
Marienlieder 1 - Komponistinnen eines Jahrtausends
Blasse Jungfrau
Label/Verlag: Stieglitz
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Mariengesänge gibt es schon so lange wie es Maria gibt und sind aus der Musikgeschichte nicht wegzudenken. Sie erklingen in allen erdenklichen Formen und werden bei weitem nicht nur im liturgischen Kontext gesungen. Dass sich vor allem Frauen in der Liedkomposition mit dieser Figur auseinander setz(t)en, ist dabei weder verwunderlich noch ein Geheimnis. Dennoch sind uns die meisten Komponistinnen bis auf wenige Ausnahmen heute immer noch nahezu unbekannt, Interpreten ihrer Musik haftet nach wie vor ein leicht feminisiertes Gönnertum an.
Eigenwillige Emphase
‚Marienlieder 1‘ als Titel klingt genau wie es der besungenen Frau - immerhin die bekannteste unserer Kulturgeschichte - gebührt: schlicht, bescheiden, rein, fleckenlos. Die aus München stammende Sopranistin Regina Walz stellte acht lateinische Loblieder auf Maria von der wohl berühmtesten Nonne, Naturforscherin, Dichterin, Malerin und nicht zuletzt Komponistin, Hildegard von Bingen, zusammen. Die Musik der ersten uns bekannten komponierenden Frauenmystikerin ist für ihre Zeit - 11./12. Jahrhundert - erstaunlich originell: gerade in ihren als Hymnen bezeichneten Liedern, die ‚symphoniae virginum‘ (Sinfonien der Jungfrauen), schert sie sich kaum um formale Traditionen der Gregorianik, auch der Tonumfang ist oft viel weiter als gewöhnlich (manchmal über zweieinhalb Oktaven), ihre ausgesprochene Vorliebe für große Tonsprünge ist typisch und mitunter höchst eigenwillig. An heutige Interpretinnen werden dabei höchste Ansprüche gestellt - wenn es nicht sogar unmöglich ist -, diese merkwürdigen melodischen Gebilde überzeugend wiederzugeben. Nur aus einer meditativen Grundhaltung heraus, mutmaßt die Wissenschaft, vielleicht sogar erst in mystischer Ekstase seien sie zu erfassen.
Ohne Vision
Würden sich die mittelalterlichen Lieder der Hildegard nicht noch mit sechs anderen deutschen und französischen Kompositionen aus dem 19. und 20. Jahrhundert abwechseln - von Louise Reichardt etwa, Bettine von Armin, Ilse Fromm-Michaels, Lili Boulanger, Helene Staeger bis Ruth Schönthal -, bei denen erhebliche Interpretationsdefizite hörbar sind, läge es nahe, die Kluft von über 800 Jahren und die fehlenden psychologisch-mystischen Erfahrungen als Erklärung dafür zu nehmen, dass wir diese Musik nicht verstehen und sie uns in keinster Weise berührt.
Dadurch, dass aber nicht einmal die mit Klavier begleiteten, volkstümlich-einfachen und eigentlich rührigen Lieder auch nur ansatzweise geformt sind und nicht nur wegen der zum Teil intonatorischen und dynamischen Schwächen klingen, als handele es sich um die ersten Annäherungen, wird schnell deutlich, dass die Farblosigkeit weder bei den Komponistinnen noch beim fehlenden Zugang des Hörers liegt, sondern die Sängerin bei den schlichten Liedern bar jeder Vision war.
Sicherlich wurde das Budget für die Produktion äußerst überschaubar gehalten und diese von vornherein nicht für das große Publikum konzipiert, so dass man, wenn man bei dem Vergleich einer solchen Einspielung internationale Maßstäbe ansetzt, durchaus Gefahr läuft, mit Kanonen auf Spatzen zu schießen. Ob allerdings die Ziffer ‚1‘ hinter ‚Marienlieder‘ auf geplante Folge-Projekte schließen lässt, bleibt das einzig spannende an dem Produkt.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Marienlieder 1: Komponistinnen eines Jahrtausends |
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Label: Anzahl Medien: Spielzeit: Veröffentlichung: |
Stieglitz 1 46:35 2003 |
Medium:
BestellNr.: |
CD
PK 20002 |
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Arnim, Bettine von |
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Stieglitz Das Label wurde 1989 in Berlin gegründet.
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