
Respighi, Ottorino - Sämtliche Orchesterwerke
Grob
Label/Verlag: Brilliant classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Von dieser Respighi-Edition sollte man die Finger lassen. Vieles ist grobschlächtig oder nicht präzis, feinere Stimmungen sucht man weitestgehend vergebens.
Die Bemühungen des Labels Brilliant Classics um teilweise auch sehr unbekanntes Repertoire geraten leider immer wieder qualitativ ganz unterschiedlich. Besonders Box-Ausgaben werden, trotz ihres verlockenden Preises, nicht immer dem Objekt der Bemühungen gerecht. Ob dies in musikalischer Wurstigkeit oder wirtschaftlichen Notwendigkeiten begründet liegt, bleibt unklar. So überrascht auch nicht, dass ‚Sämtliche Orchesterwerke‘ Ottorino Respighis keineswegs einer Gesamteinspielung gleichkommen. Um nur einige der fehlenden Werke zu nennen: das Klavierkonzert a-Moll (1902), die 'Variazioni sinfoniche' (1900), 'Preludio, Corale e fuga' (1901), die Suite E-Dur (1901-3), die 'Ouverture carnevalesca' (1913), die Suite 'La boutique fantasque' (1918), die 'Ballata delle Gnomidi' (1920), die 'Belfagor'-Ouvertüre (1924) oder die Ballettsuite 'Belkis, regina di Saba' (1934), gar nicht zu sprechen von den zahlreichen Orchestrierungen von Werken anderer, von denen (in der Box vorhanden) die 'Antiche danze ed arie', 'Gli uccelli' oder 'Rossiniana' Beispiele sind.
‚Römische Trilogie‘
Wie dem auch sei, auf den vorliegenden acht CDs wird weit mehr als nur ein repräsentativer Überblick von Respighis Schaffen geboten, weit mehr als die berühmten, allzu häufig auch in mittelmäßigen Interpretationen vorgelegten 'Römischen Feste', 'Brunnen' und 'Pinien'. Doch auch diese, quasi als Schlager zu bezeichnenden Kompositionen liegen hier vor. Francesco La Vecchia und das erst 2002 gegründete Orchestra Sinfonica di Roma gehen mit Farbensinn und Spielfreude an die Musik heran, bleiben aber im Vergleich zu anderen Interpretationen viel zu brav; im Grunde bleiben sie in den Ansätzen einer Interpretation stecken. Bei den 'Feste Romane' (1928) geraten manche Sätze allzu viereckig, zu sehr ans Metrum gebunden, auch wenn die Effekte des zweiten Satzes insgesamt gut gelungen sind. Im dritten Satz geraten die Triolen weitenteils arg unpräzise. Auch bei den 'Fontane di Roma' (1915-6) wirken La Vecchias Interpretationen nicht selten eher behäbig – bei ihm ist das Brunnenwasser eher dickflüssig, scheint teilweise fast zu versiegen (Schlusssatz). So kommen zwar Respighis Melodien noch besser zur Geltung, doch die besonderen Farbqualitäten treten etwas zurück. Ein regelrechtes ‚Teststück‘ der Trilogie für mich (bislang ansonsten unerreicht) ist der Schlusssatz der 'Pini di Roma' (1923-4): Die steten Paukenschläge (zunächst ppp) müssen zu hören sein, wie ein Echo aus weiter Ferne. Kaum einer hat die spannungsvolle Stimmung auch nur annäherungsweise intensiv ausgelotet wie Toscanini. Auch La Vecchia bleibt hinter solch legendären Einspielungen weit zurück, trotz vielleicht besser ausgeführter Einzelsoli.
'Sinfonia drammatica' und Konzertwerke
Weit entfernt von äußerlichem Klanggeklingel, erfordert die 'Sinfonia drammatica' (1913-4) sinfonisches Denken, große Geste und feines Klanggespür. Was uns hier vorgelegt wird, kann man kaum mehr als eine semiprofessionelle Annäherung bezeichnen – viel zu viele Töne stimmen nicht, das sinfonische Gebäude steht nicht fest, von einer Interpretation im eigentlichen Sinne ist die Darbietung noch weit entfernt. Das ist schade, erweisen doch die Musiker anderswo, dass sie es wenigstens etwas besser können.
Chiara Bertoglio und Désirée Scuccuglia teilen sich die Klavierkonzertwerke, Bertoglio spielt die Toccata (1928), Scuccuglia das 'Concerto in modo misolidio' (1925) und die 'Fantasia slava' (1903). Vielleicht kann man die Toccata als einen Höhepunkt der Edition bezeichnen; Bertoglio scheint die Orchestermusiker und/oder auch den Dirigenten zu inspirieren, auch wenn auch hier immer Orchestertexturen verrutschen, Spielfehler und Unsauberkeiten im Orchester unüberhörbar sind. In der (klanglich teilweise ausgesprochen reizvollen) 'Fantasia slava' gelingen Scuccuglia und dem Orchester immerhin stimmungsvolle Momente; die Pianistin kann hier virtuos brillieren. Leider sind besonders die Streicher allzu häufig unsauber und beeinträchtigen so das Gesamtergebnis immer wieder. Noch stärker überzeugt das 'Concerto in modo misolidio', bei dem sich das Orchester wohler zu fühlen scheint. Feine Klangabschattierungen sind zwar weder Sache der Solistin noch des Orchesters, doch überzeugen so immerhin die Forte-Momente der Komposition.
Vadim Brodsky ist der Solist in den drei Kompositionen für Violine und Orchester. Das 'Poema autumnale' (1925) gerät bei ihm und La Vecchia zur schnulzigen Filmszene, weit entfernt von jedem ‚Herbstgedicht‘. Deutlich mehr scheint Brodsky das 'Concerto all’antica' (1908), und hier beeinträchtigt auch das Orchester weniger den Gesamteindruck, weil ihm nur untergeordnete Begleitfunktion zugeordnet ist. Überraschend erfreulich gerät das 'Concerto gregoriano' (1921), das zumindest in den elegischen Passagen nicht gleich wieder extrem grob gerät. Doch ist der Orchesterklang einfach noch nicht gewachsen genug, hat La Vecchia nicht genügend Probenzeit oder nicht genügend disziplinierte Musiker zur Verfügung, als dass man von einer erstklassigen Interpretation sprechen könnte. Im Mittelsatz wirkt die Einspielung gar wie ein erstes Durchspielen, von musikalisch-intelligenter Ausformung kann noch nicht die Rede sein. Pierre Amoyal und das Orchestra National de France unter Charles Dutoit (auf Decca) zeigen, dass das Werk weitaus mehr zu bieten hat als man in der römischen Einspielung erwarten könnte.
Im Solopart arg wimmernd gerät das 1921 entstandene 'Adagio con variazioni' für Cello und Orchester, der Cellist Andrea Noferini verlässt sich ganz auf sein Vibrato und hofft, dass der geneigte Hörer so auch die vielen anderen unsauberen Töne überhört. Zu einer rechten Qual gerät schließlich das 'Concerto a cinque' (1933): Der Oboist Andrea Tenaglia, der Trompeter Vincenzo Valenti, die Geigerin Chiara Petrucci, der Kontrabassist Maurizio Turriziani und die Pianistin Désirée Scuccuglia schenken sich nichts, sind entweder unerträglich hart oder geraten nahezu unmittelbar ins Kitschige. Wo ist der Dirigent, der derartige Unarten unterbindet? Marcello Viotti hat (für Claves) bewiesen, dass selbst dieses ungewöhnliche Werk ganz eigenen herben Klangreiz aufweist, der weit jenseits der Grobheit liegt.
Orchestrale Nebenwege
Nach der Komposition der 'Sinfonia drammatica' wandte sich Respighi wieder verstärkt Suitenformen oder auch programmatisch inspirierten Werken zu, unter ihnen die ‚römische Trilogie‘, aber auch weiteren, musikalisch wohl noch wertvolleren Kompositionen. Die viersätzige Suite 'Vetrate di chiesa' (Kirchenfenster) von 1925-6 gerät in der vorliegenden Einspielung weitgehend zu äußerlichem Getöse, ohne dass die feinen Klangstrukturen Respighis zur Genüge erkundet werden; zumeist vertraut La Vecchia auf die Macht des Tutti. So überrascht der ruhige dritte Satz umso mehr, in dem er sich im Rahmen der Möglichkeiten auf die Schönheiten der Musik einlässt.
Der 'Trittico botticelliano' (1927) ist ein herrlich farbfrisches Werk, bildet im Grunde zusammen mit den 'Vetrate di chiesa' und den 'Impressioni brasiliane' eine zweite programmgebundene Trilogie. Vor langer Zeit war einmal ein BBC-Mitschnitt mit dem London Symphony Orchestra unter Charles Mackerras erhältlich, das so viel stärker den Geist und Ton der Musik trifft als La Vecchia und sein Orchester. Wo wir einerseits Form- und Farbengespür haben, mangelt es an diesem (und an orchestraler Virtuosität) in der vorliegenden Darbietung weitgehend, kommt keine Stimmung, kein Charme auf, kann der Zuhörer beim besten Willen nicht die Komponistenintentionen nachvollziehen. Wenn das Orchester sauber spielt, spielt es Töne, ist aber noch weit von einem Gespür für die Musik entfernt (vereinzelte solistische Ausnahmen bestätigen die Regel).
Die dreisätzigen 'Impressioni brasiliane' (1928) sind ein herrlich exotistisches Werk, das ein effektvolles Gegenstück zu Rimsky-Korsakovs 'Scheherazade' bilden könnte. Doch auch hier gerät mindestens der langsame Satz nahezu zur Katastrophe; die Streicher vergeigen im wahrsten Sinne des Wortes ihre Chance, so dass selbst das wunderbare Kontrafagottsolo nicht genügend zur Geltung kommt. Vergleicht man das Finale unter La Vecchia mit jenem unter Geoffrey Simon, so glaubt man fast nicht, dass man es mit demselben Werk zu tun hat, bei La Vecchia im schlechten Sinn tentativ, bei Simon schwungvoll, charmant und klanglich imaginativ.
Die 'Metamorphoseon modi XII' (1930), eine Jubiläumskomposition für das Boston Symphony Orchestra, sind ein komplexes Variationenwerk, Arthur Bliss‘ 'Metamorphic Variations' vergleichbar, auch dadurch, dass es sich um ein bedeutendes Spätwerk handelt. Auch hier pauschalieren La Vecchia und sein Orchester die Musik beträchtlich; wer wissen will, was der Komponist gemeint hat, konsultiere die Einspielung unter Geoffrey Simon mit dem Philharmonia Orchestra (auf Chandos).
Adaptionen
Zu den berühmtesten Adaptionen Ottorino Respighis zählt 'La boutique fantasque' (1918, auch als Suite) nach Petitessen von Gioacchino Rossini. Uns wird hier nicht das Original, sondern die viersätzige Suite 'Rossiniana' von 1925 geboten (in einer Gesamteinspielung wäre sicher Platz für beide Werke gewesen). Die römischen Musiker scheinen sich in dieser deskriptiven Musik insgesamt recht wohl zu fühlen, auch wenn die Interpretation in vielen Details nicht ganz exakt ist. Musikalische Gesten bleiben unscharf, Klangmischungen geraten leicht grell oder grob. Besonders schlampig musizieren die Streicher. Bei allem guten Willen dem noch jungen Orchester gegenüber ist hier noch viel optimierungsfähig. Vergleicht man die Interpretation mit der Einspielung unter Ernest Ansermet, scheint man eine andere Komposition zu hören.
Nicht überraschend allzu holzschnittartig geraten auch die 'Antiche danze ed arie per liuto' (1917/23/31). Es gerät zu einer Geduldsprobe, die drei Suiten hintereinander zu hören; die ganze Zeit erhofft man musikalische besondere Lichtblicke, die aber insgesamt leider ausbleiben. Auch die fünfsätzige Suite 'Gli uccelli' (1927) nach barocken Klavierstücken gerät kraftmeierisch mit einem larmoyanten Violinsolo, zu einer Interpretation mit nur wenig Charme – selbst hier lässt die Chandos-Reihe die italienischen Musiker meilenweit hinter sich. Immerhin gerät der Schlusssatz 'Il cucù' zu einem zwar pompösen, aber klanglich wenigstens deutlich überzeugenden Abschluss.
Werke für Streicher
Die Suite g-Moll (1902) ist noch Respighis Frühstil zuzuordnen. Wie zahlreiche der Adaptionen lehnt sich auch diese Komposition an barocke Stilelemente an. Eine Chaconne wird gefolgt von einer Siciliana, einer Gigue, einer Sarabande, einer Burlesca und einem Rigaudon. Das selten zu hörende Stück erfährt hier leider eine ausgesprochen hemdsärmelige Wiedergabe, die Streicher sind grob, scheinen ohne Stilgefühl zu spielen, die besonderen Qualitäten der Musik weder zu verstehen noch umsetzen zu können. Dies ist umso bedauerlicher angesichts der großen Spielfreude der Musiker, die sich mit italienischer Nonchalance ihrer Aufgabe entledigen.
Einer etwas zu lang geratenen Epistelsonate gleich oder als Hommage an Frescobaldi oder Bach kann man die Suite in G für Streicher und Orgel (1901-5) verstehen. Antonio Palcich passt sich dem etwas hemdsärmeligen Spiel des Orchesterkorpus an – von Klangsensationen, die man bei Franck oder später Poulenc kennt, kann man hier nicht einmal träumen, hier ist alles nur laut und grobschlächtig. Bei der Aria bemühen sich die Streicher wenigstens um akzeptable Artikulation (leider spielen die tiefen Streicher an einer Stelle inakzeptabel unsauber), doch bleibt alles merkwürdig weitgehend Respighis eigentlichem Stil fremd.
Insgesamt akzeptabel geraten Aufnahmetechnik und Booklet, doch ohne die Interpretationen besonders unterstützen zu können (gelegentlich quietschende Stühle hätte der Tontechniker auf jeden Fall eliminieren sollen). Insgesamt eine blasse Edition, die durch ihre mangelnde Vollständigkeit selbst keine archivalische Bedeutung für sich beanspruchen kann. Schade um die vertane Chance.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Respighi, Ottorino: Sämtliche Orchesterwerke |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Brilliant classics 8 01.05.2015 |
Medium:
EAN: |
CD
5028421949000 |
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