
Sibelius - Die Symphonien
Altersweise Meisterschaft
Label/Verlag: BIS Records
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Ein Sibelius für die Ewigkeit: Okku Kamu dirigiert die Sinfonien seines Landsmannes mit dem Lahti Symphony Orchestra.
Da hat sich das Warten aber gelohnt. Dass Okko Kamus erste komplette Gesamteinspielung der Sibelius-Sinfonien gut sein würde, durfte man annehmen. Der Umstand, dass die Deutsche Grammophon in den 70er Jahren Kamus Aufnahmen der Sinfonien Nr. 1 bis 3 heranzog, um Karajans Sibelius-Zyklus zu vervollständigen, ist bekannt. Für seinen ganz eigenen Zyklus mit dem Lahti Symphony Orchestra, dessen Chefdirigent er ist, hat sich der 1946 geboren Finne – gelernter Geiger und an der Sibelius-Akademie ausgegildet – allerdings extrem viel Zeit genommen. Dafür ist er aber auch extrem gut geworden.
Kammerorchestraler Ansatz
Vom Karajan-Erbe ist auf den drei SACDs dann auch wenig zu vernehmen. In einem Werbevideo von BIS zum Zyklus sagt Kamu, er habe so lange gewartet, weil sich seine Sicht auf Sibelius über die Jahre hinweg immer wieder verändert hat. Das zu Hörende ist also Ergebnis einer beinahe lebenslangen Entwicklung. Und tatsächlich klingt dieser Sibelius ungemein reif. Kamus Zugriff mit dem Orchester aus Lahti – quasi DAS Sibelius-Orchester der Gegenwart – erinnert bis auf die in den Himmel hinaufstoßenden Einzeltoncrescendi, wie man sie auch von Karajan kennt, kaum an andere Ansätze. Wenn überhaupt, dann an Berglund, aber das auch nur, weil Kamus Ansatz ähnlich kammerorchestral ist. Osmo Vänskäs pathetischere und klanglich breitere Interpretation mit demselben Orchester etwa ist von Kamu weit entfernt. Das gilt übrigens ebenso fürs Klangbild. Wo man bei Vänskä zu viel Hall vernimmt, haben die Tonmeister hier ganze Arbeit geleistet.
Keine Landschaften
Die klangbildliche Transparenz geht ideal mit Kamus Ansatz zusammen. Wohl noch nie hat ein Dirigent die organisch zum thematischen Gebilde anwachsenden Blechbläserstimmen zu Beginn der Fünften Sinfonie so klar ausgebreitet. Gleiches gilt für den Orchestersatz im Finale der Zweiten, der bei vielen Aufnahmen mit sinfonischer Besetzung aufgeblasen wirkt, so dass vor allem das Ende aufgesetzt scheint. Dieser Eindruck entsteht bei Kamu nicht eine Sekunde lang. Gemeinsam mit den unglaublich sicher intonierenden Musikern umgeht er die großen Gesten, wo Leere droht und dringt gleich zum Kern der Musik vor. An analytischer Schärfe, emotionaler Klarheit und Tiefe des Details bildet er bei Sibelius die Entsprechung zu Günter Wand bei Bruckner. Die Hilfsmetapher von den weiten nordischen Landschaften braucht es bei Kamu nicht. Gegenstand ist immer nur die Musik selbst. Auf diese Weise werden in der Vierten verblüffende Parallelen zu Mahler und Schostakowtisch deutlich. Das Finale fällt auf dem Höhepunkt krachend in sich zusammen, der Rest ist quasi schon auskomponiertes Schweigen, der sich der Maxime des Siegesjubels verweigert. Herrlich ironisch klingen die ‚fröhlichen‘ Flöten im Zweiten Satz der a-Moll Sinfonie.
Verdeutlichung und Zurücknahme
Grunsdätzlich entsteht der Eindruck, Kamu setzt statt auf Brüche auf dramaturgische Folgerichtigkeit, auf motorische Kontinuität statt auf zu viel Expressivität. Das mag teils dem Alter geschuldet sein, tut der Musik aber nur gut. Wirklich laut wird es nicht oft, mustergültig ist dabei das Finale der Fünften, das selten so wenig heroisch klang, sondern mehr nach einem schillernden Gewebe, in dem die Hörner zentrale melodische Farbtupfer setzen. Dass Kamu das Pathos nur dort loslässt, wo es tatsächlich auch seinen Platz hat, trägt dazu bei, die stilistische Entwicklung von Sibelius als Sinfoniker klar nachzuzeichnen. Wo die finalen Beckenschläge der Ersten Sinfonie noch nach großer Oper klingen, nach dramatischer Spätromantik und sich die große Melodie des Finales hymnisch (mit wenig Vibrato) aussingen darf, hat sich das Finale der Sechsten von Schematismen schon weit entfernt. So verdeutlicht Kamu an der Sechsten exemplarisch, dass Sibelius kein Komponist sein muss, der Sinfonien mit einem Tuttiknall beendet, sondern vielmehr langsam und leise ausklingen lässt. Dem Reichtum der Gesamteinspielung entspricht der Umfang des Booklets, das wie stets bei BIS auch in deutscher Sprache verfasst wurde. Das hier ist ein Sibelius für die Ewigkeit.
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Sibelius: Die Symphonien |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
BIS Records 3 02.09.2015 |
Medium:
EAN: |
SACD
7318599920764 |
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BIS Records Most record labels begin with a need to fill a niche. When Robert von Bahr founded BIS in 1973, he seems to have found any number of musical niches to fill. The first year's releases included music from the renaissance, Telemann on period instruments, Birgit Nilsson singing Sibelius and works by 29 living composers - Ligeti and Britten as well as Rautavaara and Sallinen - next to Purcell, Mussorgsky and Richard Strauss. A musical chameleon was born, a label that meant different things to different - and usually passionate - devotees. Mehr Info... |
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