
Busch, Adolf spielt - Werke von Reger
Adolf Busch als Geiger in historischen Aufnahmen
Label/Verlag: Guild
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Guild schöpft aus den Archiven: Adolf Buschs Espressivo verleiht den Werken Max Reger Innigkeit und Intensität.
Unter den Musikern, deren Karriere durch die Nazis nachhaltig beschädigt wurde, ist Adolf Busch (1891-1952) eine Ausnahme. Der Geiger wurde nicht gezwungen, Deutschland zu verlassen, denn er war weder Jude noch Sozialist und auch kein Avantgardist. Aus rein humanitären Gründen stornierte er trotzdem sofort alle seine Auftritte in Deutschland, nachdem er am 1. April 1933 in Berlin organisierte Ausschreitungen gegen jüdische Geschäfte beobachtet hatte. 1939 emigrierte Busch in die USA. Neben seiner Konzerttätigkeit war er auch ein vielseitiger Komponist, schrieb unter anderem Werke für Streichquartett, Chor und Orchester. Adolf Busch war sowohl gefeierter Geiger, als auch Primarius des berühmten Busch-Quartetts, das, 1919 gegründet, ab 1930 in der Besetzung Adolf Busch (Violine I), Güsta Andreasson (Violoine II), Karl Doktor (Viola) und Hermann Busch (Violoncello) auftrat. Buschs Kunst wurde in Deutschland nach 1933 jedoch verdrängt oder zumindest vergessen.
Umso erfreulicher, dass das Guild Historical Label sich dem Erbe Buschs verschrieben hat. Pünktlich zu Regers 100. Todestag, den die Musikwelt am 11. Mai feiert, ist eine CD mit dem Titel ‚Adolf Busch performs Reger‘ erschienen. Bemerkenswerterweise hören wir als Klavierpartner Buschs den noch jungen Rudolf Serkin und zwar in der 'Suite im alten Stil' op. 93 für Violine und Klavier sowie im zweiten Satz 'Allegretto' der Violinsonate fis-Moll. Warum hat Busch nur den zweiten Satz aufgenommen? Das liegt daran, dass er in der sogenannten 78-er Zeit der Schallplatten noch vorhandene Zeit ‚auffüllen‘ musste, ein damals üblicher Vorgang.
Die Aufnahme dieses Satzes vom 7. Mai 1931 zeigt einen überaus agilen Geiger Adolf Busch, der seine Finger mit unglaublicher Geläufigkeit bewegt. Schöne Portamenti kennzeichnen Buschs Violinspiel. Der Ton ist weich und süß. Sensibel und behutsam agiert Rudolf Serkin am Klavier. Das Spiel des damals 28-jährigen wirkt noch jugendlich-frisch. Die beiden Musiker zogen übrigens – auf der Flucht vor den Nazis – 1932/3 in Riehen bei Basel in zwei nebeneinander liegende Doppelhaushälften. Serkin heiratete 1935 Buschs Tochter Irene. Ab 1939 gingen die Familien gemeinsam in die USA. Der 50-jährige Busch wirkt bei der zehn Jahre später in Washington entstandenen Live-Aufnahme der Regerschen 'Suite im Alten Stil' op. 93 (1906) immer noch äußerst wendig. Das 'Präludium. Allegro comodo' wirkt mit seinen vielen Sequenzierungen und motivischen Floskeln wie ein Concerto grosso nach barocker Manier: Die thematische Nähe zum dritten Brandenburgischen Konzert von Bach kann nicht zufällig sein. Noch in seinem Todesjahr hat Reger die Suite für Orchester bearbeitet.
Der Geiger Ulf Wallin hat in unserer Zeit eine mustergültige Aufnahme aller Werke Max Regers für Violine und Klavier bei cpo (teils vergriffen) vorgelegt. Auch Regers op. 93 ist darunter. Buschs Poetik und langen Atem (er braucht fast achteinhalb Minuten) im 'Largo' erreicht Wallin vielleicht nicht, dafür bezahlt man aber mit minderer Klangqualität bei der älteren Aufnahme. Buschs ‚molto espressivo‘ mitsamt seinem schluchzenden Ton ist aber sensationell und sein breites Vibrato ebenso. Seine Artikulation ist zu Beginn der anschließenden Fuge 'Allegro con spirito (ma non troppo vivace) Meno mosso – Allargando' zwar etwas zu spitz, was abgehackt klingt. Dennoch vollbringen die beiden Musiker eine reife Leistung, denn das Werk hat es technisch in sich. Sehr flüssig und virtuos spielt hier Serkin am Klavier. Das begeistert.
Am Anfang der CD ist eine wichtige Aufnahme mit dem Busch-Quartett in der Nachkriegs-Besetzung zu hören. Es handelt sich bei der Studioproduktion von Regers Streichquartett Es-Dur op. 109 vom 15. Februar 1951 beim Bayerischen Rundfunk um eine der späten Aufnahmen von Adolf Busch. Zu hören sind Adolf Busch als Primarius, Bruno Straumann (1924-2000) an der Violine II, Bruno Gottesmann (1896-1970) als Bratscher und Hermann Busch (1897-1975) am Violoncello. Nach dem Krieg hatte sich das Quartett 1946/7 neu konstituiert und war auf gefeierte Europa-Tournee gegangen. Das Thema des Kopfsatzes 'Allegro moderato' wird in dichter Melodramatik vorgestellt. Der Fluss der Musik ist voranschreitend, die Intonation allerdings reichlich unperfekt. Trotzdem erreichen die vier eine beseelte Stimmung. Es ist aber vernehmbar, dass Regers Musik damals noch zu der schwierigen Avantgarde zählte. In puncto Klangqualität müssen selbstverständlich – der damaligen Aufnahmetechnik ist dies geschuldet – Abstriche in Kauf genommen werden. Musikalisch sehr schön gelungen ist der Abschluss des Satzes: Da sprießt in der Koda ab Minute 13 sehr viel Pathos und Empfindsamkeit.
Der zweite Satz 'Quasi Presto' ist nur ein kurzer Scherz von gerade einmal 4 Minuten Dauer. Die Oktavparallelen sind aber auch hier unsauber. Der Geist der aus dieser Musik spricht, ist aber von großem Gestaltungswillen geprägt. Zeitweilig wirkt das Ganze wie eine Elfenmusik zu Shakespeares Theater. Der langsame Satz 'Larghetto' ist von seiner Harmonik ein typisches Regersches Werk. Es atmet die tiefe Ruhe eines Chorals von Bach. Reger sprach es einmal so aus: ‚Es gibt nichts so Kompliziertes in unserer modernen Harmonik, was nicht der alte Bach längst vorweg genommen hätte.‘ Das Bach-Museum Leipzig präsentiert im übrigen derzeit ( noch bis bis 23. Oktober 2016) die Sonderausstellung ‚Alles, alles verdanke ich Johann Sebastian Bach! – Bach und Reger‘. Reger verehrte den Thomaskantor Johann Sebastian Bach sehr und erstellte am Beginn seiner Karriere viele Bearbeitungen für Klavier bzw. Klavier vierhändig von Bachs Werken, woran er sein Polyphonie prägend schulte.
Als Bonus-Tracks sind zwei Sätze zusätzlich auf der CD vorhanden: Aus Regers Klarinettenquintett op. 146 der zweite Satz 'Vivace'. Außerdem zum Vergleich mit dem Busch Quartett der zweite Satz 'Quasi presto' (Aufnahme ca. 1934) aus dem besagten Streichquartett Es-Dur op. 109. Zu hören ist das Wendling-Quartett. Karl Wendling (1875-1962) war ein deutscher Violinist und Musikpädagoge. Er hatte zunächst am Straßburger Konservatorium bei Heinrich Schuster und Florián Zajíc studiert, später in Berlin bei Carl Halir und Joseph Joachim. Ab 1902 war er Konzertmeister bei den Bayreuther Festspielen, in den Jahren 1907 und 1908 Konzertmeister des Boston Symphony Orchestra. 1909 wurde er Professor am Konservatorium Stuttgart, dessen Direktor er von 1929 bis 1940 war und wo er bis 1945 lehrte. Er war besonders als Quartett-Spieler geschätzt. Das von ihm geleitete Wendling-Quartett trat in Europa sehr erfolgreich auf. Das Wendling-Quartett mit Hermann Hubl an der Violine II, Ludwig Natterer (Viola) und Alfred Saal (Cello) spielt den Satz noch rascher und eine Spur elfenhafter.
Leider ist der gut geschriebene Booklet-Text von Jürgen Schaarwächter nur auf Englisch abgedruckt. Warum das Label Guild nicht mindestens dreisprachige Booklets auf Deutsch, Englisch und Französisch herausgibt, bleibt unklar. Dafür Punktabzug.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Busch, Adolf spielt: Werke von Reger |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Guild 1 05.08.2015 |
Medium:
EAN: |
CD
795754241228 |
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Guild Guild entstand in den frühen Achtzigerjahren auf Initiative des berühmten englischen Chorleiters Barry Rose, der den St Paul's Cathedral Choir in London leitete. Der Name hat nichts mit der nahe gelegenen Londoner Guild Hall zu tun, sondern kommt von Barry Roses erstem Chor, dem Guildford Cathedral Choir. Das frühere Logo (ein grosses G) entstand indem Barry Rose kurzerhand eine Teetasse umstülpte und mit einem Bleistift ihrem Rand bis zum Henkel entlang fuhr. Seit 2002 hat die Firma als Guild GmbH ihren Sitz in der Schweiz, in Ramsen bei Stein am Rhein. Mehr Info... |
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