
Kreisler, Georg - Das Klavierwerk
Der andere Kreisler
Label/Verlag: WERGO
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Georg Kreisler als Schöpfer ausgewachsener E-Musik? Nur scheinbar ein Widerspruch.
Georg Kreisler (1922-2011) kennt man gemeinhin als den zynisch-satirischen, politisch motivierten und gesellschaftskritischen Kabarettisten, der einst mit Liedern wie 'Tauben vergiften' oder 'Der General' im Nachkriegsdeutschland keineswegs nur die Lacher auf seiner Seite hatte. Mit unbequemen Themen und seinem schwarzen Humor eckte er immer wieder an und geriet wiederholt mit Rundfunkanstalten in Konflikt.
Scharfe Konturen
So gut wie gar nicht bekannt ist er als Schöpfer veritabler E-Musik für das von ihm so virtuos beherrschte Klavier. Dieser gänzlich andersartigen Seite seines Schaffens widmet sich die vorliegende, bei Wergo in Koproduktion mit dem Sender Kulturradio RBB erschienene Einspielung. Die meisten der Kompositionen stammen aus Kreislers Zeit in den USA, wohin er während der Kriegsjahre aus Nazi-Deutschland emigriert war. Eingängige, fast schlagerartige Melodien wie in vielen seiner Chansons sucht man hier vergeblich; die Werke bewegen sich vielmehr in polytonalen, harmonisch und rhythmisch oft derben Sphären. Mal finden sich Anlehnungen an die Zwölftontechnik der Neuen Wiener Schule, mal fast schon dadaistische Elemente. Schon in den fünf 1953 entstandenen 'Bagatellen' schlagen sich diese stilistischen Verzweigungen nieder, von der amerikanischen Pianistin Sherri Jones mit kontrastreichem Anschlag und pointierter Akzentuierungen (etwa im 'Allegro molto') scharf konturiert dargestellt. Man versteht, weshalb sie es war, die – tatsächlich auf Kreislers persönliches Bitten hin – ab dem Jahr 2009 begann, sein Soloklavierwerk öffentlich aufzuführen. Auch technische Herausforderungen, wie beispielsweise die rasanten Repetitionen im 'Presto, con fuoco', meistert sie überzeugend.
Lebendige Charakterisierung
Eine zentrale Stellung in Kreislers pianistischem Oeuvre nimmt seine aus dem Jahr 1952 datierende Klaviersonate ein. Der als Walzer konzipierte zweite Satz trägt – ebenso wie die zweite der vorangegangenen Bagatellen – eher parodistische denn ernsthaft tänzerische Züge, von Jones wiederum stilistisch auf den Punkt gebracht. Dem mit 'Slow – with warmth, but not too slow' überschriebenen Finalsatz haucht sie die programmatisch eingeforderte Wärme zum Beweis dafür ein, dass Kreislers Kompositionen neben der sonst oft schroffen Klangsprache auch diese Seite in sich tragen. Erst 2011, kurz vor seinem Tod, vollendete Kreisler im Gegensatz zu den reinen Klavierkompositionen früher Jahre die so genannten 'Fünf Lieder für Barbara' – Insidern fällt bei dem Namen sofort das gleichnamige Chanson ein. Die niederländische Mezzosopranistin Olivia Vermeulen stellt die Melodien mit schlanker Phrasierung und natürlichem Timbre überzeugend dar. Zusätzlich versehen sind die Lieder mit einer Violinstimme, die Andreas Reimer mit gutem Gespür für einen subtilen Begleittonfall spielt. Parallel zu den überwiegend surrealistisch angehauchten Texten zeigt Kreisler in der dritten Nummer, dass man aus Wilhelm Müllers Gedicht 'Der Lindenbaum' auch etwas ganz anderes machen kann als Schubert. Freilich nicht ohne – ein echter Kreisler eben – deutlich hörbare, stilistische Bezüge zu jenem einfließen zu lassen. Auch die drei 1947 entstandenen Klavierstücke spiegeln Kreislers thematischen Einfallsreichtum wider und zeigen nicht zuletzt dank Jones‘ lebendiger Charakterisierung, dass die Entdeckung seines Soloklavierwerks unbedingt lohnenswert ist.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Kreisler, Georg: Das Klavierwerk |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: Spielzeit: |
WERGO 1 28.06.2015 51:29 |
Medium:
EAN: BestellNr.: |
CD
4010228731729 WER 73172 |
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