
Sawallisch, Wolfgang - Don Giovanni
Aus der Schatztruhe
Label/Verlag: ORFEO
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Dieser 'Don Giovanni' aus dem Jahr 1973 geistert schon lange unter der Hand weitergereicht durch die Reihen der Mozart-Liebhaber. Endlich ist der Mitschnitt in einer ordentlichen Edition erschienen.
Lange war der vorliegende Mitschnitt aus der Bayerischen Staatsoper vom 12. Juli 1973 allerhöchstens (in Mono) auf dem sogenannten Grauen Markt erhältlich, in deutlich beeinträchtigter Tonqualität (zwei Schnipsel hatten Orfeo schon 2003 auf einer Lucia Popp-Recital-CD veröffentlicht). Nun – endlich, und ein tiefes Seufzen begleitet dieses Wort – die autorisierte Ausgabe, die so mal eben selbst die legendäre Pariser Produktion von 1975 unter Sir Georg Solti (ebenfalls nur auf dem Grauen Markt erhältlich) vergessen lässt. Was für ein Verständnis für Mozart von allen Seiten, was für ein Dirigat (für die damalige Zeit), was für Stimmen! Günther Rennerts Neuinszenierung für die Münchner Opernfestspiele 1973 galt damals als vorbildlich, die musikalische Seite galt als nicht überbietbar. Nach Nicolai Ghiaurov, der seit Mitte der 1960er-Jahre als legitimer Nachfolger Cesare Siepis als ‚Bass-Giovanni’ weltweit gefragt war, trat spätestens mit der hier präsentierten Produktion der damals noch nicht 32-jährige Ruggero Raimondi ins öffentliche Bewusstsein. Blendend aussehend und von beeindruckender Bühnenpräsenz, galt seine Stimme in seinen ersten Jahren gelegentlich als zu schönklingend, doch nicht ohne Grund besetzte Lorin Maazel 1978 seine Pariser Studioproduktion mit dem Künstler, der sich in der Partie mittlerweile einige Routine hatte aneignen können. Auch schon 1973 reißt sein warmer, viriler Bassbariton mit, macht auch rein musikalisch den spanischen Schwerenöter intensiv lebendig, wirkt wie eine Art betörend süßes Gift. Die intensive szenische Einstudierung macht sich auch in der musikalischen Interpretation ausgesprochen positiv bemerkbar – da gibt es keine einzige belanglose oder aus der Rolle fallende Phrase, aller Ausdruck ist dem Werk eingeordnet.
Don Giovannis unmittelbarer Gegenpart ist Stafford Dean, der damalige Leporello vom Dienst, ob in Glyndebourne (auch auf DVD), Köln oder Edinburgh (in einem Studio-Querschnitt unter Alexander Gibson). Dean, der wegen seiner wenig charismatischen Bassstimme nur auf wenigen Opernproduktionen eingesetzt wurde (immerhin aber in 'Idomeneo' unter Colin Davis, 'Otello' unter Georg Solti, Händels 'Saul' unter Charles Mackerras oder Verdis 'Lex vêpres siciliennes' unter Mario Rossi), wäre heute weit mehr als nur ein geduldeter Utilité, der darstellerisch die Rolle in jeder Facette meistert – heute wäre er ein umjubelter Star, der auch vokal durchaus herausstechen würde. Denn eins ist klar: Zwischen Walter Berry bzw. Geraint Evans und José van Dam war Dean sicher einer der profiliertesten Leporellos seiner Zeit. Auch der Commendatore vom Dienst wurde aufgeboten, Kurt Moll, der auch Georg Soltis erste Wahl sein sollte (in Paris wie in London gleichermaßen); hier überzeugt er noch stärker als im Studio, da sein Italienisch immer des Inputs von außen bedurfte, um nicht allzu unidiomatisch zu klingen. Aber was für eine Stimmkultur, was für ein Legato – ein echter Herr, nicht die allzu häufig verkniffenen, nicht selten eher zu kurz gekommenen Charakterbässe, die für die undankbare Partie heute gerne verpflichtet werden. Als Ottavio erleben wir einen überraschend heldischen Tenor. Hermann Winkler hatte im Jahr zuvor in der Rolle in München debütiert und gab hier und auch in Salzburg mit großem Erfolg den Idomeneo. Winkler, dem Sawallisch nur die Arie im zweiten Akt lässt (im ersten Akt fehlt ihm sogar das Rezitativ nach 'Or sai chi l’onore') ist in der Höhe ein wenig eng, sein Italienisch etwas zu hart, dafür phrasiert er ganz vorbildlich und ist auch in Sachen Koloraturen kein Reinfall. Der Bariton Enrico Fissore, der sich vornehmlich im italienischen Buffa- und Belcanto-Repertoire profilierte, ist rhetorisch drastisch, rein vokal etwas dünn (was für ein Unterschied gegenüber Rolando Panerai, Walter Berry oder in neuerer Zeit Gerald Finley oder Bryn Terfel).
Das Damentrio ist nicht minder exemplarisch besetzt. Julia Varady war, das wissen wir auch aus Rafael Kubelíks Studioproduktion der Oper, die Elvira der Träume. Ihr 'Ah fuggi il traditor', so kurz es ist, ist dynamisch fast noch feiner ausschattiert als unter Kubelik 1985; gleichzeitig scheint ihre Stimme aber etwas problematisch eingefangen (oder die alten Rundfunkbänder haben etwas zu arg gelitten). Varadys herausragende Leistung wird gekrönt durch ihr 'Mi tradì quell’alma ingrata', eine Arie, die eigentlich in die hier ansonsten vorgelegte Prager Fassung der Oper gar nicht hingehörte. Margaret Price war Soltis erste Wahl für die Donna Anna, und rein vokal ist sie auch hier eine Mozart-Sängerin hoher Grade, wenn auch sowohl ihre Textverständlichkeit als auch ihre Koloraturfähigkeit noch optimierungsfähig gewesen wären; außerdem benötigt ihre Stimme immer wieder zu lange zum Einschwingen, sodass sie dadurch ihre Einsätze verzögert und hinter dem Tempo hersingt. Über die Fähigkeiten von Lucia Popp (Zerlina) brauchen wir kaum mehr Worte zu verlieren. Hier ist sie bestens in Form, ob im Ensemble oder in ihren Arien. Ihr darstellerischer Charme spiegelt sich auf das Schönste auch in der vokalen Komponente.
Chor und Orchester der Bayerischen Staatsoper (der Continuocembalist ist im Booklet nicht genannt) bieten für einen Mitschnitt der damaligen Zeit eine tadellose Leistung. Der Stereo-Aufnahmeklang ist zwar nicht durchgängig gleichermaßen trennscharf, was wohl an der Qualität der Aufnahmebänder liegt, doch bleibt die vorliegende Aufführung, nicht zuletzt was die Einzelleistungen und ihre Gesamtheit gleichermaßen angeht, qualitativ ein Meilenstein der Interpretation des 'Don Giovanni' und überragt Colin Davis‘ und Daniel Barenboims Londoner Studioproduktionen desselben Jahres in nahezu allen Rollen mit Leichtigkeit. Sawallisch, ein Kapellmeister im besten Sinn des Wortes, dient der Oper auf vorbildliche Weise, drängt sich nicht in den Vordergrund, sondern findet immer den rechten Puls, den echten ‚Mozart-Ton’. Leider ist von seinen Mozart-Mitschnitten bislang immer noch viel zu wenig auf dem Markt erschienen, und seine legendäre Studio-'Zauberflöte' harrt immer noch der Erstveröffentlichung im originalen Surround-Sound.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Sawallisch, Wolfgang: Don Giovanni |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
ORFEO 3 12.01.2015 |
Medium:
EAN: |
CD
4011790846323 |
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ORFEO Erschienen die ersten Aufnahmen des 1979 in München gegründeten Labels noch in Lizenz bei RCA und EMI, produziert und vertreibt ORFEO seit 1982 unter eigenem Namen. Durch konsequente Repertoire- und Künstlerpolitik konnte sich das Label seit seinem aufsehenerregenden Auftritt am Anfang der Digital-Ära dauerhafte Präsenz auf dem Markt verschaffen. Nicht nur bekannte Werke, sondern auch weniger gängige Musikliteratur und interessante Raritäten - davon viele in Ersteinspielungen - wurden dem Publikum in herausragenden Interpretationen zugänglich gemacht. Dabei ist es unser Bestreben, auch mit Überraschungen Treue zu klassischer Qualität zu beweisen.
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