
Michael, Tobias - Musicalische Seelenlust
Lückenschluss
Label/Verlag: Raumklang
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Es ist dies eine hervorragende Präsentation unbedingt hörenswerter Musik. Und es ist ein fulminanter Start des ensembles polyharmonique auf dem Plattenmarkt.
Der Gegenwart ist eine gewisse Anzahl an Namen aus der langen Reihe nachreformatorischer Leipziger Thomaskantoren vertraut, nicht nur der des freilich alles überstrahlenden Johann Sebastian Bach. Nach ihm sind es vor allem Johann Friedrich Doles und Johann Adam Hiller, aus der Zeit der davor haben es immerhin Sethus Calvisius, Johann Hermann Schein, Sebastian Knüpfer, Johann Schelle und Johann Kuhnau geschafft, aus dem langen Schatten Bachs herauszutreten und mehr zu sein als bloß Teil einer beeindruckenden Ahnengalerie. Eine merkwürdige, nicht leicht zu erklärende Lücke in der Rezeption fällt auf, nämlich die zwischen Schein und Knüpfer, zwischen 1631 und 1657. Doch zeigt etwa die Widmung der 'Geistlichen Chormusik' von 1648 durch Heinrich Schütz an die Stadt Leipzig und den dortigen Chor, dass gerade in dieser Zeit hervorragende Arbeit von einiger Strahlkraft geleistet worden sein muss.
Verantwortet hat sie Tobias Michael (1592-1657), als Sohn des franko-flämischen Komponisten in sächsischen Diensten Rogier Michael in Dresden geboren, in Schulpforta gebildet, nach Studien in Wittenberg als Kapellmeister an den Hof von der Sondershausen berufen. Nach einem verheerenden Brand von Schloss und Stadt war an eine Fortsetzung der musikalischen Tätigkeiten dort einstweilen nicht zu denken, und so diente Michael seinem Herrn als Kanzleibeamter. 1630 dann, nach dem Tod Scheins, bewarb sich Michael um das Amt des Thomaskantors und profilierte sich in der Folge ganz offenbar als glänzender Chorerzieher. Doch auch als Komponist schuf er ein zwar nicht ausufernd großes, doch bemerkenswert qualitätvolles Werk.
Im wesentlichen sind seine Arbeiten in der zweibändigen 'Musicalischen Seelenlust' versammelt, die 1634/35 und 1637 gedruckt wurde. Im ersten Teil finden sich 30 geistliche Madrigale zu fünf Stimmen, an satztechnischer Qualität und subtiler Expressivität mit Johann Hermann Scheins 'Israelsbrünnlein' vergleichbar. Der zweite Teil umfasst 50 geistliche Konzerte, auch sie auf der ästhetischen Höhe der Zeit, intensiv textdeutend, mit einer feinen, tatsächlich solistisch empfundenen Virtuosität. Michaels Kompositionen sind selten in Programmen von Chören und Ensembles zu finden, eine kurze Begegnung ermöglichte vor drei Jahren der Leipziger Kammerchor Josquin des Préz, der im Zuge der 800-Jahr-Feiern von Chor und Schule an St. Thomas eine interessante Platte mit Musik von Thomaskantoren vor Bach vorgelegt hatte.
Kongeniale Vokalkunst
Das junge ensemble polyharmonique hat sich unter der musikalischen Leitung des Altisten Alexander Schneider Auszüge aus diesem Konvolut für seinen Platten-Erstling vorgenommen, ein knappes Viertel der Sätze. Und man kann es kurz vorwegnehmen: Es ist eine fabelhafte Formation zu erleben, die sich ganz den Werken Michaels widmet und zugleich eine glänzende Präsentation der eigenen Möglichkeiten liefert. Zu hören sind fünf Vokalisten, eine Mischung aus höchst versierten Kräften und noch weniger geläufigen Namen: Sopran singen Magdalene Harer und Griet De Geyter, Altus der musikalische Leiter Alexander Schneider, Tenor Hans Jörg Mammel und Bass Matthias Lutze. Im Ensemble klingt das wunderbar harmonisch und edel gerundet, ausgeglichen, mit intensiver Präsenz aller Register. Es wird beglückend intoniert, voller fein abgestimmter Harmonie. Die Tempi wählt Schneider variantenreich, immer wieder durchaus frisch und bewegt, jedenfalls dem affektiven Duktus der Musik entsprechend. Es ist textgezeugter Gesang auf hohem Niveau zu erleben, fast idealiter in der Selbstverständlichkeit der Klangrede, in den Konzerten auch mit einer beachtlich virtuosen Geläufigkeit. Hier entfaltet sich tatsächlich eminentes solistisches Potenzial, stellvertretend seien die formidablen Soli der beiden Soprane und des Bassisten genannt: Ebenso wie bei Schneider und Mammel ist das einfach technisch hervorragend, stimmschön sich verströmend. Alle Vokalisten überzeugen mit einer registertypischen Stimmcharakteristik und einiger Individualität - die freilich, auch das ist hohe Kunst, immer wieder beglückend in den Ensembles der geistlichen Madrigale aufgeht.
Die Aufnahmen sind entstanden im entlegenen mecklenburgischen Kloster Wanzka, und man meint die Ruhe und Weite des Ortes mitzuhören: Das klingende Ergebnis ist von glänzend kontrollierter, edler Größe, ist überzeugend strukturiert. Gerundet wird die schöne Produktion des Labels Raumklang durch ein inhaltlich überzeugendes, viersprachiges Booklet, das in einer stringent und ansprechend gestalteten Pappbox steckt.
Es ist dies eine hervorragende Präsentation unbedingt hörenswerter Musik. Und es ist ein fulminanter Start des ensembles polyharmonique auf dem Plattenmarkt. Diese 18 Sätze aus der 'Musicalischen Seelenlust' machen große Lust auf die noch fehlenden drei Viertel der Sammlung. Sehr gern wieder mit dem ensemble polyharmonique.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Michael, Tobias: Musicalische Seelenlust |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Raumklang 1 11.09.2015 |
Medium:
EAN: |
CD
4018727014015 |
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Raumklang Das Label RAUMKLANG wurde 1993 von Sebastian Pank in Leipzig gegründet. Nach wie vor steht der Name Raumklang für ein authentisches Klangerlebnis. Die Aufnahmen entstehen überwiegend mit nur einem Stereo-Kugelflächen-Mikrophon (One-Point-Recording).
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