
Campra, André - Tancrède
Kampf der Bassisten
Label/Verlag: Alpha Classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel
André Campas 'Tancrède' ist eine wertvolle Bereicherung des Repertoires französischer Barockoper. Im vokalen ist der Eindruck nicht ganz ausgeglichen, orchestral ist die Wiedergabe großartig.
Im Mai 2014 wurde im Schlosstheater von Versailles die vorliegende Opernproduktion mitgeschnitten – obschon, das sei im Zuge der historischen Informiertheit vermerkt, das Opernhaus erst 1770, ganze 68 Jahre nach der Oper vollendet wurde. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Oper im 18. Jahrhundert, mit seinen starken Änderungen der stilistischen Ausrichtung, zur Aufführung kam. Gleichwohl blieb das Opernsujet aus Torquato Tassos ‚Gerusalemme liberata‘ im Lauf der Zeit durchaus populär, wie noch Rossinis 'Tancredi' belegt. André Campras 'Tancrède' ist ein wichtiges Zwischenglied zwischen den späten Tragédies lyriques Jean-Baptiste Lullys und Jean-Philippe Rameaus 'Hippolyte et Aricie'. In der Form von fünf Akten mit vorangestelltem Prolog ist Campras Oper noch ein ganz typisches Werk seiner Zeit, doch nutzt Campra bereits Klangfarben, die über jene Lullys hinausgehen.
Das Orchestre Les Temps Présents musiziert flüssiger als manch andere historisch informierte Ensembles. Hier gibt es keine überforcierten Akzente, hier sitzt alles am rechten Ort, die Charaktere der einzelnen Sätze sind mit viel Individualität eingefangen. Olivier Schneebeli wählt zügige, aber nicht übertriebene Tempi – besonders gelingen ihm getragene Sätze, die starke Poesie und gutes Feingefühl vermitteln; doch auch den Tanzsätzen verleiht er Delikatesse, Leichtigkeit und Charme.
Der Bariton Benoît Arnoud bietet für den Tancrède ausgesprochen kultivierte, vieler feiner Abstimmungen fähige Töne auf. Ohne Frage ist seine Besetzung ein Glücksfall: Er beherrscht die Verzierungskunst der Zeit, hat die rechte Stimme für den Part und bietet genügend Individualität. Leider kann keiner seiner Partner und Partnerinnen ihm das Wasser reichen. Die Mezzosopranistin Isabelle Druet gibt der Prinzessin Clorinde, die zum Ende der Oper von der Hand des sie liebenden Tancrède fällt, einen heldischen Ton. Offensichtlich hat sie große Probleme mit Trillern. Bei allem dramatischen Charakter der Partie – etwas ansprechender dürfte ihr Timbre denn doch sein. Ihr Vibrato lässt den Hörer buchstäblich ins Schlingern geraten.
Die Sopranistin Chantal Santon singt als Prinzessin Herminie nicht immer ganz intonatorisch rein, bietet vielmehr immer wieder eher eine ‚Dutzendstimme‘, die der Bedeutung ihrer Rolle nicht angemessen ist. Der Bassist Éric Martin-Bonnet als sarazenischer Magier Isménor verfügt über reiche Tiefe und stimmliche ‚maestà‘, doch tritt er mit etwas zu starkem vokalen Überdruck auf. Im Duett mit Alain Buet in der Rolle des Königs Argant (ebenfalls Bass) sind beide Sänger jederzeit gut unterscheidbar, trotz ihrer jeweiligen vokalen Mängel, die einander eher ergänzen denn addieren: Klingt Bonnet einerseits etwas pompöser, mangelt es Buet andererseits an vokaler Eleganz, dafür keineswegs an Kantigkeit und männlicher Kraft. Das Aufeinanderprallen beider Partien macht den ersten Akt zu einem besonderen Highlight der Aufführung.
Erwin Aros in der Rolle des Zauberers im Prolog (und weiterer kleinerer Rollen im Verlauf der Oper) verfügt über einen gleichmäßig anspringenden, nicht besonders schönen, dafür aber charakterhaft-kantigen tiefen Tenor, mit gewissen Schwierigkeiten sein Vibrato unter Kontrolle zu behalten. Anne-Marie Beaudette ist für den Frieden im Prolog anfangs etwas zu wenig instrumental im Stimmklang, zu ‚dramatisch gepolstert‘, entwickelt sich aber ausgesprochen erfreulich und verbindet im weiteren Verlauf (und auch in ihren weiteren Rollen, darunter der einer Kriegerin) Virtuosität, Frische und Charme.
Der Chor der Chantres du Centre de Musique baroque de Versailles unterscheidet sich deutlich von den dünnstimmigen, undramatischen Chören manch anderer Produktionen – hier haben wir einen Chor, der dramatisch (und dramaturgisch stimmig) die Handlung mit vorantreibt.
Die wohltuende Kantigkeit vieler Bereiche, der durchgehend dramatische Gestus der Interpretation (der Bühnenaufführung geschuldet) vermittelt trotz kleiner Nebengeräusche (die aufnahmetechnisch kaum stören) ausgesprochene Lebendigkeit der musikalischen Handlung. Dennoch bleibt ein etwas unguter Eindruck einer stilistisch nicht ganz angemessenen, eher postmodernen denn historisch informierten Interpretation, vor allem auf vokalem Gebiet. Dennoch ohne Frage eine wichtige, eine spannende Darbietung, die vielleicht mit der visuellen Komponente noch überzeugender gewesen wäre.
So umfangreich das Booklet der Produktion auch sein mag – eine Inhaltsangabe fehlt und auch über die Interpreten selbst erfährt man nichts; eine unschöne Unart, die den Interpreten ein wenig zum austauschbaren Exegeten degradiert.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Campra, André: Tancrède |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Alpha Classics 3 05.06.2015 |
Medium:
EAN: |
CD
3760014199585 |
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Alpha Classics "Haute-Couture-Label", "Orchidee im Brachland der Klassikbranche" oder schlicht "Wunder", das sind die Titel mit denen das französische Label ALPHA von der Fachpresse hierzulande bedacht wird. In der Tat ist die Erfolgsgeschichte des Labels ein kleines Wunder. Honoriert wurde hiermit die Pionierlust und Entdeckerfreude des Gründers Jean-Paul Combet und die außerordentliche Qualität seiner Künstler und Ensembles (z.B. Vincent Dumestre, Marco Beasley, Christina Pluhar u.v.a.), aber auch die auffallend schöne, geschmackvolle Präsentation der Serie "ut pictura musica" mit ihren inzwischen mehr als 200 Titeln. Das schwarze Front-Layout und die Grundierung mit venezianischem Papier im Innern sind mittlerweile genauso zum Markenzeichen geworden wie die ausgesprochen stimmungsvollen Fotografien der Aufnahmesitzungen durch den Fotografen Robin Davies. Das Programm umfasst die Zeitspanne von der mittelalterlichen Notre Dame-Schule bis hin zur klassischen Moderne, doch ist nach wie vor ein deutlicher Schwerpunkt auf Alte Musik zu erkennen. Innerhalb des Labels möchte die zweite, auch "Weiße Reihe" genannte, Serie "Les Chants de la terre" die ältesten Quellen musikalischen Ausdrucks erkunden. Mit Virtuosität und Spielfreude widmet man sich hier dem Beziehungsfeld von schriftlich überlieferten und mündlich weitergegebenen Musiktraditionen, um alte Melodien zu neuem Leben zu erwecken. Trotz akribischer musikwissenschaftlicher Recherche geht es hier nicht um eindimensionale, akademisch trockene Werktreue, sondern um lebendigen Umgang mit altem Material. Mehr Info... |
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