
Stokowski, Leopold - Werke von Britten, Enescu, Debussy u.a.
Glutvoll
Label/Verlag: Guild
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Diese Zusammenstellung zeigt Leopold Stokowski als mitreißenden Dirigenten, der den Werken zu glühender Intensität verhilft.
Lange bevor er der experimentelle Dirigent der High Fidelity war (mehr fast noch als Herbert von Karajan), war Leopold Stokowski (1882–1977) ein experimenteller Dirigent von Novitäten, von Repertoireaußenseitern, von dramatischen, auch überraschenden Programmerweiterungen. Zahlreiche Uraufführungen gehen auf sein Konto, nicht selten von Werken, die späterhin, nicht zuletzt durch seine fehlende energische Fürsprache, für mehr oder weniger lange Zeit aus dem Konzertleben verschwunden sind. Die vorliegende CD bietet Aufführungen Stokowskis mit dem Philharmonic-Symphony Orchestra of New York (dies lange der Name des heute gemeinhin New York Philharmonic genannten Orchesters) aus den Jahren 1947 (13. und 20. Februar sowie 25. Oktober) und 1949 (27. November – das Booklet scheint gelegentlich Aufführungsmitschnitte und Studioproduktionen nicht ganz sauber voneinander zu trennen). Entsprechend ist die Tonqualität teilweise nicht ganz optimal, aber was Peter Reynolds aus den historischen Bändern gezaubert hat, kann sich dennoch ohne Frage hören lassen.
Da haben wir einerseits George Enescus erste Rumänische Rhapsodie op. 11 Nr. 1 und Borodins 'Polowetzer Tänze', Musik, die seinerzeit regelmäßig in Matineekonzerten zu hören war. Der Enescu erfährt einen ungeheuer lebensvollen Zugriff, voller Glut und Spielfreude. Man hat den Eindruck, die einzelnen Solisten und Instrumentengruppen wollen einander in Sachen Energie übertrumpfen. Ein typisches Stück für den Dirigenten, der eindeutig wichtiges Vorbild für Leonard Bernstein war. Den Auszug aus Borodins Oper 'Fürst Igor' hören wir in einer Einrichtung des Dirigenten (auch sonst handelt es sich bei Konzertwiedergaben um Einrichtungen der einen oder anderen Art, nicht zuletzt da Borodin selbst seine Oper nicht in eine endgültige Form brachte). Stokowski nähert Borodin Paul Dukas‘ 'Zauberlehrling' an, ohne dem Idiom Gewalt anzutun – das Ergebnis ist ein charmantes exotisches Stimmungsbild voller leidenschaftlicher Wärme, in beeindruckender steter Steigerung (kurze Momente des neuen Kraftschöpfens nicht ausgenommen). In Stokowskis Auslegung wird vollends klar, wie viel Strawinsky seinen russischen Vorgängern verdankt, der 'Sacre' natürliche Konsequenz der Tänze aus 'Fürst Igor' ist. Eine Stokowski-Orchestrierung ist Claude Debussys 'La cathédrale engloutie' aus den Préludes für Klavier. Stokowski nähert das Stück im Beginn 'La mer' an, steigert es dann grandios in Richtung von Ravels Orchestrierung von Mussorgskis 'Bilder einer Ausstellung'. Leider beeinträchtigt hier die Aufnahme- (oder Überlieferungs-)qualität etwas die Wirkung der Interpretation.
Der Ruhm der amerikanischen Komponistin Marion Bauer (1882–1955) ist heute lange verblichen, ihre Tondichtung 'Sun Splendor' op. 19c (1936-47) erlebte vermutlich unter Stokowski ihre (hier zu hörende Weltpremiere, leider auch in etwas beeinträchtigter Überlieferungsqualität). Bauer nimmt eine wichtige Position zwischen der Generation eines John Knowles Paine oder Charles Martin Loeffler einerseits und einem Samuel Barber, Aaron Copland, Howard Hanson, David Diamond oder Alan Hovhaness einerseits ein, und es kann gut sein, dass Stokowskis engagierte Interpretation der Musik besonderes Leben einhaucht (auch andere amerikanische Komponisten brauchen im Grunde diesen engagierten Zugriff, um nicht spannungslos oder langweilig zu klingen). Ganz ohne Frage eine exemplarische Wiedergabe (wie dem Booklet zu entnehmen, musste Stokowski selbst noch einige Orchesterstimmen ausschreiben, um die Komposition überhaupt aufführen zu können).
Wer moderne Einspielungen von Benjamin Brittens Klavierkonzert op. 13 (1942, rev. 1946) kennt, wird Stokowskis amerikanischer Rundfunkpremiere mit dem amerikanischen Pianist Jacques Abram (1919–1998) zahlreiche neue Facetten abgewinnen können. Auch hier ist Stokowskis Exuberanz mitreißend. Man hat das Gefühl, eine gänzlich andere Komposition zu erleben als in vielen anderen Aufnahmen. Abram mag nicht die pianistische Raffinesse diverser seiner Nachfolger haben, das Orchester nicht ganz so delikat eingefangen sein, doch die Energie und Kraft des Werks ist selten so kongenial vermittelt worden wie hier. Interessanterweise wird durch diese Einspielung in einigen Momenten nicht zuletzt auch die Nähe zu der Musik des (ebenfalls homosexuellen) französischen Komponisten Francis Poulenc offenbar.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Stokowski, Leopold: Werke von Britten, Enescu, Debussy u.a. |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Guild 1 08.04.2015 |
Medium:
EAN: |
CD
795754241921 |
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Guild Guild entstand in den frühen Achtzigerjahren auf Initiative des berühmten englischen Chorleiters Barry Rose, der den St Paul's Cathedral Choir in London leitete. Der Name hat nichts mit der nahe gelegenen Londoner Guild Hall zu tun, sondern kommt von Barry Roses erstem Chor, dem Guildford Cathedral Choir. Das frühere Logo (ein grosses G) entstand indem Barry Rose kurzerhand eine Teetasse umstülpte und mit einem Bleistift ihrem Rand bis zum Henkel entlang fuhr. Seit 2002 hat die Firma als Guild GmbH ihren Sitz in der Schweiz, in Ramsen bei Stein am Rhein. Mehr Info... |
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