
Elgar, Edward - The Dream of Gerontius
Passender Nachruf
Label/Verlag: Profil - Edition Günter Hänssler
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Der Mitschnitt von Elgars 'Dream of Gerontius' zeigt Sir Colin Davis als feinfühligen, innigen Deuter. Die Sächsische Staatskapelle und der Staatsopernchor folgen ihm mit geradezu liebevoller Intensität.
Immer wieder hat sich Sir Colin Davis mit der Musik Edward Elgars auseinandergesetzt. Schon in den 1960er-Jahren entstanden für Philips mit dem London Symphony Orchestra Einspielungen der Ersten Sinfonie und der 'Enigma Variations', 1985 eine weitere der Ersten Sinfonie mit dem BBC Symphony Orchestra für RCA und ab 2001 gefolgt durch eine ganze Reihe von Live-Aufnahmen, abermals mit dem London Symphony Orchestra (u.a. 'Enigma Variations', Sinfonien 1–3, 'The Dream of Gerontius', für LSO Live), außerdem eine Studioproduktion des Violinkonzerts (mit Hilary Hahn, für Deutsche Grammophon). Auch in Deutschland hat sich Davis regelmäßig mit Elgars Schaffen befasst, aus München liegen das Violinkonzert (für RCA) und die 'Enigma Variations' vor (für BR-Klassik), aus Dresden das Violinkonzert (für RCA), die Erste Sinfonie (als erste Folge der Edition Staatskapelle Dresden) und nun nochmals das Oratorium 'The Dream of Gerontius' vor. Dabei ist Davis immer im Schatten anderer ‚Elgarianer‘ geblieben. Vielleicht weil von ihm offenbar (bislang?) beispielsweise keine Einspielung des Cellokonzerts vorliegt?
Am Palmsonntag 2010, gut vier Jahre nach dem Londoner Mitschnitt (der auch auf SACD erschienen ist) und kaum drei Monate vor Davis‘ Tod, wurde die vorliegende Produktion des 1900 entstandenen katholischen Oratoriums 'The Dream of Gerontius' in Dresden mitgeschnitten. Die Interpretation hat große Tiefe und dramatische Dichte. Schon die ersten Takte berühren zutiefst, und es ist eine angemessene Entscheidung, diese zutiefst persönliche Interpretation dem wichtigen Dirigenten als eine Art Nachruf zu widmen. Davis dirigiert die Staatskapelle Dresden mit großer Wärme, man möchte fast sagen Altersweisheit, das Orchester reagiert mit größtmöglicher Differenziertheit. Die Ernsthaftigkeit, die die Interpretation ausstrahlt, hat nicht nur mit dem Aufführungsanlass zu tun, sondern auch mit Davis‘ Verständnis von der Musik Elgars – sowohl von der Auswahl der von ihm dirigierten Werke als auch dem interpretatorischen Zugang an sich. Eine große Liebe zu der Musik spiegelt sich in Davis‘ Lesart. Wo andere herunterhetzen, vertraut Davis ganz auf die Macht der Musik. Sein Zugang ist jenem von Sir John Barbirolli verwandt, der Elgar eher rhapsodisch denn symphonisch-dramatisch dirigiert (und es ist eben diese Qualität, die die Elgar-Rezeption in zwei Lager teilt, grob gesagt ein symphonisch-dramatisches und ein episch-rhapsodisches. Zum Verständnis der Musik sind beide Aspekte wichtig.
Die heimliche Hauptrolle des Werks übernimmt ohne Frage der Dresdner Staatsopernchor, dessen Feingefühl exemplarisch ist. Nicht dass man immer versteht, was er singt – entweder liegt dies an der Aufnahmetechnik oder an der Artikulationssorgfalt –, doch vermittelt er in großer Intensität die Stimmung der Musik, trägt Elgar ganz ohne Frage ins Katholisch-Religiöse, bietet sorgsam gestaffelte Steigerungen und bleibt immer homogen-klanglich ausgewogen. Jene Qualitäten, die etwa Davis‘ Brahms-Interpretationen auszeichnen, die sprechende Artikulation, die delikate Phrasierung, die differenzierte Dynamik, sie alle sind auch hier anzutreffen, zum großen Vorteil der Musik.
Die heikle Titelrolle ist dem amerikanischen Tenor Paul Groves anvertraut, der die Partie auch unter Mark Elder in Manchester aufgenommen hat. Groves ist wohl nicht der beste Interpret der Partie – Anthony Rolfe Johnson, Peter Pears oder Richard Lewis haben den schwierig zu treffenden Ton ‚zwischen Leben und Tod‘ teilweise um vieles besser getroffen, teilweise durch das genuine Stimmtimbre, teilweise durch vokale Reife. Groves‘ Stimme klingt vor allem etwas abgesungen – etwas heldisch ‚metallisiert‘, gleichzeitig auch rauh, in der Höhe etwas stumpf. Ein wenig ähnelt er Werner Hollweg und Peter Pears.
Die weiteren beiden Solopartien sind diesen Leistungen stark subordiniert. Sarah Connolly, die für Chandos dieselben Partien unter Sir Andrew Davis (nicht verwandt und verschwägert) im Studio gesungen hat, ist ein wohlstimmiger Engel; sie kann nicht ganz an die legendäre Janet Baker heranreichen, auch wenn ihr 'Softly and gently' zutiefst empfunden, zu Herzen gehend dargeboten wird. Der junge kanadische Bariton John Relyea gibt sein Tonträgerdebüt als Elgar-Sänger. Der Sänger, der in London unter Colin Davis in Verdis Requiem und Berlioz‘ 'Benvenuto Cellini' mitgewirkt hat, dazu unter Charles Mackerras in Mozart-Opern, unter Simon Rattle in Mahlers Achter und regelmäßig an den Opernhäusern in London und New York zu erleben ist, entledigt sich seiner beiden kurzen Soli als Priester und ‚Angel of the Agony‘ mit Pathos, tiefem Bemühen und leider schon allzu viel ‚Wobble‘.
Das umfängliche Booklet würdigt den Ehrendirigenten der Staatskapelle in großer, für manchen Geschmack vielleicht zu großer Ausführlichkeit. Insbesondere die Ausführungen zum Werk selbst fallen qualitativ etwas ab; und dass im Libretto (leider wurde keine zeitgenössische Übersetzung abgedruckt, sondern offenbar eine neue in Auftrag gegeben) Trackhinweise fehlen, ist mehr als nur ein Ärgernis.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Elgar, Edward: The Dream of Gerontius |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Profil - Edition Günter Hänssler 2 23.02.2015 |
Medium:
EAN: |
CD
881488120172 |
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