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Montag, 25. September 2023

Reger, Max - Orgelwerke Vol. 2

Gen Zentenarium


Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Die zweite Folge von Gerhard Weinbergers Einspielung der Orgelwerke Max Regers ist in der äußerst feinfühligen dynamischen Behandlung und der durch verhaltene Tempi ermöglichten strukturell-klanglichen Klarheit exzellent geraten.

Lange habe ich nun auf die zweite Folge von Gerhard Weinbergers Reger-SACD-Orgelgesamteinspielung gewartet, die hoffentlich zum Zentenarium 2016 komplett vorliegen wird. Weinberger wählt historische Instrumente, bekannte und weniger bekannte, wählte gemessenere Tempi, die Regers komplexen kontrapunktischen und modulatorischen Strukturen entgegenkommen und die auch die Aufnahmeakustik mit berücksichtigen. Damit ähnelt er Martin Schmedings neuer SACD-Einspielung auf Cybele, der gleichfalls dem Raumklang Platz zum Ausschwingen bietet. Weinberger, Jahrgang 1948, kann auf jahrzehntelange Erfahrungen als Reger-Interpret zurückblicken, sein sorgsamer Umgang mit der Materie und seine Liebe zu ihr sind jeden Moment spürbar.

Standen in der ersten Folge der Edition die beiden Orgelsonaten opp. 33 und 60, die erste Orgelsuite op. 16 und 'Phantasie und Fuge über BACH' op. 46 auf dem Programm, widmet sich die zweite einerseits den ersten vier Choralphantasien opp. 27, 30 und 40 und andererseits den 'Neun Stücken' op. 129 sowie Phantasie und Fuge d-Moll op. 135b. Faktisch sind die Einspielungen noch älter als jene der ersten Folge (die 2012 bzw. 2013 in Leipzig bzw. Salzwedel entstanden) – sie wurden 2010 im Dom zu Verden an der Aller und 2011 in der Kirche St. Martin in Dudelange in Luxemburg gemacht. Damit datieren sie offenbar vor den entsprechenden Aufnahmen besonders aus Dudelange von  Roberto Marini (auf Fugatto, Stücke op. 7, 'Zwölf Stücke' op. 80, 'Introduktion, Passacaglia und Fuge' e-Moll op. 127, 'Stücke' op. 145) bzw. Jean-Baptiste Dupont (auf Éditions Hortus, Phantasie und Fuge c-Moll op. 29, 'Zwölf Stücke' op. 59). Mit Marini und Dupont hat Weinberger auch etwas anderes gemein – wie diese nutzt er die neue Reger-Werkausgabe, die die teilweise komplizierte Werkgenese erstmals auch in digitaler Form so transparent wie irgend möglich macht (besonders die alte Breitkopf-Ausgabe, die eine andere neue Gesamteinspielung benutzt, strotzt vor editorischen Inakkuratessen und Missverständnissen – teilweise wurden Passagen, die Reger selbst gestrichen hatte, wiederhergestellt und als ‚Urtext‘ dem nichtsahnenden Organisten untergejubelt).

Eröffnet wird die Doppel-SACD durch die berühmte Choralphantasie 'Wie schön leucht’t uns der Morgenstern' op. 40 Nr. 1 aus dem Herbst 1899. Durch die etwas gemesseneren Tempi kann Weinberger Regers sonst häufig nicht ganz akkurat befolgten Dynamikangaben umsetzen. Durchaus eigen gestaltet Weinberger die Vorstellung der ersten Choralstrophe (im ppp), die er nicht etwa metrisch streng durchlaufen lässt, sondern der Stimmung gemäß eher etwas verhalten darbietet, damit die zweite Strophe dann durchaus strahlender beginnen kann (doch Weinberger behält sich genügend Reserven vor, um bis in die Fuge hinein im Grundkonzept stetig zu steigern. Anders als mancher Konzertorganist sucht (und findet) Weinberger eine Vielzahl an innerlichen, meditativ-sakralen Stimmungen, die Verdener Furtwängler & Hammer-Orgel (1916) gerade im Bereich der leiseren und leisesten Töne (den Übergang zur Fuge habe ich selten so differenziert gehört). Das ist kein lärmendes Konzertgetön, das ist kirchliche Orgelmusik vom Feinsten, vom Allerfeinsten.

Dieses Konzept setzt sich fort auf der zweiten SACD mit den drei weiteren früheren Choralphantasien aus dem Sommer/Herbst 1899 ('Ein‘ feste Burg ist unser Gott' op. 27 und 'Freu dich sehr, o meine Seele!' op. 30, ursprünglich op. 27a/b, durch unterschiedliche Verlagsveröffentlichungen in der Opuszahl getrennt) und Spätherbst 1899 ('Straf mich nicht in deinem Zorn! ' op. 40 Nr. 2). Das Eröffnungstempo bei 'Ein‘ feste Burg' lässt sich bei Weinberger nur eingeschränkt 'Allegro vivace (ma pomposo) ' nennen, doch geht so auch weitaus weniger der liturgische Gehalt der Komposition verloren (die Choraltexte sind im Booklet vorbildlich abgedruckt). Die Stahlhut[/Jann]-Orgel (1912) in Dudelange ist deutlich größer als jene Verden und bietet so neben feinen Piano-Schattierungen auch viele Kombinations- und Steigerungsmöglichkeiten, die auch angemessen zum Einsatz kommen. Dramaturgisch klug sind die Choralphantasien mit den passenden Choralvorspielen verknüpft. Auch die Dramaturgie der Choralphantasien an sich ist äußerst klug konzipiert – 'Straf mich nicht in deinem Zorn!' ist wohltuend weit von 'Wie schön leucht’t uns der Morgenstern' platziert, was beiden Werken volle Entfaltungsmöglichkeit gibt und insbesondere 'Straf mich nicht in deinem Zorn! ' aus dem ungerechtfertigten Schatten des Schwesterwerks heraustreten lässt. Nun muss ich gestehen, dass ich eine etwas flottere Einspielung des Werkes gewöhnt bin (Arvid Gast im Berliner Dom), doch bietet Weinberger eine zusätzliche Komponente – einen Aspekt tiefster Innerlichkeit, die bei Befolgung von Regers Vortragsanweisen leicht verloren gehen.

Zurück zur ersten SACD. Die 'Neun Stücke' op. 129 entstanden 1913 im Sommerurlaub in Kolberg an der Ostsee. Von der Konzeption ist es etwa der Suite g-Moll op. 92 vergleichbar: eine Toccata und Fuge (d-Moll) einerseits und ein Präludium und Fuge (h-Moll) andererseits flankieren die Innensätze, die um ein Basso ostinato (g-Moll) gruppiert sind, eine Art ‚Mini-Ciacona‘. Nur sind im vorliegenden Fall die Proportionen sozusagen verschoben: Statt in der Mitte ist der Basso ostinato um eine Stelle verschoben, so dass nach Toccata und Fuge drei Sätze, 'Kanon', 'Melodia' und 'Capriccio' (letzterer mit Perpetuum mobile-Charakter – hier werden auch die Gründe für Weinbergers Tempowahl offenkundig: die Raumakustik hätte offenbar kein höheres Tempo erlaubt) interpoliert sind, vor Präludium und Fuge hingegen nur ein introspektives 'Intermezzo'. Auch hier setzt Weinberger auf möglichst klare, unprätentiöse Ausdeutung des Notentextes, um gerade so die Musik möglichst unmittelbar sprechen zu lassen. So bietet er uns eine farblich äußerst differenzierte, in der dynamischen Abstufung wohl kaum zu übertreffende Einspielung, die Regers Musik voll Devotion, aber auch melancholischem Weltschmerz bronzen leuchten lässt.

Den Abschluss der ersten SACD bildet ein ‚Schlager‘ der Reger-Orgelliteratur – Phantasie und Fuge d-Moll op. 135b vom ersten Jenaer Frühling 1915. An der Komposition haben sich immer wieder die Geister der Interpreten entzündet, hat Reger doch kurz vor Drucklegung das Werk radikal gekürzt, hierdurch seine ‚produktive Diskontinuität‘ noch profilierter umgesetzt. Weinberger folgt der von Reger freigegebenen Druckfassung und bringt diese zur intensiven, fein abgestimmten, immer wieder intim bekenntnishaften Darbietung. Dabei ist die detaillierte Befolgung der dynamischen Anweisungen immer wieder eine große Freude. Das vierfache Piano zu Beginn der Fuge macht hier nicht nur völlig Sinn, es scheint die einzig mögliche Interpretationsmöglichkeit (im Vergleich kann ich nunmehr manch andere Einspielung gar nicht mehr anhören).

Die SACD-Technik unterstützt Weinbergers Konzept im SACD-Format auf das Glücklichste. In der Stereoversion bleibt die Orgel etwas fern, verliert zumeist etwas an Unmittelbarkeit. Leider fallen die Bookletabbildungen (Notenhandschriftenseiten) im Vergleich zur Einspielung und auch zu dem kompetenten Booklettext schwer ab – gerade bei cpo ein überraschender Mangel, dem vielleicht bei der nächsten Auflage abgeholfen werden könnte.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:






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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Reger, Max: Orgelwerke Vol. 2

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
cpo
2
20.04.2015
Medium:
EAN:

SACD
761203771820


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cpo

Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
Besonders stolz macht uns dabei, daß cpo - 1986 gegründet - in Rekordzeit in die Spitze vorgestoßen ist. Das Geheimnis dieses Erfolges ist einfach erklärt, wenn auch schwierig umzusetzen: cpo sucht niemals den Kampf mit den Branchenriesen, sondern füllt mit Geschick die Nischen, die von den Großen nicht besetzt werden, weil sie dort keine Geschäfte wittern. Und aus mancher Nische wurde nach einhelliger Ansicht der Fachwelt mittlerweile ein wahres Schmuckkästchen.
Am Anfang einer Repertoire-Entscheidung steht bei uns noch ganz altmodisch das Partituren-lesen, denn nicht alles, was noch unentdeckt ist, muß auch auf die Silberscheibe gebannt werden. Andererseits gibt es - von der Renaissance bis zur Moderne - noch sehr viele wahre musikalische Schätze zu heben, die oft näher liegen, als man meint. Unsere großen Werk-Editionen von Pfitzner, Korngold, Hindemith oder Pettersson sind nicht umsonst gerühmt worden. In diesem Sinne werden wir fortfahren.
Letztendlich ist unser künstlerisches Credo ganz einfach: Wir machen die CDs, die wir schon immer selbst haben wollten. Seien Sie herzlich zu dieser abenteuerlichen Entdeckungsfahrt eingeladen!


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