
Haydn, Joseph - Die Schöpfung
Ganz nah bei Haydn
Label/Verlag: Phi
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Herreweghe begibt sich ästhetisch ganz nah an Haydns 'Schöpfung' heran: Edel in Klang und Haltung geht es hier zu, doch zugleich kraftvoll, klar und entschieden.
Philippe Herreweghe ist ein mehr als erfahrener Deuter klassischen Repertoires aus dem Verständnis der historisch informierten Aufführungspraxis. Auch auf seinem noch immer jungen Label Phi hat er das schon demonstriert, zum Beispiel mit späten Mozart-Sinfonien und Joseph Haydns Oratorium 'Die Jahreszeiten'. Er interpretiert dabei quasi aus einer Binnenperspektive, stilistisch vorangedacht, nicht retrospektiv verklärend, sondern immer das ästhetisch Neue betonend und plastisch machend.
Das führt auch bei der aktuell vorliegenden Einspielung der 'Schöpfung' insgesamt zu einem leichten Gesamtklang bei Instrumenten und Vokalisten – von dieser Basis freilich dynamisch üppig entfaltet, immer wieder mit geradezu lustvoller Explikation des unglaublich reichen Haydnschen Orchestersatzes: Jedes Detail gewinnt Statur, ohne vereinzelt oder demonstrativ zu wirken. Insgesamt gelingt Herreweghe mit seinen bewährten Kräften – neben dem Collegium Vocale Gent ist das Orchestre des Champs-Élysées zu erleben – die Gestaltung eines überzeugend kontextualisierten Geschehens. Nach dieser Lektüre kann niemand Haydns 'Schöpfung' nicht als Meisterwerk ansprechen, auch wenn man die von Zeitgenossen glaubhaft überlieferte ekstatische Begeisterung am C-Dur-Effekt des werdenden Lichts heute nicht mehr teilen mag.
Rundum überzeugend
Zu dieser interpretatorisch überzeugenden Gesamtleistung tragen alle Beteiligten bei: Das Collegium Vocale Gent singt in einem klaren, geschmackvoll schlagkräftigen Klangideal und widersteht der von Haydn dem Chor weitgehend zugewiesenen lobpreisenden Eindimensionalität mit all seinem Können, durch Variabilität, durch gestische Behändigkeit.
Darin wird er kongenial vom Orchester getragen, das ausgesprochen hochkarätig besetzt ist – beispielhaft seien der Flötist Alexis Kossenko, der Oboist Marcel Ponseele, der Trompeter Alain De Rudder, der Posaunist Wim Becu oder Maude Gratton am Fortepiano genannt. Gerade Letztere spielt in den Rezitativen enorm geschmackvoll. Und genauso luzide, strukturklar, aber auch klangbewusst und entschieden, sehnig und kraftvoll agiert das gesamte Orchester: Praktisch jede Begleitfigur ist zu hören, spieltechnisch hervorragend präsentiert, dennoch nie auf Kosten eines fein gerundeten, konzentrierten Gesamtklangs.
Was für eine Basis für die drei Solisten: Als Gabriel und Eva brilliert Christina Landshamer, schlagkräftig, leicht und beweglich, mit sehr schönem Höhenstrahl, technisch souverän, gelegentlich auch angemessen verspielt. Dazu profiliert sich Maximilian Schmitt in der Partie des Uriel als eminenter Rezitativgestalter, mit fein dosierter Kraft, überhaupt in sehr schöner Balance von Dezenz und dramatischer Entfaltung. Auch arios beweist er seine bemerkenswerten Fähigkeiten. Der Bassist Rudolf Rosen schließlich bietet als Raphael und Adam eine nicht weniger eindrucksvolle Präsentation: Seine ausgesprochen große, sonore Stimme verfügt über eine wunderbare Tiefe. Zugleich ist Rosen jederzeit in der Lage, seine üppigen Mittel perfekt zu kontrollieren. Und wie die beiden anderen Vokalsolisten ist er ein Meister elegant ausgesungener Ensembles.
Philippe Herreweghe bietet all das in insgesamt frischen Tempi, mit einem mild dramatischen Zug, nie ohne pulsierende Energie, immer kontextuell angelegt – also auch ruhevoll, wo geboten. Dynamisch entfaltet sich ein hochdifferenziertes Bild, klar in allen Nuancen, entschieden und bewusst gesetzt. Das Klangbild ist von plastischer Größe, enorm präzis und reich an Details – dem Werk und seiner Vielgestaltigkeit sehr angemessen.
Herreweghe begibt sich ästhetisch ganz nah an Haydns 'Schöpfung' heran, spürt ihr intensiv nach, ihrer Eigenart und Besonderheit. Und es ist hier wirklich nichts zu hören von jener edlen Zurückhaltung in der Affektgestaltung, die Herreweghes Deutungen klassischen Repertoires gelegentlich prägt und ihnen von Verächtern dieses Interpretationsstils zum Nachteil ausgelegt wird. Edel in Klang und Haltung geht es hier auch zu, doch zugleich kraftvoll, klar und entschieden: Eine frische, eine wirklich fesselnde 'Schöpfung'.
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Haydn, Joseph: Die Schöpfung |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Phi 2 02.10.2015 |
Medium:
EAN: |
CD
5400439000186 |
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Phi Der griechische Buchstabe φ (PHI - die Übereinstimmung mit den Initialen von Philippe Herreweghe ist nicht ganz zufällig) versinnbildlicht die Ambitionen des Labels. Er ist das Symbol für den goldenen Schnitt, für die Perfektion, die man in den Staubfäden der Blumen findet, für griechische Tempel, Pyramiden, Kunstwerke der Renaissance oder für die Fibonacci-Zahlenfolge. Seit der frühesten Antike steht dieser Buchstabe im eigentlichen Sinne für Kontinuität beim Streben nach ästhetischer Perfektion. Mehr Info... |
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