - Schönbergs "Pierrot lunaire" mit der Domaine musicale unter Pierre Boulez -, war dies ein Wagnis, dessen Ausgang nicht abzusehen war. Werner Goldschmidt, ein Kunsthistoriker, Sammler und Enthusiast im besten Sinne, war es, der - gemeinsam mit dem Musikwissenschaftler Helmut Kirchmayer - den Grundstein zu dem Label legte, das seit inzwischen 50 Jahren zu den führenden Labels mit Musik unserer Zeit zählt. Mehr Info... |
![]() Cover vergössern |
Jetzt kaufen bei...![]() |
Von Prof. Dr. Stefan Drees zu dieser Rezension empfohlene Kritiken:
-
Die Schönheit abstrakter Klangobjekte: Die Pianistin Sabine Liebner hat eine Auswahl aus dem Klavierschaffen von Earle Brown eingespielt und überzeugt durch ihre Konsequenz bei der Umsetzung der grafischen Notationsformen. Weiter...
(Prof. Dr. Stefan Drees, 08.06.2012)
-
Kreativer Zugriff: In ihrer dritten Einspielung mit Werken John Cages widmet sich die Pianistin Sabine Liebner zwei 'number pieces' aus dem Jahr 1990. Weiter...
(Prof. Dr. Stefan Drees, 07.11.2014)
-
Schlüssige Scelsi-Lektüre: Mit ihrer neuesten CD begibt sich die Pianistin Sabine Liebner auf die Spuren des Komponisten Giacinto Scelsi und entdeckt die harmonischen Strukturen seiner Musik neu. Weiter...
(Prof. Dr. Stefan Drees, 10.05.2015)
Weitere Besprechungen zum Label/Verlag WERGO:
-
'Spannungslage einer Wohlstandsgesellschaft': Klanglich vorzüglicher Uraufführungsmitschnitt eines vielgestaltigen 'Oratoriums'. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
-
Faszinierende Klangwelten aus der Quelle der Stille: Matthias Kaul überzeugt mit John Cage. Weiter...
(Michael Pitz-Grewenig, )
-
Klanglich zerrissen: Diese Einspielung von Manfred Trojahns zweitem Streichquartett hat Referenzcharakter. Weiter...
(Michael Pitz-Grewenig, )
Weitere CD-Besprechungen von Prof. Dr. Stefan Drees:
-
John Bull und andere: Im sechsten Teil seiner Gesamteinspielung des 'Fitzwilliam Virginal Book' kombiniert der Cembalist Pieter-Jan Belder Stücke von John Bull mit einzelnen Kompositionen unbekannterer Tonsetzer. Weiter...
(Prof. Dr. Stefan Drees, )
-
Arbeit an klanglichen Feinheiten: Die zweite DVD der Reihe 'Lachenmann Perspektiven' widmet sich der Komposition 'Air'. Weiter...
(Prof. Dr. Stefan Drees, )
-
Blick in die Interpretationswerkstatt: Eine neue DVD-Reihe vermittelt unschätzbare Einblicke in die musikalischen und technischen Problemstellungen von Helmut Lachenmanns Musik. Weiter...
(Prof. Dr. Stefan Drees, )
Weitere Kritiken interessanter Labels:
-
Tanzende sowjetische Fußballer und Landarbeiter : Das Singapore Symphony Orchestra hat die berühmten Jazz-Suiten von Schostakowitsch eingespielt, kombiniert mit zwei Balletten, die das heldenhafte Leben der Menschen in der Sowjetunion zelebrieren. Weiter...
(Dr. Kevin Clarke, )
-
Mehr als vier Hände: Das Duo Genova-Dimitrov bietet an zwei Flügeln eine reiche Reinecke-Lese. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
-
Später Brahms, frisch präsentiert: Michael Collins und Stephen Hough überzeugen als kammermusikalisches Duo. Weiter...
(Dr. Kai Marius Schabram, )
Portrait

"Auf der Klarinette den Sänger spielen, das ist einfach cool!"
Der Klarinettist Nicolai Pfeffer im Gespräch mit klassik.com.
Sponsored Links
- klassik.com Radio
- Urlaub im Schwarzwald
- Neue Musikzeitung
- StageKit - Websites für Musiker, Veranstalter und Konzertagenturen
Hinweis:
Mit Namen oder Initialen gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers,
nicht aber unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Die Bewertung der klassik.com-Autoren:
Überragend
Sehr gut
Gut
Durchschnittlich
Unterdurchschnittlich