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Montag, 25. September 2023

Provenzale, Francesco - Lamenti & Cantatas

Spekulation à l'antique


Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Musikhistorische und stilistische Spitzfindigkeiten außen vor lassend ist diese Aufnahme vor allem im vokalen Bereich nur mit Einschränkung zu empfehlen.

Den Namen des Francesco Provenzale las ich erstmals, als 1998 die Opus 111-Produktion der 'Vespro all‘Oratorio dei Girolamini' auf den Markt kam. Danach wurde es lange still um den neapolitanischen Barockkomponisten – nun endlich eine Neuproduktion, die sich aber keineswegs ausschließlich seinem Schaffen widmet. Schnell lernen wir, dass es sich bei den hier zusammengestellten neun Werken (die laut Booklet jeweils 12:19 dauern, was aber offenkundig Unsinn ist) weitgehend um Kompositionen handelt, die ab 1620 am Hofe des Vizekönigs von Neapel erklangen. Dass die Einschränkung ‚weitgehend‘ ergänzt werden muss, beleuchtet den dramaturgisch leider disparaten Charakter der Produktion und erhellt auch die unangemessene Präsentation auf dem CD-Cover.

Das älteste Werk auf der SACD ist eine 'Gagliarda Napolitana' des blinden Organisten Antonio Valente ungefähr aus der Mitte des 16. Jahrhunderts. Im Falle der Lebensdaten des die Produktion abschließenden Komponisten Andrea Falconieri führt das Booklet wieder extrem in die Irre. Anders als im Tracklisting angegeben lebte er von 1624 bis 1704. Seine 'Battalla de Baraboso yerno de Satanas' ist ein typisches Werk der Zeit Vivaldis, hier voller Verve und wie Valentes Komposition mit eifriger Verwendung des Psalteriums und des Schlagzeugs vorgetragen. Der perkussive Aspekt der Musik wird hier wie dort hervorgehoben – als ob die Musik solch starke Akzente bräuchte.

Die beiden zentralen Komponisten der Produktion sind Gregorio Strozzi (1615–1687) und Francesco Provenzale. Von Strozzi bieten die Instrumentalisten eine 'Toccata da Passacagli, e ciascheduno può sonarsi à solo', die 'Mascara Sonata, e ballata da più Cavalieri Napolitani, nel Regio Palazzo', das 'Balletto primo' und die 'Corrente Settima', stets in ähnlicher Instrumentenkonstellation, ebenfalls mit Emphase und Wärme dargeboten. Von Provenzale werden die Lamenti 'Squarciato appena havea' und 'Lamento di Marinetta moglie di Massaniello' sowie die Kantate 'Care selve, amati orrori' dargeboten, zu den Instrumentalisten des Wiener Ensembles Echo du Danube gesellt sich die Sopranistin Hannah Morrison, mit jugendfrischer, gut ansprechender lyrischer Stimme voller Wärme und Substanz, doch leider wenig Stilgefühl oder -kenntnis. Sie versucht expressiv die Texte auszudeuten, scheitert aber eklatant an nahezu sämtlichen Verzierungen.

So lebensvoll die Produktion sein mag, so spekulativ à l‘antique ist sie. Bekanntlich waren neapolitanische Feste besonders reich und lebhaft, doch gerät die Konzeption der Darbietung (nicht die Darbietung selbst), die Besetzungswahl und der Einsatz der Instrumente teilweise fast schematisch – man fragt sich teilweise nur: Welche Variante kommt gleich? Wer sich an puristischen Einwendungen nicht stört, wer propere, lebensvolle Musik genießen will ohne die Frage, ob das wohl alles so oder nicht doch ganz anders geklungen hätte, mag dennoch an der aufnahmetechnisch brillanten Produktion seine Freude haben.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Provenzale, Francesco: Lamenti & Cantatas

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
cpo
1
20.05.2015
Medium:
EAN:

SACD
761203783427


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Falconiero, Andrea
 - Battalla de Baraboso yerno de Satanas -
Provenzale, Francesco
 - Squarciato appena havea -
 - Lamento di marinetta Moglie di Massaniello -
 - Care seelve, amati orroi -
Strozzi, Gregorio
 - Toccata de Passacagli, e ciascheduno puo sonarsi a solo -
 - Mascara Sonata, e ballata da piu Cavalieri Napolitani, nel Regio Palazzo -
 - Balletto primo -
 - Corrente Settima, e per Organetti, o Flauti -
Valente, Antonio
 - Gagliarda Napolitana -


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cpo

Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
Besonders stolz macht uns dabei, daß cpo - 1986 gegründet - in Rekordzeit in die Spitze vorgestoßen ist. Das Geheimnis dieses Erfolges ist einfach erklärt, wenn auch schwierig umzusetzen: cpo sucht niemals den Kampf mit den Branchenriesen, sondern füllt mit Geschick die Nischen, die von den Großen nicht besetzt werden, weil sie dort keine Geschäfte wittern. Und aus mancher Nische wurde nach einhelliger Ansicht der Fachwelt mittlerweile ein wahres Schmuckkästchen.
Am Anfang einer Repertoire-Entscheidung steht bei uns noch ganz altmodisch das Partituren-lesen, denn nicht alles, was noch unentdeckt ist, muß auch auf die Silberscheibe gebannt werden. Andererseits gibt es - von der Renaissance bis zur Moderne - noch sehr viele wahre musikalische Schätze zu heben, die oft näher liegen, als man meint. Unsere großen Werk-Editionen von Pfitzner, Korngold, Hindemith oder Pettersson sind nicht umsonst gerühmt worden. In diesem Sinne werden wir fortfahren.
Letztendlich ist unser künstlerisches Credo ganz einfach: Wir machen die CDs, die wir schon immer selbst haben wollten. Seien Sie herzlich zu dieser abenteuerlichen Entdeckungsfahrt eingeladen!


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