> > > Meunier, Lionel: Motetten der Bach-Familie
Samstag, 9. Dezember 2023

Meunier, Lionel - Motetten der Bach-Familie

Eigenständige Größen


Label/Verlag: Ricercar
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Motetten aus dem Altbachischen Archiv in einer exzellenten Interpretation durch Lionel Meunier und sein Ensemble Vox Luminis.

Johann Sebastian Bachs hochmusikalische Ahnenreihe ist dank der Überlieferung des Altbachischen Archivs durchaus nicht unbekannt. Einzelne Stücke werden zumindest gelegentlich aufgeführt. Und es gibt – zwar wenige – starke Aufnahmen dieser Musik, sehr früh von Philippe Herreweghe oder Erik van Nevel, nah am Ideal dann Konrad Junghänel und Cantus Cölln, auch die Beschäftigungen von Reinhard Goebel und erst kürzlich mit dramatischer Geste von John Eliot Gardiner waren von Belang. Doch trotz schöner Ergebnisse blieb eine breite musikpraktische Anerkennung aus – es scheint, als seien Bachs Verwandte auch Opfer einer Musikgeschichte der Helden, die in deutscher Perspektive zwischen Schütz und Bach nicht genug fruchtbares Feld übriglässt und sehr viel an sich Eigenständiges lediglich als Vorphase einer weithin akzeptierten musikhistorischen Formation zu betrachten bereit ist.

In der aktuell von Lionel und seinem hervorragenden Vokalensemble Vox Luminis vorgelegten Doppel-Box sind sämtliche überlieferten Motetten von Heinrich, Johann Michael und Johann Christoph Bach zusammengefasst: eine Reihe exquisiter Sätze, wunderbare Musik, aus der Sprache geboren, direkt in ihren Wirkungen und doch kunstvoll sublimiert. Neben eleganter und variantenreicher Mehrchörigkeit, die sich die barocke Ästhetik selbstverständlich anverwandelt, sind Anklänge an alte Techniken zu hören. Hinzu treten ebenso klar wie satztechnisch subtil integrierte Choräle.

Wunderbar einfühlsame Interpretation

Eine hochinteressante Musik also. Und die vierzehn Vokalisten von Vox Luminis lassen sehr deutlich werden, was Johann Sebastian Bach an dieser Musik so geschätzt haben muss, warum er sie immer wieder aufführte – sie ist einfach klangschön, wirkungsklar, textsensibel, dabei technisch nichts Virtuoses fordernd. Das Ensemble hat sich in der Vergangenheit in dieser Ästhetik schon deutlich profiliert. In bester Erinnerung sind eindrucksvolle Platten mit Motetten von Samuel Scheidt und den 'Musikalischen Exequien' von Heinrich Schütz. Auch bei den älteren Bächen erweisen sich die Sängerinnen und Sänger als perfekte Stilisten, die all ihr Potenzial in eine hochsensible Deutung investieren. Sie sind so selbstverständlich mit dem Idiom des mitteldeutschen Barock vertraut, dass sie nie in Versuchung geraten, aufgesetzte Wirkungen zu applizieren, die Musik zu forcieren oder demonstrativ ihren reichen Wissensschatz um diese Musik vordergründig auszuspielen.

Intoniert wird makellos rein, ohne Druck, von allen Registern gleichermaßen getragen, in einer wunderbar gemeinsamen Ensembleleistung. Lionel Meunier – zugleich an der Seite von Bertrand Delvaux und Matthias Lutze Teil des formidablen Bassregisters – leitet die Formation in entspannter Frische an, ohne äußere Force, und doch von selbstverständlicher Bewegung. Die Vokalisten gewinnen der Musik feine und feinste Differenzen ab, vor allem in den mehrchörigen Konstellationen, entfalten immer wieder aber auch einen edlen, fein erwärmten Großklang. Dazu ist die Diktion exzellent, klar und natürlich – niemand muss die Texte lesen, man kann sie hörend mühelos verstehen.

Klanglich ist das Geschehen klar im üppigen Raum positioniert, wirkt es sehr schön gestaffelt und präsentiert alle Register sehr gleichmäßig. Im fein gestalteten dreisprachigen Booklet liefert Jérôme Lejeune neben allgemeinen Überlegungen auch sehr differenzierte Einführungen zu allen Motetten – eine informative, unbedingt lohnende Lektüre bietet sich.

Lionel Meunier liefert mit seinem Ensemble Vox Luminis ein ganz starkes Plädoyer für die Musik der älteren Mitglieder der Bach-Familie. Die Kunde von dieser Qualität ist zwar keine absolute Novität, doch schmälert das die Freude über diese herausragend gesungene, traumwandlerisch zutreffend wirkende Interpretation keineswegs. Meunier platziert seine Deutung auf Augenhöhe mit der Konrad Junghänels. Diese Publikation ist zweifellos eine Zierde in der an Höhepunkten nicht armen Diskografie von Vox Luminis.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Meunier, Lionel: Motetten der Bach-Familie

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Ricercar
2
05.06.2015
Medium:
EAN:

CD
5400439003477


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Ricercar

Von Haus aus Musikwissenschaftler und Gambist (und hier immerhin Schüler von Wieland Kuijken), gründete der Belgier Jérôme Lejeune 1980 sein Label RICERCAR, das schnell zu einem der wichtigsten im Bereich der Alten Musik wurde. Das war nicht nur durch die musikwissenschaftliche Arbeit Lejeunes nahe liegend, sondern auch dem Umstand geschuldet, dass Belgien von je her zu den führenden Nationen im Bereich der historischen Aufführungspraxis gehörte. Die Künstler, die für RICERCAR aufnehmen bzw. aufgenommen haben, lesen sich ohne Übertreibung wie das Who-is-Who der Alten Musik-Szene: Hier machte zum Beispiel Philippe Herreweghe genauso seine allerersten Aufnahmen wie das Ricercar Consort, Jos van Immerseel oder Mark Minkowski (sowohl als Fagottist als auch als Dirigent). Zu den Künstlern und Ensembles, die derzeit dem Label verbunden sind, gehören so prominente Namen wie der Organist Bernard Foccroulle, die Sopranistin Sophie Karthäuser sowie die Ensemble La Fenice und Continens Paradisi. Nach wie vor bietet Lejeune dabei jungen Künstlern und Ensembles eine künstlerische Plattform und er beweist dabei stets ein besonders glückliches Händchen. Viele der nicht weniger als 250 Aufnahmen, die hier veröffentlicht wurden, waren klingende Lektionen in Musikgeschichte, die in mehrteiligen Reihen solche Themen wie Bach und seine Vorgänger, die franko-flämische Polyphonie oder Instrumentenkunde behandelten und so etwas wie zu einem Markenzeichen des Labels wurden. Das erstaunliche dabei war auch, dass nahezu alle Produktionen des Labels von Lejeune sowohl wissenschaftlich als künstlerisch und technisch betreut wurden.


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