
Brahms, Johannes - Violin-Sonaten
Schlackenlos
Label/Verlag: MDG
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Die Violinsonaten von Johannes Brahms auf historischen Instrumenten und idiomatischer Stilistik: Da hat man den Eindruck, in die Musik selbst einzudringen und all ihren Farbenreichtum erst wahrnehmen zu können.
Die Violinsonaten von Johannes Brahms gehören zum Kernrepertoire jedes ambitionierten Violinisten, der sich auch als Kammermusiker profilieren möchte. Entsprechend hoch ist die Zahl der Einspielungen. Als Gesamtkorpus laden die drei Sonaten, die zusammen gut eine CD füllen, auch zur Tonträgereinspielung ein, wobei die Philologen unter den Musikern gelegentlich auch das Scherzo der ‚F.-A.-E.-Sonate‘ (‚Frei aber einsam‘), einer Gemeinschaftskomposition von Robert Schumann, Albert Dietrich und dem damals gerade erst zwanzigjährigen Brahms vorlegen. Die erste vollgültige Sonate für Violine und Klavier, op. 78 in G-Dur, entstand aber erst 25 Jahre später, acht bis zehn Jahre später gefolgt von den beiden weiteren Beiträgen in A-Dur op. 100 und in d-Moll op. 108.
In der vorliegenden Einspielung mit Stephan Schardt und Philipp Vogler fallen allem voran die flotten Tempi auf – und die Nutzung historischer Instrumente und Spielweisen. Zwar wurde die Violine erst 2004 gebaut, doch als Nachbau eines Instruments aus dem späten 19. Jahrhundert, natürlich mit Darmsaiten; das Klavier ist ein Streicher-Flügel von 1847 (!), der aber eher gleichstufig gestimmt (was wahrscheinlich nicht ganz angemessen ist – der verantwortliche Klavierstimmer wird nicht genannt). Erfreulich warm ist der Klavierklang, ganz anders als die übliche Steinway-Stimmung.
Dies bewirkt zuallererst einen scheinbar emotionslosen Zugang zur Musik, auch weil Vibrato (wie Joseph Joachim noch 1900 forderte) nur in Sparsamkeit zum Einsatz kommt (in den hohen Lagen dennoch erforderlich ist, da der Ton sonst leicht schrill werden kann). Viele der Sätze erlangen so einen schwingenden, teilweise tanzbaren Charakter, werden von viel übermäßigem Sentiment befreit, das viele Interpretationen überfrachtet – hier hören wir absolute Musik im eigentlichen Sinn, durchaus stark verwandt mit der Musik der Zeitgenossen. Die Musik wirkt aus sich selbst, und dass das 'Adagio' der G-Dur-Sonate nur fünfeinhalb Minuten dauert, lässt selbst einen Leonid Kogan blass aussehen, der zwei Minuten mehr benötigt. Nachdem man Schardt (früher Konzertmeister von Musica Antiqua Köln und der Bamberger Symphoniker) und Vogler (der sich auch als Komponist und Dirigent profiliert hat) gehört hat, klingen die meisten anderen Einspielungen der langsamen Sätze merkwürdig ‚falsch‘, weil über-proportioniert.
Allerdings rächt es sich, dass es sich bei dem von Schardt gespielten Instrument um einen Nachbau handelt. Es ließe sich hierüber sicher trefflich streiten, doch scheint es dem Rezensenten, als fehle dem Nachbau noch die ‚Patina‘, die Aura, als klänge es noch zu modern. Vielleicht ist aber auch genau Umgekehrtes der Fall, und der Ton des Instruments ist wegen des historischen Zuschnitts ungewohnt. Während wir Musik vor 1850 mittlerweile historisch informiert gewöhnt sind, ist jede entsprechende Interpretation von Musik danach immer noch ein kleines Wagnis, nicht zuletzt wegen der gewandelten Hörerwartungen.
Die beiden Instrumente mischen sich bestens, die besonderen Farbtöne des Wiener Flügels aus der Sammlung Beunk mischen sich mit dem warmen Violinklang äußerst vorteilhaft. Wie intensiv sich die Musiker mit den Werken befasst haben, beweist das Booklet, das komplett auf einen musikwissenschaftlichen Einführungstext verzichtet und stattdessen Beiträge beider Interpreten bringt, die detailliert über die gewählten Instrumente und ihren interpretatorischen Zugang Auskunft geben. In ihrer Art ist dies vorbildlich – und da offenbar vermutet wird, dass die vorliegende Einspielung nicht die einzige in der Sammlung des Klassikhörers sein wird, fallen fehlende Informationen zur Werkentstehung auch kaum ins Gewicht. Sollte aber die Produktion Alleinanspruch erheben dürfen, wären Nachbesserungen in dieser Hinsicht wünschenswert (vor allem darf, wie gesagt, der Name des Stimmers nicht fehlen).
Von besonderer Bedeutung ist auch die Aufnahmetechnik, die den Feinheiten der klanglichen Komponente (gleich in welchem Abspielformat) eine prominente Dimension einräumt. Klanglich ist diese Produktion sicher unübertrefflich – interpretatorisch spielt sie wegen ihrer historischen Einsichten an vorderster Front mit, hat hier aber natürlich nahezu erdrückende Konkurrenz, die (aus anderer Perspektive) teilweise mindestens ebenbürtig ist.
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Brahms, Johannes: Violin-Sonaten |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
MDG 1 30.10.2015 |
Medium:
EAN: |
CD
760623191669 |
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MDG Die klangrealistische Tonaufnahme »Den beim Sprechen oder Musizieren entstehenden Schall festzuhalten, um ihn zu konservieren und beliebig reproduzieren zu können, ist eine Idee, die seit langem die Menschen beschäftigte. Waren zunächst eher magische Aspekte im Spiel, die die Phantasie beflügelten wie etwa bei Giovanni deila Porta, der 1598 den Schall in Bleiröhren auffangen wollte, so führte mit fortschreitender Entwicklung naturwissenschaftlichen Denkens ein verhältnismäßig gerader Weg zur Lösung...« (Riemann Musiklexikon)Seit Beginn der elektrischen Schallaufzeichnung ist der Tonmeister als »Klangregisseur« bei der Aufnahme natürlich dem Komponisten und dem Interpreten, aber auch dem Hörer verpflichtet. Die Mittel zur Tonaufzeichnung sind hinlänglich bekannt. Die Kriterien für ihren Einsatz bestimmt das Ohr. Deshalb für den Hörer hier eine Beschreibung unserer Hörvorstellung. Lifehaftigkeit In der Gewißheit, daß der Konzertsaal im Wohnzimmer (leider) nicht realisierbar ist, konzentriert sich unser Bemühen darauf, die Illusion einer Wirklichkeit zu vermitteln. Die Musik soll im Hörraum so wiedererstehen, daß spontan der Eindruck der Unmittelbarkeit entsteht, das lebendige Klanggeschehen mit der ganzen Atmosphäre der »Lifehaftigkeit« erlebt wird. Da wir praktisch ausschließlich menschliche Stimmen und »klassische« Instrumente - auch sie haben ihren Ursprung im Nachahmen der Stimme - aufnehmen, konzentriert sich unsere Klangvorstellung auf natürliche Klangbalance und tonale Ausgeglichenheit im Ganzen, und instrumentenhafte Klangtreue im Einzelnen. Darüber hinaus natürliche, ungebremste Dynamik und genaueste Auflösung auch der feinsten Spannungsbögen. Weitestgehend bestimmend für die Illusion der Lifehaftigkeit ist auch die Ortbarkeit der Klangquellen im Raum: freistehend, dreidimensional, realistisch.Musik entsteht im Raum Um diesen »Klangrealismus« einzufangen, ist bei den Aufnahmen von MDG eine natürliche Akustik unbedingte Voraussetzung. Mehr noch, für jede Produktion wird speziell in Hinblick auf die Besetzung und den Kompositionsstil der passende Aufnahmeraum ausgesucht. Anschließend wird »vor Ort« die optimale Plazierung der Musiker und Instrumente im Raum erarbeitet. Dieser ideale »Spielplatz« ermöglicht nun nicht nur die akustisch beste Aufnahme, sondern inspiriert durch seine Rückwirkung die Musiker zu einer lebendigen, anregenden Musizierlust und spannender Interpretation. Können Sie sich die Antwort des Musikers vorstellen auf die Frage, ob er lieber in einem trockenen Studio oder in einem Konzertsaal spielt?Die Aufnahme Ist der ideale Raum vorhanden, entscheidet sich der gute Ton an den Mikrofonen - verschiedene Typen mit speziellen klanglichen Eigenheiten stehen zur Auswahl und wollen mit dem Klang der Instrumente im Raum in Harmonie gebracht werden. Ebenso wichtig für eine natürliche Abbildung ist die Anordnung der Mikrofone, damit etwa die richtigen Nuancen in der solistischen Darstellung oder die Kompensation von Verdeckungseffekten realisierbar werden. Das puristische Ideal »nur zwei Mikrofone« kann selten den komplexen Anforderungen einer Aufnahme mit mehreren Instrumenten gerecht werden. Aber egal wie viele Mikrofone verwendet werden: Stellt sich ein natürlicher Klangeindruck ein, ist die Frage nach dem Zustandekommen des »Lifehaftigen« zweitrangig. Entscheidend ist, es klingt so, als wären nur zwei Mikrofone im Spiel.Ohne irgendwelche »Verschlimmbesserer« wie Filter, Limiter, Equalizer, künstlichen Hall etc. zu benutzen, sammeln wir die Mikro-Wellen übertragerlos in einem puristischen Mischpult und geben das mit elektrostatischem Kopfhörer kontrollierte Stereosignal linear und unbegrenzt an den AD-Wandler und zum digitalen Speicher weiter. Dadurch bleiben auch die feinsten Einschwingvorgänge erhalten. Auf der digitalen Ebene wird dann ohne klangmanipulierende Eingriffe mit dem eigenen Editor in unserem Hause das Band zur Herstellung der Compact Disc für den Hörer erstellt, für Ihr hoffentlich großes Hörvergnügen. Mehr Info... |
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