
Caravaggio - Ein Ballett nach Claudio Monteverdi
Dialog mit dem Licht
Label/Verlag: Monarda Music
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Dieses Caravaggio-Ballett ist musikalisch durchwachsen und erschließt sich ohne nähere Hinweise auch auf der choreographischen Ebene nicht komplett.
Spätestens seit Derek Jarmans (freilich kontrovers diskutiertem, weil künstlerisch anspruchsvollem und nicht gerade politisch korrektem) ‚Caravaggio‘-Film von 1986 gehört der Monteverdi-Zeitgenosse Michelangelo Merisi, genannt Caravaggio, zu den wichtigsten italienischen Malern des Frühbarock. Ein Caravaggio-Ballett war nur eine Frage der Zeit, bietet sich doch Caravaggios neuartige und realistische Bildgestaltung zu visueller Gestaltung geradezu an. Während zu Jarmans Film und auch zu Jochen Ulrichs Ballett von 2003 jeweils neue Musik geschaffen wurde, nutzt Mauro Bigonzettis Ballett, das er 2008 mit dem Staatsballett Berlin erarbeitet hat, Musik von Claudio Monteverdi, frei adaptiert von Bruno Moretti. Das hört sich kaum nach Monteverdi, mehr nach Respighi oder Orff an. Wozu man die (im Booklet nicht dokumentierte) CD mit dem Soundtrack benötigt, muss gefragt werden dürfen – die Interpretation durch die Staatskapelle Berlin unter der musikalischen Leitung Paul Connelly ist jedenfalls nicht dazu angetan, mehrfach angehört zu werden.
Moretti steht Monteverdis Idiom hörbar fern, instrumentatorisch verortet er seine Vorlagen nicht im Barock, sondern in einer Art postmodernem Neobarock – doch bleibt sein Zugang auch unter dieser Perspektive zu moderat, musikalisch teilweise geradezu einfallslos, dem choreografischen Konzept nicht angemessen. Er spricht von der Choreografie als von einem Dialog mit dem Licht, doch strahlt dieses Licht viel zu wenig aus seiner Partitur. Auch interpretatorisch bleiben viele Wünsche offen: Die Blechbläser sind in manchen Passagen hörbar überfordert, spielen schlampig, die Streicher lustlos, der Dirigent mechanisch. Natürlich gibt es auch einigermaßen geglückte Momente; im Satz 'Junge Musiker' etwa und in weiten Teilen des zweiten Aktes, in denen sich die Musik zwar in konventionellen, so doch zumindest in nicht unemotionalen Geleisen bewegt.
Dass die DVD trotz dieser betrüblichen musikalischen Komponente sehenswert ist, liegt an der nichtmusikalischen Seite. Mauro Bigonzetti gilt als einer der führenden Choreographen der modernen italienischen Ballettwelt. Seine Choreographien, die er überwiegend für sein Aterballetto in Reggio Emilia entwickelt hat, gelten als bahnbrechend und verhalfen ihm längst zu internationalem Erfolg. ‚Denke ich an Caravaggio, denke ich immer an den Künstler und den Menschen zugleich. Es sind diese zwei Seiten des menschlichen Seins, die mich im Wesentlichen interessieren. Das Verhältnis dieser beiden Welten zueinander – einerseits das Innerliche, und wie dies andererseits im Künstlerischen zum Ausdruck kommt – ist die Inspiration für diese Arbeit.‘ Bigonzetti betont die Innenspannung der dargestellten Körper in Caravaggios Bildern als besondere Inspiration. Die Intensität der Choreographie ist selbst über die DVD nahezu physisch zu greifen, und selbst wenn manche Momente in der bis auf Nijinsky zurückgehen und damit alles andere als neu sind (Vladimir Malakhov in der Titelrolle transportiert die Nijinsky-Nurejev-Tradition sowohl tänzerisch als auch von der Physiognomie her), haben wir doch das Gefühl einer in sich runden, der Musik weit überlegenen Darbietung.
Bigonzetti skizziert – verschränkt mit Impressionen aus Gemälden Caravaggios – das Leben des Malers, wenn auch in weitaus konventionellerer Weise als dies Jarman vor fast dreißig Jahren gewagt hatte. Spätestens im ersten Akt sind wir im italienischen Frühbarock eingetroffen . Die Straßen Mailands, in denen Michelangelo Merisi (wie er bürgerlich hieß) aufwuchs, werden frühlingshaft-frisch verlebendigt. Nicht immer findet Bildregisseur Andreas Morell den optimalen Blickwinkel, mal ist er zu nah, mal zu fern, mal arhythmisch, mal von oben, doch fast immer vermittelt sich die große Intensität der Produktion.
Caravaggio galt als Meister des bildnerischen Lichts. Auf diesem Niveau bewegt sich Bühnen- und Lichtdesigner Carlo Cerri – immer wieder gibt es nicht ganz überzeugende Lichtlösungen, die der frühbarocke Maler noch verfeinert hätte. Vor allem ist die szenisch völlig neutrale Bühne gelegentlich doch etwas zu leer – besonders wenn die Bildregie den vollständigen Bühnenraum zeigt.
Manche der Gemälde Caravaggios lassen sich in choreografischer Überhöhung wiedererkennen, ‚Die Wahrsagerin‘ etwa oder das Selbstporträt als ‚Bacchus‘. Der 'Junge Musikanten' überschriebene Satz transportiert viel von Caravaggios sensueller Poesie und ist vielleicht der Höhepunkt des ersten Aktes. Andere Gemälde (‚Der Zahnzieher im Wirtshaus‘, ‚Die Falschspieler‘) bleiben dem Rezensenten unidentifizierbar, scheinen selbst in der symbolischen Umsetzung denkbar weit von dem, was das Booklet vorgibt, entfernt. Der zweite Akt findet wunderbar evokative Bilder. Das ‚Matthäus‘-Triptychon in San Luigi dei Francesi choreografiert Bigonzetti frei assoziierend mit herrlichen, teilweise durchaus ungewohnten Gestaltformen, immer wieder hochexpressiv und mit häufig inspirierter Lichtgestaltung. Visuell ist dieser zweite Akt ein besonderes Ereignis, weniger wegen des symbolisch fließenden Blutes als vielmehr wegen der expressiven Kraft der drei Hauptszenen.
Ein 29 Minuten langes ‚Making of‘ (Regie Marita Stocker) erläutert Ziel und Konzept der Choreografie weitaus stärker als das DVD-Booklet. Eine Art Handlungsskizze sucht man in ihm ebenso erfolglos wie einen ernsthaft tiefgründigen Beitrag zu Choreografie, Musik und Lichtdesign. Auf der DVD unterscheidet der eingeblendete Titel nicht zwischen Prolog und erstem Akt – sorgloses Editing. Dass die Verarbeitung der Verpackung (DVD und die CD ließen sich fast nicht aus ihren Halterungen lösen) verbesserungsfähig wäre, sei nur am Rande vermerkt.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Features: Regie: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Caravaggio: Ein Ballett nach Claudio Monteverdi |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Monarda Music 2 30.10.2015 |
Medium:
EAN: |
DVD
807280908299 |
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Monarda Music Arthaus Musik wurde im März 2000 in München gegründet und hat seit 2007 seinen Firmensitz in Halle (Saale), der Geburtsstadt Georg Friedrich Händels. Zahlreiche Veröffentlichungen des Labels wurden mit internationalen Preisen ausgezeichnet, darunter der Oscar-prämierte Animationsfilm ?Peter & der Wolf? von Suzie Templeton, die aufwändig produzierte ?Walter-Felsenstein-Edition? und die von Sasha Waltz choreographierte Oper ?Dido und Aeneas?, die beide den Preis der deutschen Schallplattenkritik erhielten. Mit dem Midem Classical Award wurden u. a. die Dokumentationen ?Herbert von Karajan ? Maestro for the Screen? von Georg Wübbolt und ?Celibidache ? You don?t do anything, you let it evolve? von Jan Schmidt-Garre ausgezeichnet. Die Dokumentation ?Carlos Kleiber ? Traces to nowhere? von Eric Schulz erhielt den ECHO Klassik 2011. Mit der Tochterfirma Monarda Arts besitzt Arthaus Musik eine ca. 900 Produktionen umfassende Rechtebibliothek zur DVD-, TV- und Onlineauswertung. Seit 2007 entwickelt das Unternehmen kontinuierlich die Sparte Eigenproduktion mit der Aufzeichnung von Opern, Konzerten, Balletten und der Produktion von Kunst- und Musikdokumentationen weiter. Arthaus Musik DVDs und Blu-ray Discs werden über ein leistungsfähiges Vertriebsnetz, u.a. in Kooperation mit Naxos Global Distribution in ca. 70 Ländern der Welt aktiv vertrieben. Darüber hinaus veröffentlicht und vertreibt Arthaus Musik die 3sat-DVD-Edition und betreut für den Buchhandel u.a. die Buch- und DVD-Edition über Pina Bausch von LArche Editeur, Preisträger des Prix de lAcadémie de Berlin 2010. Mehr Info... |
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