> > > Sampson, Carolyn: Fleurs
Montag, 2. Oktober 2023

Sampson, Carolyn - Fleurs

Besser poetisch


Label/Verlag: BIS Records
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Das Blumenlieder-Konzept von Carolyn Sampsons erster reinen Lieder-Aufnahme überzeugt nicht restlos, doch ihre Gestaltung ist entzückend, vor allem bei Schumann und im französischen Repertoire.

Mit großem Stolz präsentiert Carolyn Sampson ihre erste Recital-CD. Diese Aussage kann nur überraschen, liegen doch seit langem Solo-CDs von der Sopranistin in unterschiedlicher Konstellation vor – ob Lautenlieder, Opernarien oder geistliche Solokantaten. Mit Joseph Middleton an ihrer Seite liegt nun aber in der Tat ihre erste Lieder-CD vor. Nun muss ich gestehen, dass mir der Name Joseph Middleton neu war – doch scheint er laut seiner Website Liedsänger zu ‚sammeln‘, leitet zwei Liedkurse in Leeds und Cambridge, lehrt an der Royal Academy of Music und so weiter und so fort. Mit viel wirklich unbekanntem Repertoire hat er sich auf dem Tonträgermarkt bislang noch nicht profiliert, am interessantesten ist vielleicht eine spanische Liederplatte mit Clara Mouriz und eine Thuille-CD, beide auf Champs Hill. Die vorliegende SACD versammelt eine lose Auswahl von Blumen-Liedern in vier Sprachen, allesamt keine Plattenpremieren; andere Pianisten sind bei entsprechender Thematik deutlich imaginativer.

Grob kann man das Programm in drei Gruppen einteilen: englische, französische und deutsche Lieder. Die auf der SACD vorliegende thematische Gruppierung (‚What’s in a name?‘ (Rosenlieder) / ‚Strauss’s Flowermaidens‘ / ‚When blooms speak‘ / ‚Un bouquet français‘) funktioniert nach Meinung des Rezensenten deutlich schlechter, erweist aber, welches Repertoire die Musiker kennen (wohl vor allem Middleton, dessen Beratung bei der Programmgestaltung Sampson ausdrücklich hervorhebt). Deutschsprachige Lieder sind repräsentiert durch Strauss und Schumann (jeweils fünf Lieder) sowie Schubert (zwei Lieder) – eine denkbar unrepräsentative Auswahl. Mit immer noch jugendlich silbrigem, mittlerweile etwas vibratoreicherem Ton artikuliert, phrasiert und dynamisiert Sampson vorbildlich, ihr Pianist ist ein ihr völlig ebenbürtiger Poet am Klavier.

Schumanns 'Röselein, Röselein' op. 89 Nr. 6 beginnt unbegleitet im unangenehmen Abwärtsintervall piano bzw. pianissimo – Beweis (wenn man ihn bräuchte) für Sampsons große Kunst, die an Barbara Bonney oder Helen Donath erinnert. Die Vielfalt der Dynamik- und Klangfarbenschattierungen Sampsons, auf durchaus eigene Art auch durch Middleton am Steinway Grand D (!) gespiegelt, ist außerordentlich beeindruckend und spricht auch für die herausragende BIS-SACD-Aufnahmetechnik. Bei den beiden Schubert-Liedern ('Die Blumensprache' D 519 und 'Im Haine' op. 56/3 D 738) werden Sampson und Middleton lebhafter – auch dies mit großer Ausdrucksspannweite, aber nicht ganz auf dem Niveau der Schumann-Interpretationen. Bei den Strauss-Vertonungen schließlich nutzt Middleton den ganzen Steinway-Ton und verwandelt die intimen Miniaturen zu teilweise recht pompösen Pracht-Gebilden – so ist das Gesamtkonzept der Lieder denn auch nicht ganz durchdacht; da ist etwa Alfred Poell (mit dem keineswegs notensicheren Komponisten am Flügel) bei 'Das Rosenband' op. 36 Nr. 1 deutlich unmittelbarer in der Wirkung. Auch bei den vier 'Mädchenblumen'-Liedern op.  22 mangelt es Sampson und Middleton an direktem Gestaltungswillen – die kleinen Stücke geraten mehr zu veritablen Kunstwerken denn zu echten Gefühlsausdrücken.

Deutlich kleiner (nur drei Gesänge) ist die Gruppe der englischen Lieder. Nur Purcell/Britten, Quilter und Britten erhellen gleichfalls kaum das weite vielfältige Liedspektrum weder der Zeiten noch der musikalischen Möglichkeiten. Dem Kunstausdruck weitaus stärker gerecht werden Sampson und Middleton in Purcells 'Sweeter than Roses' in Benjamin Brittens Realisation. Das ist Barockmusik im besten Sinne transportiert ins 20. Jahrhundert, dargeboten durch zwei hochkarätige Musiker, die diesen Aspekte mit höchster Kunst zu vollem Recht verhelfen. Über das Ergebnis kann man diskutieren (in meinen Ohren ist Michael Tippetts Realisation überzeugender als Brittens), aber nicht über die Interpretation, diese ist schlicht stupend. Ähnlich überzeugend gerät 'The Nightingale and the Rose' aus Brittens 'The Poet’s Echo' – hier funktioniert auch die dramatische Attacke besser. In Roger Quilters 'Damask Roses' (aus den 'Seven Elizabethan Lyrics') gerät Sampsons und Middletons Interpretation abermals etwas prätentiös: ‚Kunstvolle‘ Lieder scheinen den Musikern deutlich noch besser zu liegen als eher schlicht-unmittelbar wirksame Schöpfungen.

Neun Lieder von nicht weniger als sieben Komponisten bietet ein ausgesprochen großes Spektrum französischer Lieder. 'Le temps des roses' von Charles Gounod schlägt musikalisch den Bogen zu Schumann und beweist einmal mehr, wie kongenial britische Sängerinnen französische Liedkunst interpretieren können. In Gabriel Faurés 'Les roses d’Ispahan' op. 39 Nr. 4 bieten beiden Musikern auch jene Innigkeit, an der es ihnen bei Schubert eher mangelt; nicht ganz so gut gelingt 'Le papillon et la fleur', während 'Fleur jetée' eindeutig den dramatischen Höhepunkt der Fauré-Trilogie bildet. In Reynaldo Hahns 'Offrande' ist Susan Bickley noch fokussierter als Sampson. Francis Poulencs 'Fleurs' (das der Platte den Namen gab) gerät bei den beiden Interpreten zu einer wunderbaren lyrischen Oase, in der man sich gänzlich vergessen kann, wenn auch nicht mit ganz dem emotionalen Verströmen einer Arleen Augér. Ein Meisterwerk ist Lili Boulangers 'Les lilas qui avaient fleuri' – nicht nur wegen Sampsons makelloser Linienführung (was für eine Höhensicherheit!) und feinen Dynamisierung (wäre vielleicht die Mélisande einmal eine Opernrolle für die Sängerin?), sondern auch wegen der außerordentlichen Klangvielfalt, die Middleton beisteuert. Eine Art Zugabe ist Emmanuel Chabriers 'Toutes les fleurs! ', das den Hörer äußerst befriedigt zurücklässt. Man wünscht sich mehr Liedaufnahmen Sampsons, vielleicht besonders im französischen Bereich oder ein reines Schumann-Programm.

Der Booklettext, den die Interpreten leider nicht selbst verfasst haben, scheitert schlussendlich am nahezu Unmöglichen, nämlich dem denn doch nicht ganz zu Ende gedachten Programm einen echten roten Faden zu verleihen. Genießt man stattdessen die SACD in Dosen oder in eigener Programmierung, so ist dies ein zu vernachlässigender Kritikpunkt.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Sampson, Carolyn: Fleurs

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
BIS Records
1
04.02.2015
Medium:
EAN:

SACD
7318599921020


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BIS Records

Most record labels begin with a need to fill a niche. When Robert von Bahr founded BIS in 1973, he seems to have found any number of musical niches to fill. The first year's releases included music from the renaissance, Telemann on period instruments, Birgit Nilsson singing Sibelius and works by 29 living composers - Ligeti and Britten as well as Rautavaara and Sallinen - next to Purcell, Mussorgsky and Richard Strauss. A musical chameleon was born, a label that meant different things to different - and usually passionate - devotees.


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