> > > Brian, Havergal: Sinfonien Nr. 6, 28, 29 & 31
Sonntag, 1. Oktober 2023

Brian, Havergal - Sinfonien Nr. 6, 28, 29 & 31

Profilierte Stimme


Label/Verlag: Naxos
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Diese Produktion ist eine wichtige Ergänzung der Brian-Diskografie, wenn auch nicht unbedingt die erste für Einsteiger zu empfehlende CD.

Endlich wird die Naxos-Reihe der Sinfonien Havergal Brians fortgeführt. Zum zweiten Mal ist Alexander Walker mit dem New Russia State Symphony Orchestra am Werk, die schon 2013 die Sinfonien 22–24 sowie die erste 'English Suite' vorgelegt haben. Nun also vier weitere Sinfonien des ‚Vielschreibers‘ Havergal Brian (1876–1972), der nach seinem achtzigsten Geburtstag nicht weniger als 21 Sinfonien schuf. Mittlerweile haben andere Komponisten Brian bei diesem lange gehaltenen Rekord abgelöst, doch umgekehrt hat Brians Musik andererseits durchaus eine Art Durchbruch erlangt (obschon sie im Konzertsaal immer noch Mangelware ist).

Von den hier vorgelegten Sinfonien sind zwei Tonträgerpremieren (auf dem grauen Markt gab es BBC-Mitschnitte unter fingierten Namen, die Website der Havergal Brian Society informiert detailliert hierüber), die 1967 entstandenen Sinfonien 28 und 29. Beide Werke sind durchkomponiert mit vier klar definierten Abschnitten, vom Umfang aber sind sie durchaus unterschiedlich. Die 28. Sinfonie (auch Sinfonia c-Moll genannt) dauert in der vorliegenden Einspielung 14 Minuten; sie beginnt als ‚Divertimento‘, als ein eher relaxtes, spielfreudiges Werk mit interessanten polytonalen Elementen. Brian erweist einmal mehr, dass er ein brillanter Orchestrator war, kongenial umgesetzt durch das New Russia State Symphony Orchestra. Brian ist kein Komponist, von dem man eine regelkonforme Umsetzung des Beethoven’schen Sinfoniekonzepts erwarten darf, der zweite Abschnitt entwickelt sich von einem menuettartigen Charakter zu einer komplexen polytonalen Struktur, und auch der zunächst nachgerade linear ausgerichtete dritte Satz verlässt die scheinbar einfache Gestalt zugunsten komplexer Harmonien und Texturen, ehe das Finale (mit elf Schlagzeugern und insgesamt sechs Trompeten) das Werk nach einem letzten Aufbäumen zu einem überraschend ruhigen Ende führt.

Die 23-minütige Sinfonie Nr. 29 in Es-Dur (seinerzeit von niemand Geringerem als dem 19-jährigen Leopold Stokowski uraufgeführt) bietet dem ersten Anschein nach weniger extreme Ausbrüche, gerät aber, wie für den Komponisten durchaus typisch, ebenfalls schon bald nach Beginn in komplexe harmonische Gefilde. Immer wieder gibt es kurze ruhigere Momente, die kontrapunktische Aspekte besonders herausstellen. Hier allerdings hört der aufmerksame Hörer kleine Augenblicke der Imperfektion der Interpretation; das Orchester ist nicht ganz so perfekt aufeinander eingespielt wie ansonsten zumeist. Dies ist ein Erkennungsmerkmal diverser Folgen der Naxos-Reihe: Das Orchesterspiel ist immer kompetent, doch gelegentlich nicht bis in den letzten Winkel inspiriert. Was gleichwohl besonders positiv auffällt, ist die Tatsache, dass das Aufführungsmaterial, aus der das Orchester spielen kann, offenbar nahezu fehlerfrei ist – insbesondere in den ersten Folgen der Reihe (besonders auffallend bei der Sinfonie Nr. 2) waren die Musiker nicht selten in den Aufnahmesitzungen mit dringend erforderlichen Korrekturen des Stimmenmaterials beschäftigt, was zu Lasten der Interpretation ging.

Alexander Walker versteht Brians Stil in der erforderlichen Tiefe, kann so auch zu Momenten größter Wärme und Intimität gelangen (langsamer Satz), ehe der Komponist durch exponierte Instrumentierung diese bald wieder bricht. Charmant gerät Walkers Darbietung des teilweise walzerartigen Scherzos mit besinnlichem Trio, ehe ein fast neoklassisch beginnendes, sich in der Komplexität stetig steigerndes Finale das Werk auf einer mysteriösen Note beendet.

Ein Klassiker der Brian-Diskografie ist die 'Sinfonia Tragica' von 1947-8, der Brian in den 1960er-Jahren die Zählung als Sinfonie Nr. 6 zuwies. Das Werk entstand ursprünglich als Vorspiel zu John Millington Synges ‚Deirdre of the Sorrows‘, einem schlussendlich unausgeführten Opernplan. Legendär ist die Einspielung mit dem London Philharmonic Orchestra unter der Leitung von Myer Fredman (1932–2014), der sich durch zahlreiche Brian-Erstaufführungen profilierte, die 1973 (2008 auf CD) für das Label Lyrita entstand (kurz zuvor hatte Fredman auch eine Studioproduktion für die BBC eingespielt). Die 'Sinfonia Tragica' gilt als eine der eingängigsten Sinfonien Brians, sie ist (wie viele folgende Sinfonien) einsätzig bei einer Dauer von gut 19 Minuten. Das New Russia State Symphony Orchestra bietet eine äußerst stimmungsvolle Interpretation der anspruchsvollen Komposition, die Brians Ruf als immer nur lärmend-laut-komplizierter Sinfoniker Lügen straft. Viele expressive Linien lassen den Hörer tief in Synges Drama eintauchen, ehe ein lebhafter Schlussabschnitt (mit typischen Tutti-Trillern) auf die anderen Werke auf der CD vorbereitet.

1968 entstand die ebenfalls einsätzige 13-minütige 31. Sinfonie (1979 durch Charles Mackerras für die BBC aus der Taufe gehoben und 1987 durch ihn in Liverpool für die EMI eingespielt). Die vorliegende Einspielung spielt die polyphonen Strukturen der Musik herrlich aus, die Aufnahmetechnik lässt das raffinierte Werk in all seiner Brillanz und in seinen dramatischen Steigerungen zum Zuge kommen.

Der (nur englische) Booklettext von John Pickard erkundet die Werke in der gebührenden Tiefe (nur fehlt leider die Nennung der Uraufführungsdaten). Insgesamt eine wichtige Ergänzung der Brian-Diskografie, wenn auch nicht unbedingt die erste für Einsteiger zu empfehlende CD.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Brian, Havergal: Sinfonien Nr. 6, 28, 29 & 31

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Naxos
1
04.05.2015
Medium:
EAN:

CD
747313340873


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Naxos

Als der Unternehmer Klaus Heymann 1982 für seine Frau, die Geigerin Takako Nishizaki in Hongkong das Plattenlabel Marco Polo gründete, war dies der Beginn einer beispiellosen Erfolgsgeschichte. Fünf Jahre später rief Heymann das Label NAXOS ins Leben, das in der Klassikwelt längst zur festen Größe geworden ist und es bis heute versteht, hohe Qualität zu günstigen Preisen anzubieten. Der einzigartige und sich ständig erweiternde Katalog des Labels umfasst mittlerweile über 8.000 CDs mit mehr als 130.000 Titeln - von Kostbarkeiten der Alten Musik über sämtliche berühmten "Klassiker" bis hin zu Schlüsselwerken des 21. Jahrhunderts. Dabei wird der Klassik-Neuling ebenso fündig wie der Klassikliebhaber oder -sammler. International bekannte Künstler wie das Kodály Quartet, die Geigerin Tianwa Yang, der Pianist Eldar Nebolsin und die Dirigenten Marin Alsop, Antoni Wit, Leonard Slatkin und Jun Märkl werden von NAXOS betreut. Darüber hinaus setzt NAXOS modernste Aufnahmetechniken ein, um höchste Klangqualität bei seinen Produktionen zu erreichen und ist Vorreiter in der Produktion von hochauflösenden Blu-ray Audios - Grund genug für das renommierte britische Fachmagazin "Gramophone", NAXOS zum "Label of the Year" 2005 zu küren. Auch im digitalen Bereich nimmt NAXOS eine Vorreiterrolle ein: Bereits seit 2004 bietet das Label mit der NAXOS MUSIC LIBRARY ein eigenes Streamingportal mit inzwischen über 1 Million Titel an und unterhält mit ClassicsOnline zudem einen eigenen Download-Shop.


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