
Dean, Brett - Epitaphs und andere Kammermusikwerke
Packende Umsetzung
Label/Verlag: Chandos
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Das Doric String Quartet überzeugt mit einer Einspielung dreier Kammermusikwerke des australischen Komponisten Brett Dean.
Fast zeitgleich zur Veröffentlichung eines Mitschnitts von Brett Deans 2010 uraufgeführtem Opernerstlings 'Bliss' (2004–09) durch das Label ABC Records bringt Chandos eine CD auf den Markt, die unter Mitwirkung des Doric String Quartet (Alex Redington und Jonathan Stone, Violine; Hélène Clément, Viola; John Myerscough, Violoncello) und in exzellenter klangtechnischer Realisierung einige der stärksten Streicherkammermusikwerke des 1961 geborenen Australiers in den Mittelpunkt rückt. Alle hier versammelten Kompositionen überzeugen in kompositorischer Hinsicht durch eine sensible und kenntnisreiche Handhabung der Instrumente. Dies macht darauf aufmerksam, dass Dean genau weiß, was er den Musikern abverlangen kann – war er doch 14 Jahre lang Bratscher bei den Berliner Philharmonikern, bevor er sich dazu entschloss, seine Festanstellung zugunsten einer Doppeltätigkeit als Komponist und Solist aufzugeben. Wie erfolgreich ihm dies gelungen ist, bezeugt eine stetig anwachsendes Werkverzeichnis, dem seit einigen Jahren auch eine vielfältige diskografische Dokumentation von Deans Schaffen korrespondiert.
Das Streichquartett 'Eclipse' (2003, revidiert 2004), ist eines der vielen Beispiele aus dem Œuvre des Komponisten, das von politischen oder gesellschaftlichen Ereignissen angeregt wurde: Mit dem Werk reagierte er auf die sogenannte ‚Tampa‘-Krise, die sich im August 2001 im Indischen Ozean abspielte – ein im Jahr 2015 erstaunlich aktuelles Thema, bei dem es um den Konflikt zwischen der harten Linie der australischen Regierung gegenüber den illegal in australische Hoheitsgewässer einreisenden ‚boat people‘ und der humanitären Haltung des norwegischen Frachterkapitäns ging. Der Titel 'Eclipse' (Verfinsterung) wird hier zur Metapher, die sich auf die musikalischen Vorgänge beziehen lässt: auf den zunächst leise tastenden Beginn und das Suchen in obertonreichen Flageolett-Texturen, auf die zunehmende Aggressivität, die mit musikalischer Zersplitterung und harmonisch komplexen Abläufen verknüpft ist, und schließlich auf den Schlussabschnitt, der – korrespondierend mit dem Beginn – in ein nahezu statisches Klangfeld mündet. Die klangliche Formung der unterschiedlichen Abschnitte, insbesondere die Handhabung der rhythmischen Elemente und der Einsatz von Vierteltonintonationen, stellt erhebliche Anforderungen an die Musiker und wird vom Ensemble als stringenter musikalischer Verlauf geformt, der selbst in der zerrissenen Diktion seiner Klimax nicht an Spannung verliert, daneben aber durch reichhaltige Abtönung der Klangfarben überzeugt.
Das erst jüngst entstandene Streichquartett Nr. 2 'And once I played Ophelia' (2014) steht in einem ganz anderen Kontext: Mit der Besetzung eines Soprans an die seit Arnold Schönberg existierende Besetzungstradition anknüpfend, verweist der verwendete Text von Matthew Jocelyn darauf, dass es sich um eine Vorstudie zu Deans gerade entstehender 'Hamlet'-Oper handelt. Die fünf Abschnitte rücken – vermittelt über den Text – jeweils andere emotionale Situationen in den Mittelpunkt und lauschen ihnen mithilfe des Streicherklangs nach. Während so beispielsweise im ersten und dritten Satz die Musik unter den eruptiv herausgeschleuderten Phasen des Soprans und ihrem Widerhall in den Instrumenten fast zu platzen scheint, finden Stimme und Streicher im zweiten und vierten Teil zu erschöpftem Innehalten oder zärtlichen Ausdruck zueinander. Die Sopranistin Allison Bell folgt Deans kompositorischen Vorgaben mit beeindruckendem stimmlichen Können und tastet dabei die Extrembereiche bis hin zu Sprechen, Schreien oder fast verlöschendem Stimmklang aus. Dies hat zur Folge, dass ihre Stimme oftmals wie ein fünftes Instrument in den manchmal rhythmisch agilen, manchmal durchsichtigen und luftigen, von den Musikern erfindungsreich und vor allem sehr differenziert abgetönten Streichersatz eingelagert erscheint.
Neben den beiden Streichquartetten enthält die Produktion die 'Epitaphs' für Streichquintett (2010), bei denen Brett Dean selbst als zweiter Bratscher die Quartettbesetzung ergänzt. Weitaus stärker noch als die Quartette sind diese Stücke auf die Schaffung spezifischer Atmosphären bedacht. Dabei steht – entsprechend der Widmung an 2008 und 2009 verstorbene Freunde und Kollegen – die Intimität der ausgearbeiteten Situationen im Mittelpunkt. Musikalisch kreisen die fünf Einzelsätze um bestimmte Ideen, Techniken oder Klangverbindungen, die Dean auf die jeweiligen Widmungsträger bezieht. So ist der dritte Satz um eine ausgedehnte Viola-Klage zentriert, die – sich in das ganze Ensemble hinein verzweigend – darüber hinaus das formale wie emotionale Zentrum des fünfteiligen Zyklus markiert. Und während der knappe vierte Satz ganz auf die Kraft rhythmischer Abläufe vertraut, baut der Komponist im abschließenden und längsten Werkteil aus fragilen Doppelgriffen eine irisierende Klangwelt auf, die über eine Verdichtung ihren dramatischen Höhepunkt erreicht und am Ende im Nichts verklingt. Die ebenso feinsinnige wie dichte musikalische Umsetzung all dieser und vieler anderer Momente macht diese Produktion zu einem Höhepunkt der Dean-Diskografie.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Dean, Brett: Epitaphs und andere Kammermusikwerke |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Chandos 1 04.09.2015 |
Medium:
EAN: |
CD
095115187326 |
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Chandos Chandos Records was founded in 1979 by Brian Couzens and quickly established itself as one of the world's leading classical labels. Prior to forming the label, Brian Couzens, along with his son Ralph, worked for 8 years running a mobile recording unit recording for major labels (including RCA, Polydor, CFP, etc.) with many of the world's leading artists.
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