
Mahler, Gustav - Symphonie Nr. 10
Klassizistischer Mahler
Label/Verlag: Atma classique
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Nach jahrzehntelanger Vernachlässigung ist Mahler heute einer der populärsten Komponisten im symphonischen Repertoire. 1964 fügte Deryck Cooke den neun Symphonien noch seine Vervollständigung der Fragment gebliebenen Zehnten hinzu.
Mahlers Symphonien haben sich in ihrer wechselhaften Rezeptionsgeschichte zum Vehikel entwickelt, an dem Dirigenten sich profilieren können. Die riesenhaften Werke zu durchdringen und abseits der bloßen Realisierung der komplexen Partituren eine eigene Perspektive zu eröffnen, darf als eine der schwierigsten und verlockendsten Aufgaben auf symphonischem Gebiet gelten. So haben sich etwa unter den jüngeren Dirigenten nicht zuletzt Gustavo Dudamel und Daniel Harding dieses Repertoires angenommen. Yannick Nézet-Séguin hat sich bisher im spätromantischen Bereich mit Aufnahmen der Bruckner-Symphonien vorgestellt, die vermutlich bald komplett sein werden. Von ihm lagen bisher nur Mahlers Symphonien Nr. 1 und 4 vor. Nun ergänzt ein Konzertmitschnitt der Zehnten in der von Deryck Cooke hergestellten Fassung die Dokumentation seiner Mahler-Exegese.
Nézet-Séguin entwirft mit derZehnten Symphonie einen geradezu klassizistischen Mahler, der der grellen Kontraste müde geworden ist. Die einzelnen Sätze gestaltet er wie aus einem Guss. Selbst den enormen Orchesterausbruch nach dem zarten Violinenduett, bei Bernstein ein unvergesslicher Schock, sprengt nicht die Form, sondern ist organisch integriert. Es finden sich kaum jemals harsche Töne, stattdessen herrscht Schönklang. Manchmal mag sich geradezu das Gefühl einstellen, man lausche einer (überdimensionierten) klassischen Symphonie, so wohlproportioniert und abseits aller romantischen Exzesse musiziert das Orchestre Métropolitain, mit dem der Dirigent seit dem Jahr 2000 verbunden ist, diese Symphonie. Nézet-Séguin breitet die motivischen Zusammenhänge der einzelnen Sätze vor uns aus, etwa die Bezüge des 'Purgatorio' zu den beiden Scherzi. Eine Stärke seiner Interpretation ist zweifellos die Gestaltung der Piano-Passagen, wie der spannungsreiche Beginn des 'Purgatorio', der das düstere Ende des Satzes schon von Anfang an in den Blick nimmt oder der ungemein zarte Einsatz der Violinen nach dem Flöten-Solo im Anfang des Finales. Diese Piano-Oasen wären jedoch umso eindrucksvoller, stünden ihnen profiliertere dynamische Ausbrüche entgegen.
Insgesamt versteht Nézet-Séguin das Werk als melancholisch-verklärte Abschieds-Symphonie, und da mag man dann doch Einspruch erheben, nicht nur weil diese Auffassung die biographischen Hintergründe (die schmerzliche Trennung von Alma und Mahlers Verzweiflung hierüber inklusive seiner Konsultation Freuds) außen vorlässt. Nézet-Séguin harmonisiert das Widerstrebende, die disparaten Elemente, die von der Ersten Symphonie an zum Charakteristikum der mahlerschen Symphonik gehören. In jedem Falle eine eigene Interpretation, aber das von Walter Weidringer beschworene ‚Brachland jenseits der Klischees‘ wird hier nicht betreten.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Dieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!
Ihre Meinung? Kommentieren Sie diesen Artikel
Jetzt einloggen, um zu kommentieren.
Sind Sie bei klassik.com noch nicht als Nutzer angemeldet, können Sie sich hier registrieren.
Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
![]() Cover vergrößern |
Mahler, Gustav: Symphonie Nr. 10 |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Atma classique 1 06.11.2015 |
Medium:
EAN: |
CD
722056271127 |
![]() Cover vergössern |
Atma classique Das Label ATMA - Seele oder Lebensgeist auf Sanskrit - wurde 1995 gegründet und bietet inzwischen mehr als 200 Aufnahmen von mittelalterlicher bis zu zeitgenössischer Musik mit einem besonderen Schwerpunkt im Barock. Für ihre Aufnahmen umgibt sich Johanne Goyette, Direktorin und zugleich Toningenieurin der Firma, gerne mit wagemutigen Künstlern, um in ihrem Studio Unerhörtes (und Ungehörtes) zu schaffen.
Mehr Info... |
![]() Cover vergössern |
Jetzt kaufen bei...![]() |
Weitere Besprechungen zum Label/Verlag Atma classique:
-
Sperrige Kammermusik eingängig vermittelt: Das Quatuor Molinari überzeugt mit Henryk Góreckis drei Streichquartetten. Weiter...
(Dr. Kai Marius Schabram, )
-
Ein Hauch Paris: Cameron Crozman und Philip Chiu überzeugen durch ihr sympathisch unaufgeregtes Spiel und eine spannende Programmwahl. Weiter...
(Benjamin Künzel, )
-
Vielhändig: Klassiker der Musikgeschichte brauchen keine sechs Konzertflügel zum Erfolg. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
Weitere CD-Besprechungen von Sebastian Rose:
-
Die ganze Welt auf 88 Tasten: Mahler wollte nach eigener Aussage 'mit allen Mitteln der vorhandenen Technik eine Welt aufbauen'. Kann das auch durch die, verglichen mit dem Orchester, durchaus begrenzten Mittel des Klaviers gelingen? Weiter...
(Sebastian Rose, )
-
Das Liszt-Problem: Boris Giltburgs Diskographie weist ihn als Experte der romantischen Pianistik aus. Mit Liszts 'Transzendentaletüden' ergänzt er sein Repertoire nun um einen wichtigen Baustein. Weiter...
(Sebastian Rose, )
-
Charakterisierungskunst: Andreas Haefliger will uns Altbekanntes in neuem Licht erscheinen lassen. Auch wenn das teils fragwürdige Ergebnisse zeitigt spannend ist es immer. Weiter...
(Sebastian Rose, )
Weitere Kritiken interessanter Labels:
-
Großes Violinkonzert – großartig interpretiert: Ewelina Nowicka und das Polish National Radio Symphony unter Zygmunt Rychert meistern (unbekannte) Violinwerke von Ludomir Różycki. Weiter...
(Dr. Kai Marius Schabram, )
-
Mehr Fantasie als Ordnung: Federico Colli fasziniert und irritiert mit Klavierwerken W. A. Mozarts. Weiter...
(Dr. Kai Marius Schabram, )
-
Lohnende Neuauflage: Hochwertige Liszt-Aufnahmen von Michael Korstick, gesammelt in einer neuen Edition. Weiter...
(Oliver Bernhardt, )
Jetzt im klassik.com Radio


Portrait

"Bei der großen Musik ist es eine Frage auf Leben und Tod."
Der Pianist Herbert Schuch im Gespräch mit klassik.com.
Sponsored Links
- klassik.com Radio
- Urlaub im Schwarzwald
- Neue Musikzeitung
- StageKit - Websites für Musiker, Veranstalter und Konzertagenturen
Hinweis:
Mit Namen oder Initialen gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers,
nicht aber unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Die Bewertung der klassik.com-Autoren:
Überragend
Sehr gut
Gut
Durchschnittlich
Unterdurchschnittlich