> > > Monteverdi, Claudio: Orpheus, Odysseus & Poppea
Sonntag, 26. März 2023

Monteverdi, Claudio - Orpheus, Odysseus & Poppea

Nichts für Monteverdi-Puristen


Label/Verlag: Arthaus Musik
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Arthaus macht den aufregenden, unter Regie von Barrie Kosky musikalisch wie szenisch aktualisierten Monteverdi-Zyklus der Komischen Oper Berlin aus dem Jahr 2012 in einer vorbildlichen 5-DVD-Box zugänglich.

Mit ihrem Monteverdi-Zyklus hat die Komische Oper Berlin in der Saison 2012/13 einen ganz besonderen und vielfach diskutierten Coup gelandet: Getreu dem seit Jahrzehnten am Haus dominierenden Konzept, möglichst alle Produktionen in deutscher Sprache zu bringen, stellte man von Susanne Felicitas Wolf (in einem Falle unter Mitwirkung von Ulrich Lenz) eingedeutschte Fassungen aller drei abendfüllenden Bühnenwerke Monteverdis unter den verkürzten Titeln 'Orpheus', 'Odysseus' und 'Poppea' auf die Bühne. Darüber hinaus wurden die Partituren von der Komponistin Elena Kats-Chernin (*1957) einer ausführlichen kompositorischen Relektüre unterzogen und erfuhren durch die Regie von Barrie Kosky, insbesondere durch Fokussierung auf die jeweils im Zentrum stehenden Liebespaare in ihrer jeweiligen narrativen Umgebung – dem Mythos, der vorgeschichtlichen Legende und dem historischen Drama –, auch eine thematische Verknüpfung. Dieses gelungene musiktheatralische Experiment ist nun in einer Box auf insgesamt fünf DVDs mit 460 Minuten Spielzeit bei Arthaus Musik erhältlich und erlaubt damit Einblicke in einen außergewöhnlichen und über weite Strecken hinweg auch höchst gelungenen Aktualisierungsversuch, der sich auch in Bezug auf vokale und instrumentale Umsetzung weit jenseits der Erkenntnisse historisch informierter Aufführungspraxis bewegt.

Ungewöhnlicher Zugang

Während Monteverdis spätere Opern bei einer Aufführung grundsätzlich instrumentiert werden müssen, weil der Tonsatz nur rudimentär überliefert ist, die Arbeit von Kats-Chernin im Grunde also in einer nunmehr hundertjährigen Aufführungstradition steht, ist der Opernerstling aus dem Jahr 1607 in einem prachtvollen, mit vielen Instrumentationsangaben versehenen Partiturdruck überliefert. Dies führt dazu, dass der hier gezeigte 'Orpheus' die eingefahrenen Hörgewohnheiten vielleicht am eindrücklichsten torpediert. Die ungewöhnliche Neuinstrumentation – unter Mitwirkung außereuropäischer Musikinstrumente und Klangerzeuger wie dem Akkordeon und dem Cymbalom – tritt bereits im stark verkürzten Prolog hervor, der einen improvisatorischen Charakter annimmt, während die bekannte Einleitungsfanfare erst am Beginn des ersten Aktes erklingt. Den instrumentatorischen und kompositorischen Eingriffen – etwa der Integration des Idioms jiddischer Musik, der Verschärfung der bei Monteverdi vorgegebenen Rhythmik oder der Integration des Chores in die zentrale Arie des Orpheus aus dem dritten Akt – entspricht die visuelle Gestaltung mit ihrer zum Teil betörenden, voller tänzerischer Bewegungen, skurril kostümierter Gestalten und optisch origineller Einfälle (wie etwas dem ergänzenden Einsatz von Marionetten) steckenden Opulenz.

Viele diese Momente spielen auch in den übrigen beiden Opern wesentliche Rolle. Insbesondere der Einsatz außereuropäischer Klangerzeuger oder ungewöhnlicher Instrumente wie Klavier und Glockenspiel in 'Odysseus' oder E-Gitarre und Banjo in den Rezitativen von 'Poppea' verleiht den Ergebnissen jeweils einen ganz besonderen Charakter. Zwar ist aufgrund des fehlenden Chores in 'Odysseus' und seinem gegenüber 'Orpheus' reduzierten Auftreten in 'Poppea' die visuelle Ebene in den späteren Werken stärker zurückgenommen, doch findet sich im Gegenzug eine weitaus stärkere Konzentration auf den Einsatz von Licht und dynamischerer Führung der Einzelpersonen, die oft in ungewöhnlicher Intensität schauspielerisch agieren müssen. Gerade in Bezug auf die große Feierszene in 'Odysseus' ist dies ausgesprochen humorvoll, zumal es dort zudem durch ein Changieren zwischen Bossa-Nova- und Tango-Tonfall unterstützt wird. Dass Kosky in diesem Zusammenhang allerdings manchmal auch in manieristische Regieeinfälle aus dem Regietheater verfällt und sich die Figuren schon mal etwas unmotiviert auf dem Boden winden, wird glücklicherweise meist durch Elemente wie humoristisch gesetzte, von den Darstellern mitgetragene Momente (so beispielsweise beim Aufeinandertreffen von Orpheus und Charon in 'Orpheus', aber auch in den Dialogen zwischen Melanto und Telemach in 'Odysseus' und in den Auftritten Arnaltas aus 'Poppea') sowie durch Einbeziehung der an die Bühne angrenzenden Logen und einer ins Publikum verlängerten Bühne als Spielorte neutralisiert.

Geschlossenes Ganzes

Was die Trilogie schließlich als geschlossenes Ganzes erscheinen lässt, sind bestimmte Ausstattungsdetails wie der Golfrasen, der am Ende des 'Orpheus' eine Rolle spielt und nahtlos zum Prolog des 'Odysseus' überführt, um schließlich in 'Poppea' erneut als vertrocknet wirkende Bodenfläche aufzutauchen. Eine wichtige Rolle spielt bei alldem Koskys Gedanke, dass sich im Verlauf der drei Opern eine stufenweise Entfremdung vom mythischen Arkadien vollzieht, eine wichtige Rolle: Während 'Orpheus', zu weiten Teilen im Dickicht eines regenwaldähnlichen Baum- und Blattgeflechts lokalisiert, die Geschichte vom Verlust dieses Ortes erzählt, berichtet 'Odysseus', die Erinnerung an Arkadien noch in blätterlosen Bäumen im Hintergrund der Bühne aufbewahrend, von der ins persönliche Glück verlegte Suche danach, während 'Poppea' schließlich in einer zwischen Machtgier und Intrigen aufgespannten Liebesgeschichte von seiner endgültigen Zerstörung kündet, jegliche visuelle Anspielungen auf Arkadien aus dem Bühnenbild verbannt und durch den Blick auf unfruchtbare Steine ersetzt. Gerade der gedankliche Zusammenhang zwischen den einzelnen Werken macht die drei Monteverdi-Adaptionen besonders schlüssig, auch wenn man sie nicht unbedingt als Trilogie rezipieren muss und jede einzelne Arbeit durchaus in Bezug auf ihre jeweiligen Qualitäten würdigen kann. Dabei dient gerade die zunehmende Abstraktion der späteren Werke immer wieder als Hintergrund für das eindringliche In-Szene-Setzen einzelner Bühnenfiguren wie etwa den Philosophen Seneca aus 'Poppea' mit den ihn umgebenden Büchern.

Bei allen drei Opern handelt es sich um Live-Aufzeichnungen, bei denen zwar immer wieder einige Abstriche in Bezug auf die Präzision der vokalen oder instrumentalen Umsetzung zu machen sind, die im Gegenzug allerdings ausgesprochen sehr lebendig von der Kamera eingefangen wurden und zudem überzeugend – wenn auch mit zu vielen und mitunter zu raschen Schnitten – unter der Videoregie von Peter Schönhofer ('Orpheus' und 'Odysseus') und Andreas Morell ('Poppea') für die DVD-Veröffentlichung bearbeitet wurden. Die Besetzung der Hauptrollen durch das Personal des Hauses ist durchweg ansprechend und weist – um hier zumindest einige zu nennen – mit Dominik Köninger als Orpheus, Ezgi Kutlu als Penelope, Peter Renz als Iros, Brigitte Geller als Poppea und Thomas Michael Allan als Arnalta einige ausgesprochen starke Stimmcharaktere auf. Orchester, Chor und Tänzer der Komischen Oper Berlin agieren unter Leitung von André de Ridder mit hörbarer und zum Teil auch sichtbarer Sing-, Spiel- und Bewegungsfreude, wobei Otto Pichlers gelungene 'Orpheus'-Choreographien zusätzlich als handlungstragende Elemente aus der Umsetzung hervorstechen.

Auch wenn die Edition letztlich weniger für Monteverdi-Puristen taugen mag, lohnt es sich, den optisch wie musikalisch ansprechenden Neudeutungen genauer nachzuspüren. Als Unterstützung hierzu kann man zudem das 94-seitige, reichlich mit Texten und Bildern ausgestattete Booklet zur Hand nehmen, das mit zusätzlichen Informationen aufwartet und aufschlussreiche Einblicke in die Perspektiven von Librettistin, Komponistin und Regisseur erlaubt.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:
Features:
Regie:








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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Monteverdi, Claudio: Orpheus, Odysseus & Poppea

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Arthaus Musik
5
30.10.2015
Medium:
EAN:

DVD
807280907896


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Arthaus Musik

Arthaus Musik wurde im März 2000 in München gegründet und hat seit 2007 seinen Firmensitz in Halle (Saale), der Geburtsstadt Georg Friedrich Händels.

Das Pionierlabel für Klassik auf DVD veröffentlicht nunmehr seit 13 Jahren hochkarätige Aufzeichnungen von Opern, Balletten, klassischen Konzerten, Jazz, Theaterinszenierungen sowie ausgesuchte Dokumentationen über Musik und Kunst. Mit bis zu 150 Veröffentlichungen pro Jahr sind bisher über 1000 Titel auf DVD und Blu-ray erschienen. Damit bietet Arthaus Musik den weltweit umfangreichsten Katalog von audiovisuellen Musik- und Kunstproduktionen und ist seit Gründung des Labels international führender Anbieter in diesem Segment des Home Entertainment Marktes.

In vielen referenzgültigen Aufzeichnungen sind die größten Künstler unserer Zeit wie auch aus vergangenen Tagen zu hören und zu sehen. Unter den Veröffentlichungen finden sich Aufnahmen mit Plácido Domingo, Cecilia Bartoli, Luciano Pavarotti, Maria Callas, Jonas Kaufmann, Elīna Garanča; mit Dirigenten wie Carlos Kleiber, Claudio Abbado, Nikolaus Harnoncourt, Lorin Maazel, Pierre Boulez, Zubin Mehta; aus Opernhäusern wie der Mailänder Scala, der Wiener Staatsoper, dem Royal Opera House Covent Garden, der Opéra National de Paris , der Staatsoper Unter den Linden, der Deutschen Oper Berlin und dem Opernhaus Zürich.

Zahlreiche Veröffentlichungen des Labels wurden mit internationalen Preisen ausgezeichnet, darunter der Oscar-prämierte Animationsfilm ?Peter & der Wolf? von Suzie Templeton, die aufwändig produzierte ?Walter-Felsenstein-Edition? und die von Sasha Waltz choreographierte Oper ?Dido und Aeneas?, die beide den Preis der deutschen Schallplattenkritik erhielten. Mit dem Midem Classical Award wurden u. a. die Dokumentationen ?Herbert von Karajan ? Maestro for the Screen? von Georg Wübbolt und ?Celibidache ? You don?t do anything, you let it evolve? von Jan Schmidt-Garre ausgezeichnet. Die Dokumentation ?Carlos Kleiber ? Traces to nowhere? von Eric Schulz erhielt den ECHO Klassik 2011.

Mit der Tochterfirma Monarda Arts besitzt Arthaus Musik eine ca. 900 Produktionen umfassende Rechtebibliothek zur DVD-, TV- und Onlineauswertung. Seit 2007 entwickelt das Unternehmen kontinuierlich die Sparte Eigenproduktion mit der Aufzeichnung von Opern, Konzerten, Balletten und der Produktion von Kunst- und Musikdokumentationen weiter.

Arthaus Musik DVDs und Blu-ray Discs werden über ein leistungsfähiges Vertriebsnetz, u.a. in Kooperation mit Naxos Global Distribution in ca. 70 Ländern der Welt aktiv vertrieben. Darüber hinaus veröffentlicht und vertreibt Arthaus Musik die 3sat-DVD-Edition und betreut für den Buchhandel u.a. die Buch- und DVD-Edition über Pina Bausch von L’Arche Editeur, Preisträger des Prix de l’Académie de Berlin 2010.


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