
Lachenmann, Helmut - Schreiben
Plädoyer für das Orchester
Label/Verlag: Kairos
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Eine CD mit zwei groß besetzten Kompositionen Helmut Lachenmanns lässt sich als beredetes Plädoyer für die Aktualität gegenwärtiger Auseinandersetzung mit dem Klangkörper Orchester verstehen.
Helmut Lachenmanns Rang unter den ‚Klassikern’ der Avantgarde ist heute unbestritten und wird durch eine mittlerweile umfangreiche Diskografie unterstrichen. Mit der vorliegenden Veröffentlichung bereichert das Label Kairos seine Reihe mit Werken Lachenmanns um die mittlerweile achte Produktion und fokussiert damit – unterstützt durch einen klugen Booklet-Essay von Rainer Nonnenmann – auf zwei unterschiedliche Werke, deren Gemeinsamkeit in großen Besetzungen liegt: Das Orchesterstück 'Schreiben' (2003) zeigt den Komponisten auf der Höhe seiner Schaffenskraft und lässt den Hörer an einer spannenden Orchesterbefragung zwischen Geräusch und Klang teilhaben. Zwar gibt der Titel vielen Assoziationen Raum, doch bemerkt man rasch, dass es dem Komponisten hier um die generelle Möglichkeit geht, in der Gegenwart noch für Orchester zu schreiben – für einen institutionalisierten Klangapparat also, der weit mehr als andere öffentlich geförderten Kulturinstitutionen seit den 1950er Jahren für die Möglichkeit der Integration von musikalischen Experimenten in das Kulturleben steht.
Lachenmann nutzt alle Optionen, die ihm dieser Klangkörper bietet, und findet dabei zu ebenso einleuchtenden wie klanglich suggestiven Lösungen, mit den unterschiedlichen Schichten der großen Farbpalette zu arbeiten. Ergebnis ist ein knapp 27-minütiger Klangverlauf, wie man ihn bis dahin im Œuvre des Komponisten nicht gehört hat: Mit untrüglichem Wissen um die dramaturgische Wirksamkeit von instrumentalen Kombinationen und deren Kontrastwirkungen formuliert Lachenmann seinen Neuzugriff auf den traditionellen Klangkörper, dabei immer sehr geschickt mit der Balance von Farbnuancen und dynamischen Werten spielend. Gerade deshalb wirkt 'Schreiben' stellenweise wie ein Sog, dessen Intensität in ständigem Wandel begriffen ist. Dass dies so wahrgenommen werden kann, verdankt sich dem ausgezeichneten SWR Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg sowie dem gleichfalls beteiligten Experimentalstudio des SWR (Klangregie: Michael Acker) unter Leitung von Sylvain Cambreling, die hier in einer wunderbar klaren und tiefenscharfen Live-Aufnahme aus der Berliner Philharmonie aus dem Jahr 2006 zu hören sind.
Auf ganz andere Weise setzt sich der Komponist in 'Double (Grido II) ' (2004) mit den Möglichkeiten der gewählten Besetzung auseinander: Musikalisch bezieht sich Lachenmann hier auf sein drittes Streichquartett 'Grido' (2000/01), dessen vierstimmige Besetzung er ums Zwölffache zu einem großen Apparat aus Streicherklangfarben samt neu hinzutretender Kontrabässe erweitert. Diese Vervielfältigung ermöglicht es ihm – ganz in der durch die Historie hindurch verfolgbaren Tradition der Bearbeitung stehend – dem bereits Vorliegenden neue Klangprozesse einzuschreiben und das Geschehen, das bereits im Kammermusikwerk durch große Varianz von Klängen und Farben gekennzeichnet ist, durch Schaffung von Überlagerungen und Schwebungen stärker zu verräumlichen sowie die gestische Wirkung der Musik zu verschärfen. In interpretatorischer Hinsicht zeigt sich das Lucerne Festival Academy Ensemble unter Matthias Herrmann in einer Aufzeichnung von 2005 beeindruckend agil, so dass die Überführung der Musik in den neuen Aggregatzustand fast spielerisch wirkt.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Lachenmann, Helmut: Schreiben |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Kairos 1 16.01.2015 |
Medium:
EAN: |
CD
9120010281945 |
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Kairos KAIROS, das 1999 von Barbara Fränzen und Peter Oswald gegründete Label mit
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