
Wagner, Richard - Tristan und Isolde
Königlich
Label/Verlag: Immortal Performances
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Immortal Performances machen das Beste aus den zur Verfügung stehenden Quellen der 'Tristan'-Mitschnitte aus dem Jahr 1937, in denen vor allem Kirsten Flagstad glänzt. Die sorgfältige Edition dieses historischen Juwels ist vorbildlich.
1937 vollzog sich in Großbritannien eine Art doppelter Thronwechsel – George V. war im Januar 1936 gestorben, doch noch ehe sein Sohn Edward VIII. gekrönt werden konnte, musste er wegen seiner unstandesgemäßen Liaison mit einer geschiedenen Amerikanerin auf den Thron verzichten. Sein jüngerer Bruder Albert wurde stattdessen im Mai 1937 als George VI. gekrönt. Zu diesem Anlass entstanden (ja, das war damals selbstverständlich) zahlreiche Festkompositionen; William Walton komponierte einen Krönungsmarsch ('Crown Imperial') und Ralph Vaughan Williams gleich mehrere kleinere Werke, darunter das zwölfminütige 'Flourish for a Coronation', das hier als Bonustrack in einer Aufnahme vom 1. April 1937 mit dem London Philharmonic Orchestra und Chorus unter Sir Thomas Beecham geboten wird. Dieser Mitschnitt aus der Queen’s Hall überzeugt trotz (oder wegen) gewisser erhalten gebliebener Nebengeräusche weit mehr als die aufnahmetechnisch weitaus stärker behandelte Version, die Dutton 2009 von Vaughan Williams‘ eigener Azetatkopie veröffentlichten.
Obschon nicht offiziell als solche zu verstehen, kann man den Begriff ‚königlich‘ auch auf die hier vorliegende 'Tristan und Isolde'-Produktion anwenden, die am 18. und 22. Juni 1937 von den EMI mitgeschnitten wurde. Beide Aufführungen sind nicht vollständig erhalten, so dass seit jeher die beiden genannten Aufführungen miteinander verschnitten wurden – nicht selten in unschöner Quellvermischung, die sich offenbar teilweise aus der mehr als mangelhaften Archivpolitik der EMI ergaben. In der vorliegenden Veröffentlichung werden wir zum einem mit dem erstmals restaurierten ersten Akt vom 18. Juni beglückt, dann mit gleich beiden Mitschnitten des zweiten Aktes und schließlich mit dem dritten Akt vom 22. Juni, erstmals in korrekter Bandgeschwindigkeit und in optimal restauriertem Klang.
Königlich ist ohne Frage die Isolde Kirsten Flagstads. Flagstad war der Hauptgrund, warum EMI 'Tristan' mitschneiden wollten, obschon die diskografisch unterrepräsentierte Frieda Leider in der Aufführung am 14. Juni rein stimmlich sicher hätte mithalten können. Farbenreich und dramatisch-explosiv ist Flagstads Isolde, ihre Höhe nicht nur sicher, sondern auch warm und tonschön. Herrlich fragile Phrasen können wir erleben, doch auch einen dramatischen Kern bietet die Sängerin, der einerseits stimmtypisch bei ihr ist, aber auch eine skandinavische Eigenheit zu sein scheint (es gibt Töne, die klingen bei Birgit Nilsson fünfundzwanzig Jahre später durchaus nicht unähnlich, und selbst Elisabeth Söderström scheint Flagstad gelegentlich musikalisch verwandt).
In allen drei Aufführungen singt Lauritz Melchior den Tristan – eben jener Singer, der in Furtwänglers später Studioproduktion von 1952 so fehlt (und in der auch Flagstad nicht mehr jene Frische aufbieten kann wie fünfzehn Jahre zuvor). Melchiors Ton, seine Leichtigkeit der Rollengestaltung, ist voller Wärme und heldischem Gestus. Wir hören hier einen Sänger des Expressionismus (wenn man so sagen kann); die expressive Überhöhung verleiht dem legendären Helden eine überzeitliche Aura. Der zweite Akt bietet in der Vereinigung von Flagstad und Melchior musikalisch vollste Beglückung. Brangänes Warnrufe (in betont langsamem Tempo – gerade hier unter Beecham eine denkbar enge Verknüpfung zu der Schlussszene von Delius‘ 'A Village Romeo and Juliet' bildend, für das sich Beecham besonders intensiv eingesetzt hat) ist ein besonderer Höhepunkt. Der Ton, den Melchior für den Schluss des zweiten Aktes findet, sucht in seiner melodischen Heroik seinesgleichen (gleichzeitig betont Beecham immer wieder die Verbindung zu Brünnhildes Todverkündung) – und zur vollkommenen Steigerung erfüllt er die Partie im dritten Akt, nur noch überkränzt von Isoldens Liebestod.
Eine Brangäne der Superlative ist Margarete Klose (18. Juni), selbst wenn auch die Schwedin Karin Branzell (22. Juni) nicht zu unterschätzen ist. Für das Mikrofon scheint Kloses Stimme fast zu groß; ihr warmer Alt mischt sich auf das Schönste mit Flagstads Isolde und Melchiors Tristan, da stören auch ein paar wenige intonatorische Unsauberkeiten nicht. Branzells etwas höherer Alt ist insgesamt etwas dramatischer angelegt als Kloses, gleichzeitig intonatorisch noch etwas unsicherer.
Als Kurwenal können wir Herbert Janssen (18. Juni) und Paul Schöffler (22. Juni) erleben. Beide Sänger könnte man als robust bezeichnen, wobei Janssen zum Bariton tendiert, Schöffler zum Bassbariton. Schöffler ist fraglos der bessere der beiden Rollenexponenten, er ist hier stimmlich bestens aufgelegt und erfüllt seine Partie (soweit dokumentiert) mit Persönlichkeit und Überzeugungskraft (es muss gefragt werden, warum Furtwängler 1952 den fehlbesetzten Dietrich Fischer-Dieskau auf die Partie setzen musste, der doch immer viel eher Melot denn Kurwenal war).
Der König Marke beider Aufführungen ist Sven Nilsson, angemessen erschüttert (mit Träne in der Stimme) in 'Tatest du‘s wirklich'. Nilssons noble Stimme ist warm und springt gut an, doch erschöpft sich seine musikalische Gestaltung etwas im Schöngesang, vorbildlicher Phrasierung und etwas gewollter Rhetorik. Überzeugender wird er im Verlauf seines Solos im zweiten Akt (etwa ab 'kinderlos') und verleiht seinem Part insgesamt ein Gewicht, das weit in den 'Ring' hineinreicht.
Unter den Nebenrollen ist besonders Parry Jones als junger Seemann zu erwähnen – ein Sänger längst auf dem Weg, selbst ein großer Star zu werden, ein Heldentenor gar? Octave Dua ist ein etwas affektierter Hirte.
Das Orchester des Royal Opera House war seinerzeit nicht auf dem Standard, auf dem man es heute allabendlich erleben darf (besonders die Streicher klingen immer wieder ‚rough and ready‘, doch inspiriert Thomas Beecham das Orchester zu einer ungemein dichten und musikalisch reichen Interpretation. Interessant zu hören, wie selbstverständlich es früher war, bei Wagner ein expressives Portamento anzuwenden, das der Interpretation wie auch beispielsweise der damals typische noch stärker nasale, obertonreichere Oboenton. Der Chor unterstützt die Aufführung nach Kräften, doch ohne besonderes Profil.
Beechams Lesart ist eine weniger dramatisch-spannungsvolle denn eine lyrisch-expressive – seine besondere Fähigkeit, die Musik atmen zu lassen und durch scheinbares Lockerlassen der Zügel eine gerade dadurch organisch atmende Gesamtsicht zu erlangen (mit beeindruckenden Steigerungen, besonders zu den Aktschlüssen), kommt hier auf das Schönste zur Geltung.
Die Aufnahmegeräusche überschatten stellenweise die Interpretation, nicht zuletzt weil die Sänger fast zu stark in den Fokus gerückt sind. Es gibt Mitschnitte aus der Zeit, die in der Hinsicht ausgewogener sind, wahrscheinlich waren die EMI-Techniker angewiesen, die Sänger im wahrsten Sinne des Wortes zu präsentieren. Bedenkt man Beechams Fähigkeiten als Orchesterdirigent, so bedauert man das zumeist zu kurz kommende orchestrale Detail, auch wenn man durchaus eigenständige Akzente (im ersten Akt etwa Brangänes erster Gang zu Tristan, bei 'Ich kenn‘ ihn besser' oder im zweiten Akt bei 'Mir dies? Dies, Tristan, mir? ') vernehmen kann.
Man wagt kaum von einem CD-Booklet zu sprechen, vielmehr bieten uns Immortal Performances nicht weniger als zwei Begleithefte, deren erstes einen außerordentlich umfangreichen, durchaus persönlichen Essay des ausführenden Produzenten Richard Caniell enthält. Detailliert wird im zweiten Booklet die Quellenproblematik und ihre Lösung beleuchtet (immer wieder sind ‚Quellwechsel‘ auf den CDs durchaus zu hören, die man aber schnell wieder vergisst angesichts der extraordinären Interpretation) – derart exemplarisch, dass sich nahezu jedes Label mit historischen Aufnahmen hiervon eine dicke Scheibe abschneiden dürfte. Insgesamt ist dies – trotz des teilweise bedenklichen Aufnahmeklanges – ein Must-Have für den Wagner-Conoisseur – nur schade, dass die CDs nicht so weit verbreitet sind und vor allem über die Website des Labels erworben werden können. Aber keine Frage – es lohnt sich.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Wagner, Richard: Tristan und Isolde |
|||
Label: Anzahl Medien: |
Immortal Performances 4 |
Medium:
EAN: |
CD
748252292247 |
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Immortal Performances Immortal Performances returns with new CD releases, this time on its own label. This Canadian-based, federally chartered, non-profit archive has gathered a huge number of historic broadcasts gathered over a 50-year period. Their first 48 albums were released by Naxos, followed with 53 albums by Guild Music. Both companies originally formed their Historical label series in order to release Immortal Performances? restorations. Immortal Performances has spent the past three years searching for the original and finest sources of many historic broadcasts. It has now assembled 48 CD albums of exceptional importance that it proposes to release, the first 8 sets of which are available now. These albums offer the finest sound in the historic-era genre and include extensive notes about the singers, the performance and composer, with biographies and rare production photos. Immortal Performances will continue releasing complete Toscanini broadcasts (1935-1954), exciting recordings from the Metropolitan Opera and European Opera Houses, the Russian Legacy as well as operatic broadcasts in association with Busch Brüder Archiv in Germany and the National Library of Canada. Richard Caniell, its archivist and chief guiding light says, ?I hope our forthcoming releases will corroborate our logos, The Ultimate in Historic Broadcast Recordings.? Mehr Info... |
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