
Schumann Quartett spielt - Werke von Mozart, Ives & Verdi
Delikat, fein, genial
Label/Verlag: ARS Produktion
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Die geniale Mischung macht es hier aus: Musik aus Wiener Klassik, amerikanischer Moderne und italienischer Romantik (genau in dieser Reihenfolge) ist zu hören auf dieser Einspielung des Schumann Quartetts. Ein Platte die Maßstäbe setzt.
Die drei im Rheinland groß gewordenen Brüder Erik (*1982), Ken (*1986) und Mark Schumann (*1988), gründeten 2007 mit der Bratschistin Ayako Goto das Schumann Quartett. Ab 2012 wurde das Quartett mit der Bratschistin Liisa Randalu fortgeführt und erobert nun internationale Podien. Sabine Meyer, Menahem Pressler und Albrecht Mayer werden Konzerte mit dem Schumann Quartett geben. In der Spielzeit 2015/2016 sind die vier Residenzquartett auf Schloss Esterhazy. Dort steht am 23. April die Uraufführung des neuen Streichquartetts 'Papa‘s Parrot' (Des Papstes Papagei) – eine Paraphrase über Haydns Vogelquartett op. 33,3 – von Helena Winkelman mit dem Schumann Quartett auf Schloss Esterhazy an. Außerdem sind Termine in der Tonhalle Zürich, im Wiener Musikverein, in der Londoner Wigmore Hall und im Concertgebouw Amsterdam ausgemacht. Zusätzlich wird das Schumann Quartett eine Israel-Tour absolvieren und in Washington D.C. sein Amerika-Debüt bestreiten. Im Rahmen der dreijährigen Residenz am Lincoln Center finden ab der Saison 2016/17 mehrere Konzerte in New York City statt. Geht da noch mehr? Die vier sind angekommen in der Elite der weltweit besten 20 Streichquartette und werden vom Impressariat Simmenauer vertreten, das so berühmte Ensembles wie das Arditti , das Artemis oder das Hagen Quartett betreut.
Wer den Kopfsatz 'Allegro' aus Verdis 1873 in Neapel entstandenem Streichquartett e-Moll mit dem Schumann Quartett hört, ist vermutlich sofort begeistert. Schon der lyrische Eingang zeugt vom ungemein empfindlichen Zugang an diese zarte Musik. Der Zugriff ist immer leidenschaftlich, der gepflegte, ausgereifte, sonore Klang des Quartetts trägt die gesamte Einspielung. Die Violinen drehen auf wie ein teures italienisches Luxusauto. Da gibt es Vortrieb ohne großes Getöse. Präzise arbeiten die Bögen in den kleinen Notenwerten, die Musik federt, findet immer wieder neue Ausdrucksformen, die quasi improvisatorisch anmuten. Und dabei ist das alles eigentlich schwerste musikalische Arbeit. Das merkt man diesen bestens aufeinander abgestimmten Persönlichkeiten gar nicht an – so muss es ja sein. Hier ziehen alle an einem Strang.
Klanglich ist diese Studio-Aufnahme vom Juni 2014 aus der evangelischen Kirche Honrath kaum zu überbieten. Die Tonmeister Martin Rust und Manfred Schumacher vom Label Ars Produktion Schumacher leisteten ganze Arbeit. Der Hörer sitzt da wie in einem Schnellzug, vergleichbar nur mit den Opern Verdis: Hochdramatisch fließt die Musik wie in 'Macbeth', 'Don Carlos' oder 'Die Macht des Schicksals'.
Im langsamen Satz 'Andantino' mit dem Zusatz ‚con eleganza‘ fühlen wir uns in eine zarte Liebesszene versetzt. Schwelgerisch auch hier Erik Schumanns erste Violine, die mit zartesten Vibrati ein ganz besonderes, nahezu religiöses Timbre voller Schmelz schafft. Das Hagen Quartett wirkt in seiner damals hochgepriesenen Grammophon-Aufnahme (1995) dagegen geradezu steril und altbacken, behäbig. Auch die Aufnahmequalität der Schummans ist deutlich frischer im Klang. Das irisierende Moment dieser Musik kommt hier besonders schön zur Geltung. Und das alles wird mit höchster Lebendigkeit in Szene gesetzt.
Das 'Prestissimo' stürmt funkensprühend an und hat eine Grimmigkeit, die nichts zu wünschen übrig lässt, ehe die bezaubernde Cellokantilene Einzug hält. Mark Schumann glänzt hier wie ein Solist und wird von seinen Quartettkollegen zupfend über die Zeit getragen, ehe die Vehemenz des A-Teils mit seinen dräuenden Repetitionen und unisono gehaltenen Girlanden sich erneut entlädt. Wieder betört das Cello auch in diesem Satz mit seelenvoller Melodie. Das alles mündet in die 'Scherzo-Fuba. Allegro assai mosso'. Hier trumpft das Schumann Quartett noch einmal mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln der Kunst auf: Unverhohlene technische Überlegenheit, rhythmische Präzision und klangliche Zauberkunst, was auch mal fahle, vibratolose Klänge sein dürfen. Selbst wenn Geschwindigkeit kein Maß für Qualität ist, wirkt das Spiel der vier atemberaubend: Schließlich braucht man 20 Sekunden weniger als das Hagen Quartett für diesen entfesselten Satz.
Auch Mozart wird von dem noch jungen Schumann Quartett kongenial unter Berücksichtigung zeitgemäßer Ansprüche eingespielt. Dessen erstes ‚Preußisches‘ Quartett in D-Dur KV 575 entstand 1789, als Mozart schon die beste Zeit hinter sich hatte. Die Quartette sind ‚für Seine Mayestätt dem König in Preußen‘ entstanden – so steht es in Mozarts eigenem Werkverzeichnis –, er wurde aber wohl nicht einmal vom Hohenzollern Friedrich Wilhelm II. empfangen; lediglich dessen Gattin Friederike Luise gewährte Mozart Audienz. Doch aus dem Quartett-Sixpack wurde nichts. Auch finanziell verlief die Geschichte im Sande. Mozart ließ auf eigene Kosten stechen und verramschte seine kostbaren drei Quartette aus dem Zyklus ‚um ein Spottgeld‘, wie er selbst sich ausdrückte. Erst nach seinem Tod Ende Dezember 1791 erschienen die Werke bei Artaria in Wien.
Sehr feinsinnig ist der Klang des Schumann Quartetts. Dynamisch wird ein weites Spektrum ausgeschritten. Die Tempi sind frisch und stets angemessen. Es ist eine selten zu hörende Kunst, wie das Ensemble Farben mischt und regieartig mit dem Ganzen umgeht, Themen fokussiert und in Linie einbindet. Schon der Einstieg in das 'Allegretto' ist bezaubernd gelungen. Weiche Bogenstriche begeistern das Ohr, seidig dreht das Violoncello hoch, das hier eine Hauptrolle neben der ersten Violine spielt, weil König Friedrich Wilhelm II. selbst Violoncello spielte. Das alles sauber und makellos hinzubekommen, ist eine schwierige Angelegenheit. Die vier meistern das bravourös. Impulse und Zugriff stimmen hier, das Zusammenspiel ist grandios. Da spürt der Hörer die intuitive Kraft der Interpreten, die Musik von Kindesbeinen an inhalierten.
Das 'Andante' findet die Stimmung genau. Da macht die Erfahrung aus vielen Konzertauftritten bezahlt. Seidig gezogen wirken die Töne, imer bleibt Luft zum Atmen. Das Schumann Quartett transportiert hier das ganz große Gefühl. Das 'Menuetto. Allegretto' fassen die vier als spielerische Einheit auf und werfen sich die Bälle zu. Duftende Klangwolken in Form von Miniakzenten durchziehen den Satz, der sehr konturenscharf gezeichnet ist. Der Wiener Charme kommt dabei auch nicht zu kurz, so zu hören im wundervoll dargebotenen Trio, in dem Cellist Mark Schumann beseelt aufspielt. Wie gelöst wirkt das, wie elegant und fein! Virtuoser wird es dann im Finalsatz. Auch hier begeistert die Lyrik des Ensembles und die ausgesprochene Fähigkeit, aufeinander zu hören. Das Alban-Berg-Quartett, welches zu den Lehrern des Schumann Quartetts gehört, übte da einen wichtigen Einfluss aus.
Kombiniert wird die Platte mit dem selten eingespielten Streichquartett Nr. 2 des Amerikaners Charles Ives (1874-1954). Greifbar sind für das Opus derzeit wohl nur CDs des Emerson-, Juilliard-, Blaier-, Kohon-, Lydian String Quartet und des Leipziger Streichquartetts. Ives war mit dem Werk (komponiert 1911-13) zu Lebzeiten kein Erfolg beschieden. Seine Hörer mochten die Polytonalität, die in diesem Quartett um sich greift, offenbar nicht. Heute allerdings gefällt das Werk – so ändern sich die Zeiten. Über 100 Jahre nach Entstehung haben sich die Hörgewohnheiten fundamental gewandelt. Zermürbende Dissonanzen, beißende Klänge sind nach dem Zweiten Weltkrieg zur Normalität geworden. Hier finden sie ihren Meister, denn das Schumann Quartett seziert diese Musik bis in seine Wurzeln. Da hört man die Neue Sachlichkeit: das Keuchen, das frivole Element, die quälende Angst – all das scheint in diese Musik hingeschrieben zu sein; und immer ist da auch ein Hauch von Wehmut und Nostalgie zu spüren, denn Tonalität gibt es durchaus in Reinform hier.
Übersteigerte Motorik und Rhythmik sind weitere Ingredienzen dieses Werks, das mit dem Satz 'Discussions. Andante moderato' anhebt. Fast neun Minuten kratzt diese Musik am Gemüt, ist dichter komponiert als alles bisher Dagewesene. Bilder von George Grosz mit ihren Fratzen ziehen da vor dem inneren Auge vorüber. Noch extremer wird es im Mittelsatz 'Arguments. Allegro con spirito' Faszinierende Kontraste treten da offen zu Tage: Elendes Geräusch und schreiende Klänge der extremen Dissonanz zu Beginn, die die vier mit aller gebotenen Brutalität vollziehen, wird unterbrochen vom einsamen Rezitativ der anfangs fast wie eine Klarinette klingenden Solo-Violine. Primarius Erik Schumann gestaltet das ungeheuer wehmütig-introvertiert. Dadurch baut sich eine Spannung wie zum Bersten auf, die sich in Choralfetzen nur scheinbar löst. Denn nur von kurzer Dauer sind diese Erlösungsgedanken. Davon galoppiert die Musik, martialisch, unerbittlich.
Hier wird professionell musiziert auf technischem Referenzniveau. Entstanden vor dem Ersten Weltkrieg, trägt das Werk den Untertitel ‚Streichquartett für vier Männer, die sich unterhalten, diskutieren, argumentieren (Politik, Kampf, ‚Shake Hands‘ und Ende der Diskussion), und dann auf einen Berg steigen, um das Firmament zu betrachten‘ – eine ziemlich konkrete Anweisung für die Spieler. Ives verarbeitet hier populäre und bekannte Hymnen und Lieder aus dem Nordosten und den Südstaaten Amerikas, aber auch Zitate aus klassisch-romantischen Sinfonien, so beispielsweise das Finale von Beethovens Neunter, den ersten Satz der Zweiten Sinfonie von Brahms und das Scherzo aus der ‚Pathétique‘ von Tschaikowsky. Wie im Traum fliegt das den Hörer an. Der Finalsatz 'The Call of the Mountains. Adagio' ist der ausgedehnteste Satz. Auch hier rumort es gehörig, und technisch sind die Musiker wieder auf der Höhe des Könnens. Es gibt kaum ein spannenderes Werk für Streichquartett.
Eine Empfehlung in jeder Hinsicht ist diese Platte, die jedem musikalisch Interessierten ans Herz gelegt werden kann. Jedem Streichquartett-Fans sowieso.
Dieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!
Ihre Meinung? Kommentieren Sie diesen Artikel
Jetzt einloggen, um zu kommentieren.
Sind Sie bei klassik.com noch nicht als Nutzer angemeldet, können Sie sich hier registrieren.
Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
![]() Cover vergrößern |
Schumann Quartett spielt: Werke von Mozart, Ives & Verdi |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
ARS Produktion 1 05.01.2015 |
Medium:
EAN: |
SACD
4260052381564 |
![]() Cover vergössern |
Ives, Charles |
![]() Cover vergössern |
ARS Produktion Das exquisite Klassiklabel ARS Produktion wurde 1987 von Annette Schumacher mit dem Ziel gegründet, jungen, aufstrebenden Künstlern und interessanten Programmen gleichermaßen eine individuelle musikalische Heimat und entsprechende Marktchancen, u.a. durch internationalen Vertrieb und Vermarktung zu geben. Die bei Paul Meisen ausgebildete Konzertflötistin hat sich damit nach langer aktiver Musikerlaufbahn einen geschäftlichen Traum erfüllt.
Mehr Info... |
![]() Cover vergössern |
Jetzt kaufen bei...![]() |
Weitere Besprechungen zum Label/Verlag ARS Produktion:
-
Energetische Revue: Mit 'Mazeltov, Rachel’e' liegen beim Label Ars nun die musikalischen Nummern des gleichnamigen Bühnenwerks auf CD vor: ein Reigen an lohnenswerten Ausgrabungen unbekannter jüdischer Komponisten. Weiter...
(Till Ritter, )
-
Erdbeben-Trauma in expressiven Klängen: Nuno Côrte-Real wendet sich von der Radikalität der Avantgarde des 20. Jahrhunderts ab, um in einem Liederzyklus ein Trauma zu reflektieren, das Menschen nach einem Erdbeben über Generationen hinweg nicht mehr loslässt. Weiter...
(Christiane Franke, )
-
Geistvoll: Karel Valter und Hadrien Jourdan breiten gehaltvolle Sonaten des großen Carl Philipp Emanuel Bach mit dem notwendigen Gewicht aus, verbunden mit gestalterischer Raffinesse und Klangeleganz. Weiter...
(Dr. Matthias Lange, )
Weitere CD-Besprechungen von Manuel Stangorra:
-
Hugo Wolfs Italienisches Liederbuch neu bei Querstand eingespielt: Mirella Hagen (Sopran), Tobias Berndt (Bariton) und Frank Immo Zichner (Klavier) mit Wolfs spätromantischem Liederzyklus. Weiter...
(Manuel Stangorra, )
-
Juilliard Ensemble überzeugt in neuer Besetzung: Zum 75-jährigen Bestehen des amerikanischen Quartetts: CD mit Bartók, Beethoven und Dvorák. Weiter...
(Manuel Stangorra, )
-
Barenboims Vermächtnis: Diese Gesamtaufnahme von Schumanns vier Sinfonien mit der Staatskapelle Berlin avanciert zur Referenzaufnahme. Weiter...
(Manuel Stangorra, )
Weitere Kritiken interessanter Labels:
-
Federleicht wie Träume: Aufbruch in die Klangwelten Salvatore Sciarrinos. Weiter...
(Michael Pitz-Grewenig, )
-
Transzendentales Spiel: Manuel Cini meistert Liszts große Etüden (mit kleinen Abstrichen). Weiter...
(Dr. Kai Marius Schabram, )
-
Zeitlose Klavierkunst : Wilhelm Backhaus spielt Beethoven und Brahms in Aufnahmen von 1927–1939, Weiter...
(Dr. Kai Marius Schabram, )
Portrait

"Man muss das Ziel kennen, bevor man zur ersten Probe erscheint."
Der Pianist und Organist Aurel Davidiuk im Gespräch mit klassik.com.
Sponsored Links
- Opernreisen und Musikreisen bei klassikreisen.de
- Konzertpublikum
- Musikunterricht
- klassik.com Radio
- Urlaub im Schwarzwald
- Neue Musikzeitung
- StageKit - Websites für Musiker, Veranstalter und Konzertagenturen
Hinweis:
Mit Namen oder Initialen gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers,
nicht aber unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Die Bewertung der klassik.com-Autoren:
Überragend
Sehr gut
Gut
Durchschnittlich
Unterdurchschnittlich