
Bliss, Arthur - Morning Heroes
Unhomogen
Label/Verlag: Chandos
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Tolle Aufnahmequalität, doch wenn der Chorklang, wie hier in 'Morning Heroes' von Arthur Bliss, reichlich unhomogen wirkt, hilft das nicht weiter. Wesentlich besser ist der 'Hymn to Apollo'.
Lange vor Benjamin Brittens 'War Requiem' und selbst diverse Jahre vor Vaughan Williams‘ 'Dona nobis pacem' schuf Arthur Bliss (1891–1975) 1928-30 'Morning Heroes', eine Sinfonie für Sprecher, Chor und Orchester als Denkmal für alle im Ersten Weltkrieg Gefallenen. Bliss, der selbst im Krieg gedient hatte, hatte seinen Bruder verloren und sich zehn Jahre nach Kriegsende aufgemacht, den Kriegsschauplatz zu besuchen. Das erschütternde Ergebnis ist eine heikle Hybridform von Chor- und Orchestersinfonie sowie Melodram. Anders als Britten und Vaughan Williams verzichtet Bliss auf Worte der christlichen Requiemliturgie, verbindet vielmehr literarische Texte aus mehreren Kontinenten, um die ungeheure Dimension des Verlustes an ‚Menschenmaterial‘ anschaulich zu machen: der chinesische Dichter Li Tai-Po steht neben Homer, Walt Whitman neben Wilfred Owen (dessen Gedichte bei Britten zentrale Aussage einnehmen sollten), um nur einige zu nennen. Bliss‘ Idee ist die einer überzeitlichen Gedenkkomposition – ein zentraler Satz ist ‚some say God caught them even before they fell‘ aus einem Owen-Gedicht, hier vorgetragen vom Sprecher über Orchesterbegleitung.
Die heikle Besetzungsform hat immer wieder zu Problemen geführt. Die Balance zwischen Chor und Orchester ist ebenso wichtig wie die Umsetzung des Sprecherparts, der gleichzeitig musikalisch passend und deklamatorisch überzeugend geraten muss. Manchmal ist es mehr eine Frage des Gesamteindrucks denn der einzelnen Leistung – der brillante Chor aus Liverpool in der EMI-Einspielung ist von der Gesamtleistung nicht ganz so überzeugend wie der BBC Symphony Chorus in der BBC-Aufnahme von 1982, die 1997 bei BBC Radio Classics veröffentlicht wurde und seither vom Markt verschwunden ist. Die in einem Schwung mitgeschnittene BBC-Aufnahme scheint eine stärkere Tiefenspannung zu haben als die diverse Jahre ältere Studioproduktion. Nun also, nach über zwanzig Jahren, eine Neuproduktion ebenfalls mit den BBC-Kräften, unter der Leitung von Sir Andrew Davis.
Dass Davis ein Klangmagier ist, hat er häufig genug bewiesen, auch dass er manchmal ein wenig äußerlich in der Interpretation gerät (hier etwa wenn die Artillerie in die Rezitation einbricht). Davis rückt Bliss in Elgar-Nähe, gestaltet die Musik einerseits weicher als Dirigenten älterer Generationen, spreizt andererseits den dramatischen Gestus auch schärfer – was der Musik nur bedingt gut tut. Das bestens, hochgradig differenziert reagierende BBC Symphony Orchestra erfüllt diesen Interpretationszugang mit hohem Feingefühl und spürt so den lyrischen Linien der Komposition intensiv nach. Auch Samuel West (Sohn von Timothy West und Prunella Scales) passt sich in dieses Konzept ein, nicht ohne emphatische Ausbrüche an den passenden Stellen.
Der BBC Symphony Chorus ist mit unerhörter Klarheit eingefangen – exzellent in der Aussprache, doch auch in der Unhomogenität der Stimmen; vor dreißig, ja selbst vor zehn Jahren war der Chorklang noch weitaus homogener, dadurch im Grunde überwältigender. Hier hören wir eine Menge Individuen, die ihre Beiträge liefern, aber keine echte Klang-Gemeinschaft. Möglicherweise hat dies mit veränderten ästhetischen Grundvorstellungen zu tun, ein essenzielles Ergebnis ist ein Chorklang, bei dem jede kleinste Intonationstrübung auffällt, einzelne Stimmen hervortreten, ohne dass dies von der Musik intendiert sei. Der Chorruf ‚War‘ klingt so gezähmt, nicht wie ein aggressiv-verzweifelter Aufschrei. Bliss‘ Musik wird sozusagen konventionalisiert und verliert so an innerer Durchschlagskraft. Auch hier sind die lyrischen, introvertierten Momente gelungener.
Im direkten Vergleich zu Bliss‘ Interpretation der 'Hymn to Apollo' (gleichermaßen eine Art Beitrag zur Verarbeitung des Todes seines Bruders im Ersten Weltkrieg) ist Davis‘ Zugang unmittelbarer – er dirigiert die Originalfassung von 1926, die im Klang schärfer ist – so werden schlussendlich die ‚moderierenden‘ Aspekte in 'Morning Heroes' hier durch die sorgfältige Wiedergabe wieder etwas ‚aufgebrochen‘. Für 'Hymn to Apollo' ist diese SACD in jedem Fall empfehlenswert.
Natürlich gibt es herrliche Momente auf dieser SACD, zumeist bedingt durch die exzeptionelle Aufnahmequalität – doch sind diese Momente immer wieder eher vereinzelter Natur und eben nicht einer intensiven dramaturgischen Steigerung unterworfen. Das gute Booklet ergänzt eine musikalisch leider nicht durchgängig gleichwertig hochwertige Interpretation.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Bliss, Arthur: Morning Heroes |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Chandos 1 02.10.2015 |
Medium:
EAN: |
SACD
095115515921 |
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Chandos Chandos Records was founded in 1979 by Brian Couzens and quickly established itself as one of the world's leading classical labels. Prior to forming the label, Brian Couzens, along with his son Ralph, worked for 8 years running a mobile recording unit recording for major labels (including RCA, Polydor, CFP, etc.) with many of the world's leading artists.
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