
Locatelli, Pietro Antonio - Sämtliche Werke
Ein Meister der Violine
Label/Verlag: Brilliant classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Ein Box-Set von Brilliant Classics führt die Kompositionen Pietro Locatellis in ordentlichen, manchmal etwas uninspirierten Aufnahmen zusammen.
Mit dieser 21 Einzel-CDs umfassenden Box dokumentiert das Label Brilliant Classic auf umfassende Weise das Gesamtwerk des italienischen Geigers und Komponisten Pietro Antonio Locatelli (1695-1764). Dabei hat man einerseits mehrere Eigenproduktionen aus den Jahren 2011 bis 2014 mit dem Ensemble Violini Capricciosi zusammengefasst, andererseits für die wenigen mit Flöte besetzten Werke auf eine Lizenzaufnahme aus dem Jahr 1995 mit dem Ensemble Musica ad Rhenum zurückgegriffen. Wie umfassend die Edition ist, zeigt sich daran, dass die sechs Triosonaten op. 5 (1736) zweimal vorhanden sind, wodurch ihrer alternativen Besetzungsmöglichkeit mit Violinen oder Flöten Rechnung getragen wird.
Die Einspielung mit zwei Violinen und Basso continuo gewährt zunächst einmal einen guten Einstieg in Locatellis Musik: Die Umsetzung bleibt nah am Notentext und ist durch einen am Gesang orientierten Ansatz geprägt, mit energetisch, manchmal auch tänzerischem Duktus in den raschen Sätzen. Der Vergleich mit der Ausführung im Duo aus zwei Flöten oder in drei Fällen auch aus Violine und Traversflöte – beides sehr abwechslungsreich dargeboten – ist klanglich insofern aufschlussreich, als sie verdeutlicht, dass die Kompositionen durch die Besetzung mit Streich- und Holzblasinstrument ein wesentlich stärkeres Profil bekommen. Die Interpretation von Locatellis allein der Flöte vorbehaltenem Œuvre, den zwölf Sonaten op. 2 (1732) überzeugt in der älteren Aufnahme durch einen mit vielen improvisatorischen Freiräumen aufwartenden Zugang. Demgegenüber wirken die vier Triosonaten aus den '10 Sonate op. 8' (1744) etwas steif: Zwar schaffen es die Musiker der Violini Capricciosi, den zukunftsweisenden Tonfall der Stücke – insbesondere das gelegentlich schon auf die zweite Jahrhunderthälfte verweisende Melos mancher Werkteile und den galanten Duktus von Sätzen im Dreiertakt – hervorzuheben; doch agieren die Musiker am Basso continuo mit Cembalo und Violoncello gelegentlich eine Spur zu abgezirkelt und geben Verzögerungen des Tempos nur selten Raum.
Immerhin lassen dann die Sonaten für Violine und Basso continuo das ganze Potenzial des Geigers Locatelli erkennen: Die '12 Sonate da camera' op. 6 (1737) vereinen – gehäuft im letzten Satz der zwölften Sonate, dem 'Capriccio Prova dell’intonazione', als Schlusspunkt des Druckes auftretend – außergewöhnliche spieltechnische Anforderungen wie das Spiel in hohen Lagen oder allerlei haarige Doppelgriff- und Bogentechniken mit eleganten, menuettartigen Abschlusssätzen und teils wucherndem Verzierungsbeiwerk. Hört man die versierte Ausführung des Ensembleleiters Igor Ruhadze, kann man verstehen, warum die Sonaten relativ selten zu hören sind. Ruhadze setzt ganz darauf, den Violinpart in den Mittelpunkt zu rücken, während das Bassinstrument mit dem Cembalo zusammen meist eine etwas uninspiriert wirkende Begleitschicht reproduziert. Dass dies – insbesondere in den variierten Finalsätzen – manchmal ein wenig spannungslos wirkt, liegt vor allem daran, dass die Situation des Zwiegesprächs, die in kompositorischer Hinsicht zwischen Melodie- und Bassstimme herrscht, interpretatorisch nicht herausgestellt wird, die dialogische Struktur der Musik also zugunsten einer virtuosen Lesart der Melodiestimme hervortritt, wodurch die Werke manchmal eintöniger wirken, als sie tatsächlich sind.
Sein Können demonstriert Ruhadze auch in den zwölf Concerti der berühmten Sammlung 'L’arte del Violino' op. 3 (1733), in deren raschen Sätze Locatelli insgesamt 24 Capriccien eingefügt hat, die den Violinisten vor manchmal extreme Aufgaben stellen. Es gelingt Solist und Ensemble sehr gut, diese ausgedehnten Soli in den Satzverlauf zu integrieren, ohne sie als Fremdkörper erscheinen zu lassen. Die langsamen Sätze warten hingegen mit einem kantablen, wenn auch in Bezug auf die solistische Tongebung gelegentlich etwas unflexibel gehandhabten Zugang auf. Insgesamt wäre auf Seiten der Orchesterstreicher noch die eine oder andere Feinheit möglich gewesen, um den Verlauf der einzelnen Werke abwechslungsreicher zu gestalten; zu sehr wird immer auf dieselbe Farbe gesetzt, und auch die Betonung der Metrik wirkt manchmal eher schematisch.
Dies trifft auch für die außerhalb gedruckter Sammlungen überlieferten Concerti und für Locatellis publizierte Concerti grossi zu: Die 'Concerti grossi a 4 e a 5' op. 1 (1721), die '6 Introduttioni teatrali e 6 Concerti grossi' op. 4 (1735) sowie die 'Concerti grossi' op. 7 (1741) weisen zwar allesamt eine klanglich gute Strukturierung der Tutti-Solo-Wechsel auf, und die Interpretation verleiht der Musik insbesondere in den kontrapunktische Passagen klare Konturen; der aufs Ganze gesehen routinierte Eindruck zeigt aber auch, dass man es nicht für nötig befand, den musikalischen Besonderheiten etwa durch eine behutsame agogische Deutung der Harmonik, durch Veränderung von Klangfarben oder durch ein stärker rhetorisch ausgerichtetes Spiel Rechnung zu tragen In dieser Hinsicht unterscheiden sich die Aufnahmen des Ensembles kaum vom musikalischen Zugriff, den man spätbarocken Sonaten und Concerti in den 1990er Jahren hat angedeihen lassen.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Locatelli, Pietro Antonio: Sämtliche Werke |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Brilliant classics 21 04.09.2015 |
Medium:
EAN: |
CD
5028421943589 |
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