
Schleiermacher, Steffen - Fluxus Piano
Ein Fluxus-Porträt
Label/Verlag: MDG
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Mit seiner neuesten CD widmet sich der Pianist Steffen Schleiermacher der Fluxusbewegung über unterschiedlichste Klavierstücke an.
Der Pianist Steffen Schleiermacher hat in den zurückliegenden Jahren bei Dabringhaus & Grimm zahlreiche Veröffentlichungen vorgelegt, die sich auf ganz besondere Weise der jüngsten Musikgeschichte widmen. Sein Hang zur Zusammenstellung von Werken nach thematischen Aspekten oder aus der Perspektive bestimmter historischer Phänomene – beispielsweise in Anthologien wie ‚Piano Music of the Darmstadt School‘ (2000), ‚Czech Avantgarde 1918-1938‘ (2003), ‚American Ultramodernists 1920-1950‘ (2005), ‚Asia Piano Avantgarde Japan I‘ (2006), ‚The Viennese School – Teachers and Followers‘ (2005, 2007 und 2010), ‚For Children‘ (2010), ‚British!‘ (2011) oder ‚Teachers, Friends, Colleagues‘ (2014) – weist ihn als intelligenten Musiker aus, der darauf bedacht ist, Zusammenhänge in ihrer gesamten Breite darzustellen, um dadurch (jenseits seiner übrigen, einzelnen Komponisten gewidmeten Einspielungen) auf eine Art Themen- oder Toposgeschichte zu verweisen. Mit seiner neuesten CD ‚Fluxus Piano‘ richtet er – gelegentlich sekundiert von Stefan Fricke (Klavier und Stimme), Harald Muenz (Stimme), Alper Maral (Klavier) und Friedrich Wilhelm Rödding (Klavier) – den Fokus folglich auf Entwicklungen aus der Zeit von 1958 bis 1964, die sich auf unterschiedliche Weise mit der Fluxusbewegung in Verbindung bringen lassen.
Stärker als bei anderen von Schleiermachers Produktionen ist die hier getroffene Wahl entsprechender Stücke von Sylvano Bussotti, Tōru Takemitsu, Frederic Rzewski, Toshi Ichiyanagi, Philip Corner, Terry Jennings, Dick Higgins, John Cage, Yoko Ono, Ben Patterson und György Ligeti allerdings mit einem ganz grundsätzlichen Problem verknüpft: Als Kunstform, die sich nicht nur ganz wesentlich der Performativität theatralen Agierens, sondern auch dezidiert auf die Verquickung unterschiedlicher medialer Inhalte zielt, können die entsprechenden Arbeiten nicht einfach durch eine Wiedergabe auf CD abgebildet werden. Die Reduktion auf den reinen Klang erscheint vielmehr so sinnvoll wie die Betrachtung einer farbigen Gemäldes auf einer Schwarzweiß-Kopie. Zwar versucht Stefan Fricke mit seinem kenntnisreichen Booklettext diesem Umstand wenigstens teilweise entgegenzuwirken, indem er die Bedingungen einzelner Aufführungen lebhaft schildert; doch ist dies letzten Endes kein Ersatz für die fehlenden visuellen Eindrücke.
Insbesondere dort, wo Schleiermachers Wiedergabe von weiteren Personen unterstützt wird, bleibt dieses Manko: Auf welche Weise nämlich in Corners 'Piano Activities' (1962) die vier Protagonisten die unterschiedlichen Aktionsräume in und am Klavier bespielen und dies durch zusätzliche Klangerzeuger ergänzen, bleibt dem Hörer ebenso verborgen wie die von Fricke verantwortete Simultanaufführung von George Maciunas’ 'Solo for sick man' (1962) zu Pattersons 'Ants' (1964) oder die Gestaltung des Vortrags, den Muenz dem Sprechstück 'Litany and Response No. 2 for Alison Knowles' (1962) während der Wiedergabe von Higgins’ 'Litany Piano Piece for Emmett Williams' (1962) angedeihen lässt. Aber auch Stücke wie Bussottis kurze 'Four Piano Pieces for David Tudor' (1959), in denen der Pianist neben der Tastatur auch das Klavierinnere erkundet und teils sehr aktionistisch agiert, oder Rzewskis aus wechselnden Aktionen bestrittene, sehr breit angelegte 'Study II (Dreams) ' (1961) lassen letzten Endes den visuellen Aspekt vermissen.
Man kann diese Kritik jedoch glücklicherweise auch umdrehen: Gerade aufgrund des Verzichts auf sichtbare Theatralität macht die Produktion ganz unmittelbar erlebbar, welch große Rolle trotz allem die klangliche Seite in einzelnen Arbeiten spielen kann: Yoko Onos 'Overtone Piece' (1964), basierend allein auf der suggestiven Anweisung ‚Make music only with overtones‘, wird von Schleiermacher zu einer flüchtigen Studie voller gezupfter Aktionen und Flageolettklänge geformt. Seine Wiedergabe von Takemitsus 'Piano Distance' (1961) lebt ganz aus Aktionen unterschiedlicher Intensität, die im Klangraum nachhallen und anschließend in Stille münden. Und Ichiyanagis 'Music for Piano No. 4' (1961) entpuppt sich hier als zartes Stück voller ineinander verschmelzender Klänge, über deren genaue Erzeugungsmodi der Hörer freilich nur spekulieren kann. So macht die CD letzten Endes erlebbar, wie unterschiedlich die hier ausgewählten Arbeiten der frühen 1960er Jahre trotz des gemeinsamen Labels ‚Fluxus‘ ausfällt. Insofern ist diese Produktion mehr als begrüßenswert.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Schleiermacher, Steffen: Fluxus Piano |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
MDG 1 14.08.2015 |
Medium:
EAN: |
CD
760623191126 |
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MDG Die klangrealistische Tonaufnahme »Den beim Sprechen oder Musizieren entstehenden Schall festzuhalten, um ihn zu konservieren und beliebig reproduzieren zu können, ist eine Idee, die seit langem die Menschen beschäftigte. Waren zunächst eher magische Aspekte im Spiel, die die Phantasie beflügelten wie etwa bei Giovanni deila Porta, der 1598 den Schall in Bleiröhren auffangen wollte, so führte mit fortschreitender Entwicklung naturwissenschaftlichen Denkens ein verhältnismäßig gerader Weg zur Lösung...« (Riemann Musiklexikon)Seit Beginn der elektrischen Schallaufzeichnung ist der Tonmeister als »Klangregisseur« bei der Aufnahme natürlich dem Komponisten und dem Interpreten, aber auch dem Hörer verpflichtet. Die Mittel zur Tonaufzeichnung sind hinlänglich bekannt. Die Kriterien für ihren Einsatz bestimmt das Ohr. Deshalb für den Hörer hier eine Beschreibung unserer Hörvorstellung. Lifehaftigkeit In der Gewißheit, daß der Konzertsaal im Wohnzimmer (leider) nicht realisierbar ist, konzentriert sich unser Bemühen darauf, die Illusion einer Wirklichkeit zu vermitteln. Die Musik soll im Hörraum so wiedererstehen, daß spontan der Eindruck der Unmittelbarkeit entsteht, das lebendige Klanggeschehen mit der ganzen Atmosphäre der »Lifehaftigkeit« erlebt wird. Da wir praktisch ausschließlich menschliche Stimmen und »klassische« Instrumente - auch sie haben ihren Ursprung im Nachahmen der Stimme - aufnehmen, konzentriert sich unsere Klangvorstellung auf natürliche Klangbalance und tonale Ausgeglichenheit im Ganzen, und instrumentenhafte Klangtreue im Einzelnen. Darüber hinaus natürliche, ungebremste Dynamik und genaueste Auflösung auch der feinsten Spannungsbögen. Weitestgehend bestimmend für die Illusion der Lifehaftigkeit ist auch die Ortbarkeit der Klangquellen im Raum: freistehend, dreidimensional, realistisch.Musik entsteht im Raum Um diesen »Klangrealismus« einzufangen, ist bei den Aufnahmen von MDG eine natürliche Akustik unbedingte Voraussetzung. Mehr noch, für jede Produktion wird speziell in Hinblick auf die Besetzung und den Kompositionsstil der passende Aufnahmeraum ausgesucht. Anschließend wird »vor Ort« die optimale Plazierung der Musiker und Instrumente im Raum erarbeitet. Dieser ideale »Spielplatz« ermöglicht nun nicht nur die akustisch beste Aufnahme, sondern inspiriert durch seine Rückwirkung die Musiker zu einer lebendigen, anregenden Musizierlust und spannender Interpretation. Können Sie sich die Antwort des Musikers vorstellen auf die Frage, ob er lieber in einem trockenen Studio oder in einem Konzertsaal spielt?Die Aufnahme Ist der ideale Raum vorhanden, entscheidet sich der gute Ton an den Mikrofonen - verschiedene Typen mit speziellen klanglichen Eigenheiten stehen zur Auswahl und wollen mit dem Klang der Instrumente im Raum in Harmonie gebracht werden. Ebenso wichtig für eine natürliche Abbildung ist die Anordnung der Mikrofone, damit etwa die richtigen Nuancen in der solistischen Darstellung oder die Kompensation von Verdeckungseffekten realisierbar werden. Das puristische Ideal »nur zwei Mikrofone« kann selten den komplexen Anforderungen einer Aufnahme mit mehreren Instrumenten gerecht werden. Aber egal wie viele Mikrofone verwendet werden: Stellt sich ein natürlicher Klangeindruck ein, ist die Frage nach dem Zustandekommen des »Lifehaftigen« zweitrangig. Entscheidend ist, es klingt so, als wären nur zwei Mikrofone im Spiel.Ohne irgendwelche »Verschlimmbesserer« wie Filter, Limiter, Equalizer, künstlichen Hall etc. zu benutzen, sammeln wir die Mikro-Wellen übertragerlos in einem puristischen Mischpult und geben das mit elektrostatischem Kopfhörer kontrollierte Stereosignal linear und unbegrenzt an den AD-Wandler und zum digitalen Speicher weiter. Dadurch bleiben auch die feinsten Einschwingvorgänge erhalten. Auf der digitalen Ebene wird dann ohne klangmanipulierende Eingriffe mit dem eigenen Editor in unserem Hause das Band zur Herstellung der Compact Disc für den Hörer erstellt, für Ihr hoffentlich großes Hörvergnügen. Mehr Info... |
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