
Andre, Mark - ...auf...
Musik der Übergänge
Label/Verlag: WERGO
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Sylvain Cambreling und das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg legen bei Wergo eine spannende Gesamtaufnahme von Mark Andres Orchester-Triptychon ' auf ' vor.
Musik kann von sich aus weder emotional noch politisch oder religiös sein. Wer dies dennoch behauptet – und besonders die Kommentarspalten und Userforen gewisser Internethändler quellen von solchen Aussagen über –, verwechselt die Ursache mit der Wirkung und schreibt der Aneinanderreihung von Klängen Attribute zu, die sich erst durch die Berührung mit der Musik ergeben und von unserem Schatz an Hörerfahrungen ebenso abhängig sind wie von unserem individuellen kulturellen Horizont und dem daraus entspringenden Assoziationsvermögen. Dies sollte man sich vor Augen halten, wenn man über die Musik des Komponisten Mark Andre spricht, fasst dieser seine Werke doch immer auch als spirituelle Stellungnahmen auf, die er über die Titelgebung – oft nur aus Präpositionen wie ‚durch’, ‚in’, ‚zu’ oder ‚als’ bestehend – mit bestimmten Bibelstellen oder christlicher Metaphorik in Verbindung bringt. Dies lässt sich auch im Falle des orchestralen Zyklus '… auf …' beobachten, dessen drei eigenständige, aber dennoch mit Korrespondenzen in Besetzung, Spieltechnik, Struktur und Klangsprache versehene Teile '… auf … 1' für Orchester (2005/06), '… auf … 2' für Orchester (2007) und '… auf … 3' für Orchester und Live-Elektronik (2007) sich bei einer Gesamtaufführung zu einem monumentalen Triptychon von über 50 Minuten zusammenschließen.
Die bei Wergo veröffentlichte Einspielung mit dem SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg und dem Experimentalstudio des SWR unter Leitung von Sylvain Cambreling, nach einer 2013 veröffentlichten Produktion mit Klavierwerken die zweite CD des Labels, die sich ausschließlich dem Schaffen Andres widmet, setzt sich aus drei Mitschnitten zusammen, die 2009 an drei völlig verschiedenen Lokalitäten – nämlich bei Konzerten in Berlin (Philharmonie), Brüssel (Palais des Beaux Arts) und Paris (Cité de la Musique) – gefertigt wurden. Dass das Resultat dieses Puzzles dennoch wie aus einem Guss wirkt, spricht für die Arbeit des Toningenieurs Wolfgang Rein und die Leistungsfähigkeit einer ordentlichen Postproduktion. In der Tat fesselt die Aufnahme durch ihre Klarheit, wenn man dazu bereit ist, sich auf Andres musikalische Erfindungen einzulassen: Dann wird auch rasch deutlich, dass sich die drei Werke auf ganz unterschiedliche Weise mit der Suche nach Resonanzen und Übergängen befassen und die daraus hervorgehende Prozesshaftigkeit jeweils in eine Exploration teils sehr eigenwilliger orchestraler Farbbereiche eingebettet wird.
Einmal geht das Geschehen dabei von akkordischen Ereignissen oder rhythmischen Impulsen aus, deren dynamische Spitzen unterschiedliche Zustandsänderung der Klangmaterie, harmonische Aufspaltungen in den Mikrointervallbereich oder Verschiebungen der Registerbereiche bewirken; ein andermal treten dagegen eher die haptischen Qualitäten des Klangs in den Vordergrund, werden durch Einbeziehung von Geräuschwerten unterschiedliche Rauigkeitsstufen geschaffen, die ein schwer greifbares Irisieren der Klangströme bewirken. Vor allem aber begegnet dem Hörer – von Cambreling und den engagierten Orchestermusikern zu in sich schlüssigen Gebilden geformt – eine über weite Strecken sehr leise Musik, die eine Konzentration auf die feinen Strukturdetails geradezu herausfordert. Wer zum Verständnis dieser eigenwilligen Klangwelt die Aufladung mit spirituellen Gehalten benötigt, dem bleibt es überlassen, das Wörtchen '… auf …' beispielsweise in Richtung eines transitorischen Prozesses wie der christlichen Auferstehung zu deuten; um das Können des Komponisten im Umgang mit dem Orchester zu würdigen, bedarf es dieses Kniffs allerdings nicht.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Andre, Mark: ...auf... |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: Spielzeit: |
WERGO 1 05.12.2014 51:41 |
Medium:
EAN: BestellNr.: |
CD
4010228732221 WER 73222 |
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WERGO Als 1962 die erste Veröffentlichung des Labels WERGO erschien - Schönbergs "Pierrot lunaire" mit der Domaine musicale unter Pierre Boulez -, war dies ein Wagnis, dessen Ausgang nicht abzusehen war. Werner Goldschmidt, ein Kunsthistoriker, Sammler und Enthusiast im besten Sinne, war es, der - gemeinsam mit dem Musikwissenschaftler Helmut Kirchmayer - den Grundstein zu dem Label legte, das seit inzwischen 50 Jahren zu den führenden Labels mit Musik unserer Zeit zählt. Mehr Info... |
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