
Reger, Max - Orgelwerke
Klanggewalt
Label/Verlag: MDG
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Christoph Schoeners Auseinandersetzung mit Regers Orgelschaffen ist von imposanter Klarheit der musikalischen Architektur sowie fulminanter Gestaltungssicherheit.
Christoph Schoener ist seit 1998 Musikdirektor am Hamburger Michel. 2009 konnte er sich über die Neugestaltung ‚seiner‘ gesamten Orgelanlage (Große Orgel, Konzertorgel, Fernwerk) freuen. Wie genau diese Orgelanlage gestaltet ist, kann man dem vorliegenden Booklettext leider kaum entnehmen, dazu ist er zu unklar formuliert. Die beiden anderen Bookletbeiträge (zu den aufnahmetechnischen Problemen im Hamburger Michel, die die Tonmeister schon öfter zur Verzweiflung getrieben haben, und zu Reger und seinen Werken) überzeugen weitaus mehr – was man von der Bildgestaltung leider nicht sagen kann: Selten habe ich in CD-Booklettexten in jüngster Zeit eine derart deplorable Reger-Abbildung sehen müssen.
Nun aber zur Musik. Ich schätze Christoph Schoener seit langem, auch wenn ich ihn nicht vorrangig als Reger-Interpreten auf dem Schirm gehabt hätte. Sein Sinn für Klangarchitektur ist beeindruckend, in der Choralphantasie über 'Ein‘ feste Burg' op. 27 (1898) wie 'Introduction, Passacaglia und Fuge' h-Moll op. 127 (1913) gleichermaßen. In beiden Werken nutzt er vom Zentralspieltisch alle Möglichkeiten der Orgelanlage. Schoeners Steigerungsanlage der Choralphantasie ist regelrecht mitreißend, und die komplexe, formal strenge und doch hochinspirierte späte Großkomposition gerät unter seinen Händen zu einem farbenreichen, gleichzeitig intuitiv scheinenden und doch formal klaren, bezwingenden Gesamtorganismus. Besonders die Passacaglia ist bei Schoener voller unerhörter, voller ansonsten ungehörter Farben. Andere Interpreten hätten das Passacagliathema noch stärker betont, noch unerbittlicher ausgearbeitet, doch ist Schoeners klangfarblich äußerst reizvoller Beitrag von eigener Überzeugungskraft.
Ergänzt werden diese beiden ‚Schwergewichte‘ durch zwölf der 'Dreißig kleinen Choralvorspiele' aus der späten Sammlung op. 135a von 1914. Insgesamt hat der Katholik Reger neben seinen sieben Choralphantasien und zahlreichen anderen choralgebundenen Werken gut hundert Choralvorspiele geschaffen, in bewusster Nachfolge Bachs einerseits, doch auch bewusst expressiv (wenn auch nicht expressionistisch) andererseits. Wollte man einen Begriff aus der Kunstgeschichte bemühen, so wären Regers Techniken wohl als symbolistisch zu bezeichnen, während die bei ihm zugrunde liegende Geisteshaltung aber jener des künstlerischen Symbolismus mit ihrer Tendenz zur Selbstzelebrierung diametral entgegengesetzt zu bezeichnen ist. In ihrer tiefen Innigkeit und Innerlichkeit einerseits, ihrer eruptiven Expressivität andererseits ist Regers Musik bis heute reich und immer wieder unerwartet.
Wenn es etwas kritisch anzumerken gäbe, dann die Frage, warum in einer essenziell für Reger nicht ganz optimal geeigneten Kirche unbedingt Reger eingespielt werden musste. Reger erfordert an Höchstmaß an musikalischer Transparenz, und ohne Frage leistet die Aufnahmetechnik Außerordentliches. Doch kann Christoph Schoener nicht umhin, beide Werke tempomäßig allerhöchstens im Mittelfeld anzulegen, keineswegs immer im Sinne also von Regers Vorschriften. Natürlich sollte Klarheit ein Hauptziel der Darbietung sein, und hier spielt Schoener ganz weit vorne mit – doch haben die letzten Jahrzehnte bewiesen, dass, vorausgesetzt interpretatorische Fähigkeiten, raumakustische Möglichkeiten und orgeltechnische Gegebenheiten kommen zusammen, Regers Musik gerade auch in ihrer innerlichen Unrast, ihrer schwebenden Nervosität voll zu ihrem Recht kommt. Kammermusiker wissen, wovon die Rede ist – sie haben das Problem langen Nachhalls gerade im Aufnahmestudio nicht und sind gefordert, Regers dynamische, agogische und Tempoanforderungen möglichst adäquat umzusetzen. Reger selbst hat bekanntlich abweichende Tempi- und Gestaltungsvorstellungen großzügig durchgehen lassen, doch war ihm auch Ziel, überhaupt eine Aufführungstradition zu etablieren, die aber bis heute noch lange nicht in jedem Fall, kaum jedem zweiten Fall seine intrikaten Vorgaben, die die Musik des 20. Jahrhunderts vorwegnehmen, widerspiegelt. So erweist sich die Tatsache, dass man Reger heute immer noch zumeist als Orgelkomponist sieht, als besondere Herausforderung – fordert Reger doch von seinen Orgeln und seinen Interpreten (das wissen letztere auch) nicht selten eigentlich Dinge, die (fast) nicht umsetzbar sind (und auch damals nicht waren).
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Reger, Max: Orgelwerke |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
MDG 1 25.09.2015 |
Medium:
EAN: |
SACD
760623191966 |
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MDG Die klangrealistische Tonaufnahme »Den beim Sprechen oder Musizieren entstehenden Schall festzuhalten, um ihn zu konservieren und beliebig reproduzieren zu können, ist eine Idee, die seit langem die Menschen beschäftigte. Waren zunächst eher magische Aspekte im Spiel, die die Phantasie beflügelten wie etwa bei Giovanni deila Porta, der 1598 den Schall in Bleiröhren auffangen wollte, so führte mit fortschreitender Entwicklung naturwissenschaftlichen Denkens ein verhältnismäßig gerader Weg zur Lösung...« (Riemann Musiklexikon)Seit Beginn der elektrischen Schallaufzeichnung ist der Tonmeister als »Klangregisseur« bei der Aufnahme natürlich dem Komponisten und dem Interpreten, aber auch dem Hörer verpflichtet. Die Mittel zur Tonaufzeichnung sind hinlänglich bekannt. Die Kriterien für ihren Einsatz bestimmt das Ohr. Deshalb für den Hörer hier eine Beschreibung unserer Hörvorstellung. Lifehaftigkeit In der Gewißheit, daß der Konzertsaal im Wohnzimmer (leider) nicht realisierbar ist, konzentriert sich unser Bemühen darauf, die Illusion einer Wirklichkeit zu vermitteln. Die Musik soll im Hörraum so wiedererstehen, daß spontan der Eindruck der Unmittelbarkeit entsteht, das lebendige Klanggeschehen mit der ganzen Atmosphäre der »Lifehaftigkeit« erlebt wird. Da wir praktisch ausschließlich menschliche Stimmen und »klassische« Instrumente - auch sie haben ihren Ursprung im Nachahmen der Stimme - aufnehmen, konzentriert sich unsere Klangvorstellung auf natürliche Klangbalance und tonale Ausgeglichenheit im Ganzen, und instrumentenhafte Klangtreue im Einzelnen. Darüber hinaus natürliche, ungebremste Dynamik und genaueste Auflösung auch der feinsten Spannungsbögen. Weitestgehend bestimmend für die Illusion der Lifehaftigkeit ist auch die Ortbarkeit der Klangquellen im Raum: freistehend, dreidimensional, realistisch.Musik entsteht im Raum Um diesen »Klangrealismus« einzufangen, ist bei den Aufnahmen von MDG eine natürliche Akustik unbedingte Voraussetzung. Mehr noch, für jede Produktion wird speziell in Hinblick auf die Besetzung und den Kompositionsstil der passende Aufnahmeraum ausgesucht. Anschließend wird »vor Ort« die optimale Plazierung der Musiker und Instrumente im Raum erarbeitet. Dieser ideale »Spielplatz« ermöglicht nun nicht nur die akustisch beste Aufnahme, sondern inspiriert durch seine Rückwirkung die Musiker zu einer lebendigen, anregenden Musizierlust und spannender Interpretation. Können Sie sich die Antwort des Musikers vorstellen auf die Frage, ob er lieber in einem trockenen Studio oder in einem Konzertsaal spielt?Die Aufnahme Ist der ideale Raum vorhanden, entscheidet sich der gute Ton an den Mikrofonen - verschiedene Typen mit speziellen klanglichen Eigenheiten stehen zur Auswahl und wollen mit dem Klang der Instrumente im Raum in Harmonie gebracht werden. Ebenso wichtig für eine natürliche Abbildung ist die Anordnung der Mikrofone, damit etwa die richtigen Nuancen in der solistischen Darstellung oder die Kompensation von Verdeckungseffekten realisierbar werden. Das puristische Ideal »nur zwei Mikrofone« kann selten den komplexen Anforderungen einer Aufnahme mit mehreren Instrumenten gerecht werden. Aber egal wie viele Mikrofone verwendet werden: Stellt sich ein natürlicher Klangeindruck ein, ist die Frage nach dem Zustandekommen des »Lifehaftigen« zweitrangig. Entscheidend ist, es klingt so, als wären nur zwei Mikrofone im Spiel.Ohne irgendwelche »Verschlimmbesserer« wie Filter, Limiter, Equalizer, künstlichen Hall etc. zu benutzen, sammeln wir die Mikro-Wellen übertragerlos in einem puristischen Mischpult und geben das mit elektrostatischem Kopfhörer kontrollierte Stereosignal linear und unbegrenzt an den AD-Wandler und zum digitalen Speicher weiter. Dadurch bleiben auch die feinsten Einschwingvorgänge erhalten. Auf der digitalen Ebene wird dann ohne klangmanipulierende Eingriffe mit dem eigenen Editor in unserem Hause das Band zur Herstellung der Compact Disc für den Hörer erstellt, für Ihr hoffentlich großes Hörvergnügen. Mehr Info... |
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